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Sober Curiosity
Trinken ohne Kater: Warum alkoholfreie Drinks boomen
Die neue Nüchternheit wird mit alkoholfreien Drinks begossen. Im Null-Prozent-Späti sieht man: Die Welt der alkoholfreien Getränke ist berauschend vielfältig.
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:35 Uhr

Nüchtern durch Berlin. Klingt wie ein Widerspruch. In der Hauptstadt gehört der Rausch zum Grundrauschen. Gefeiert wird rund um die Uhr. Im Techno-Club, auf der WG-Party, beim Hausboot-Rave. Und dazwischen noch schnell in den Späti. Nachtanken. Eine Tüte Chips, ein Wegbier und wieder hinaus ins Nachtleben. 

Aber geht das auch anders? Sind in der Hauptstadt nicht längst alle sober curious, also neugierig aufs Nüchternsein? So heißt der Trend aus den USA, dem vor allem Jüngere folgen. Festivals werden nüchtern begossen, in Bars und Restaurants schrumpft die alkoholische Getränkekarte. Aber was kommt stattdessen ins Glas?

Gin, Wein, Wodka – die Auswahl an alkoholfreien Spirituosen ist groß

„Am häufigsten greifen die Leute zu alkoholfreiem Aperol Spritz oder Gin“, sagt Isabella Steiner. „Die daraus gemixten Getränke kommen den Originalen schon sehr nahe.“ Steiner muss es wissen. Sie ist quasi die Expertin der neuen Nüchternheit. Vor zwei Jahren eröffnete sie Berlins ersten Null-Prozent-Späti. Steile Treppen führen hinab in den kleinen Laden. Bauchige, gewölbte, langhalsige, verschnörkelte Flaschen mit edlen Etiketten füllen die Regale. Gin, Wein, Wodka, Whiskey, Rum, Limoncello. Alles ohne Alkohol. „Der Markt für alkoholfreie Spirituosen wächst gerade rasant“, sagt Steiner. Produzentinnen und Produzenten feilen an immer neuen Rezepturen. Lavendel, Gurke, Wacholder, Zitrone – allein vom alkoholfreien Gin stehen 13 verschiedene Sorten im Regal.

Aber wie Steiner betont: „Pur lassen sich die alkoholfreien Spirituosen nicht wirklich trinken.“ Geschmacklich intensiv, aber nichts brennt im Hals. Seltsames Gefühl, besser mal mischen. Mit Tonic, Sekt oder Ginger Ale. Auch Kräutersodas aus Feigenblättern oder Tannen eignen sich, um Cocktails, flapsig auch Mocktails genannt, zu kreieren. Aperitifs, gemixt aus alkoholfreiem Campari oder Wermut, würden ebenfalls gut funktionieren, sagt Steiner. Der nachgeahmte Spitzenreiter: alkoholfreier Aperol Spritz. 

Die meisten alkoholfreien Getränke enthalten Restalkohol

Wobei: Hundert Prozent alkoholfrei sind die wenigsten Produkte. „Oft enthalten sie einen minimalen Restalkohol“, sagt Steiner. Denn alles unter 0,5 Prozent darf in Deutschland als alkoholfrei verkauft werden. Zum Vergleich: Selbst eine reife Banane kann bis zu 0,6 Prozent Alkohol enthalten.

Steiner ist Soziologin, beobachtet gerne Menschen und ihre Gewohnheiten. Als sie vor sieben Jahren nach Berlin kam, fiel ihr auf: Alkohol ist überall. Mittags ein Glas Wein zum Lunch, auf dem Wochenmarkt am Likör nippen, abends einen Cocktail in der Kneipe schlürfen. „In Berlin wird sichtbarer und maßloser getrunken als in anderen Städten“, sagt Steiner. „Ich habe mich gefragt, was es an Alternativen bräuchte.“

Sie schrieb ein Buch über achtsames Trinken, eröffnete den Null-Prozent-Späti und tauchte ein in die Welt der alkoholfreien Drinks. Eine ganz eigene Kategorie, die sie da entdeckte: Botanicals. Dunkle Kräuterelixiere aus Früchten, Gewürzen, Blättern oder Beeren. Mal enthalten sie Noten von Kardamom oder Piment, mal einen Hauch Thymian, Koriandersamen oder Ingwer. Aus ihnen lassen sich vollkommen neue Cocktails kreieren.

Alkohol als Geschmacksträger: Alkoholfreien Wein nachzuahmen ist schwierig

Aber mal vom Neuen zum Alten: Wie ist das eigentlich mit Wein? Kollegin Jana füllt einen Schluck vom entalkoholisierten Rotwein in einen Becher. Geruch: So lala. Geschmack: Mehr Saft als Wein. „Rotwein ist die Königsdisziplin“, sagt Steiner. Ihn nachzuahmen ist schwierig, denn Alkohol ist beim Wein ein wichtiger Geschmacksträger. Wird er entzogen, geraten die übrigen Zutaten in ein geschmackliches Ungleichgewicht. Nachfrage bei Max Lielje. Seine Leidenschaft: Weinalternativen. Seit zwei Jahren betreibt er mit einer Kollegin zusammen den Mindful Drinking Club, einen Getränkeladen am Prenzlauer Berg. Zum Verkauf stehen wie im Null-Prozent-Späti über hundert alkoholfreie Getränke.

Doch die Zukunft sieht Lielje weniger in Ersatzprodukten als vielmehr in neuen Kreationen. „Man kann es mit veganen Produkten vergleichen“, sagt er. „Manche mögen vegane Würstchen und Schnitzel, andere bevorzugen eigenständige Gerichte.“ Deshalb liegt sein Fokus auf Wine Proxies. Wine was? „Das sind Getränke, die zu denselben Anlässen wie Wein getrunken werden können, aber in Geschmack und Herstellung eigenständig sind“, sagt Lielje. Neue Produkte in altem Gewand also, denn serviert werden sie in Weinflaschen. Die Zutatenlisten lesen sich wie aus dem Apothekerstübchen: Fermentierte Äpfel treffen auf Fichtennadeln. Angelikawurzel, verfeinert mit dem holzig-harzigen Aroma der Eiche. Geröstete Birkenspäne ergänzen sich mit getrockneten Walnussblättern.

Wichtige Frage vor dem Kauf: Soll Bekanntes ins Glas oder neuer Geschmack?

Was in den Weinalternativen selten steckt: Weintrauben. Meist dienen Tees, Säfte oder Kräuterextrakte als Basis. Manche Getränke werden aus Oxymel, einem Gemisch aus Honig und Essig, hergestellt. Andere nutzen Shrubs, also Sirupe aus Früchten, Zucker und Essig als Grundlage. Die meisten Hersteller setzten zudem auf Fermentation. Vergoren wird so gut wie alles. Äpfel, Beeren, Kombucha, Hefe, Sellerie, Tannennadeln. „Daraus entstehen spannende Geschmacksprofile“, sagt Lielje. „Den weiteren Zutaten im Getränk sind keine Grenzen gesetzt.“ Sein Liebling unter den Weinalternativen: „Eisenkraut und Quitte.“ Man nehme eine Teebasis aus Verbene, mische sie mit herbfruchtiger Quitte, stimme sie ab mit einem Hauch von lakto-fermentiertem Sellerie. Kohlensäure hinzu, fertig ist der alkoholfreie Schaumwein. Salzige Note, trocken, eignet sich gut als Aperitif, findet Lielje.

Aber warum eigentlich so kompliziert und nicht einfach Cola, Limo oder Apfelschorle trinken? „Es vermittelt ein anderes Gefühl“, sagt Lielje. „Die Zusammensetzung der neuen Getränke ist komplexer, die Herstellung aufwendiger. Das schmeckt man auch.“ Es mache einen Unterschied, ob ein simpler Saft zum Essen serviert wird oder ein kreatives Getränk, das geschmacklich dazu passt. Lielje berät auch Gastronomen, denn: Gute Restaurants würden inzwischen nicht nur Wein, sondern auch alkoholfreie Drinks auf ihre Menüs abstimmen. Im Privaten kommen die rauschlosen Alternativen auch langsam an. Wichtige Frage vor dem Kauf: Soll Bekanntes ins Glas, nur ohne Schwips-Effekt? Dann her mit dem alkoholfreien Gin Tonic oder Aperol Spritz. Oder darf mit neuen Geschmacksrichtungen experimentiert werden? Dann gern ein Glas Wine Proxy oder einen Cocktail aus Botanicals. Mal nüchtern betrachtet: Es gibt noch einiges zu entdecken im Getränkeregal.

Drei Rezepte für alkoholfreie Drinks:

Ruby Spritz

  • 6 cl Laori Ruby No. 4
  • 10 cl alkoholfreier Sekt
  • Schuss Soda
  • Eiswürfel

Zubereitung: 

Eiswürfel in das Weinglas geben. Laori Ruby No. 4 zugeben und mit einem Barlöffel verrühren, halb mit alkoholfreiem Sekt und halb mit Mineralwasser aufgießen. Einmal umrühren. Am besten eignet sich ein bauchiges Weinglas. Der Drink lässt sich gut mit einer Scheibe Orange garnieren.

Volée Tonic

  • 5 cl Volée Apéritif Naturel
  • Tonic Water
  • Eiswürfel

Zubereitung:

In ein mit Eis gefülltes Glas Volée eingießen und mit Tonic auffüllen. Am besten eignet sich ein Longdrink-Glas. Der Drink lässt sich gut mit einer Scheibe Grapefruit garnieren.

Gin & Spritz

  • 4,5 cl Siegfried Wonderleaf
  • 1 cl Limettensaft
  • Thomas Henry Tonic Water

Zubereitung: 

In ein Glas voller Eiswürfel gibt man zuerst 1 cl Limettensaft und danach 4,5 cl Siegfried Wonderleaf. Anschließend mit Thomas Henry Tonic Water aufgießen. Den Longdrink nun noch mit einer Limettenzeste garnieren. Am besten eignet sich ein Tumbler Glas.

 
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