Ein Jahr hatte Georg Elser an der Bombe getüftelt, die Hitler töten sollte. Den Zünder hatte er aus einer Armaturenfabrik entwendet, den Sprengstoff aus einem Steinbruch. Wochen vor dem Anschlag versteckte sich Elser nachts im Münchner Bürgerbräukeller, sägte und werkelte, um die Bombe im Pfeiler zu deponieren, vor dem Hitler seine Rede halten sollte.
Er hatte alles durchdacht, doch eins konnte er nicht vorhersehen: Wegen schlechtem Wetter verließ Hitler den Saal früher als geplant. Als die Bombe am 8. November 1939 um 21.20 Uhr explodierte, saß der Diktator bereits im Zug nach Berlin. Elsers Attentat war gescheitert.
Wolfgang Benz liefert ein spannendes Porträt über Elser und seine Zeit
In einer umfassenden Biografie zeichnet Wolfgang Benz das Leben des Widerstandskämpfers nach, der früher als die meisten die Folgen der nationalsozialistischen Gewaltpolitik erkannte und handelte, statt mitzulaufen. Woher nahm er den Mut? Was trieb ihn an?
Die Quellen sind dürftig, der wortkarge Schreiner sprach mit niemandem über den Anschlag und schrieb auch nichts auf. Neue Fakten kann Benz daher nicht liefern, aber er bettet sie ein in den historischen, politischen und sozialen Kontext. Damit gelingt dem Historiker, der schon als Student die Forschungen zu Elser am Münchner Institut für Zeitgeschichte begleitete und jahrelang das Zentrum für Antisemitismusforschung leitete, ein spannendes Porträt über Elser und seine Zeit.
Die Lebenswelt war rau. Elser wuchs in Königsbronn auf, einem Dorf am Rande der schwäbischen Alb. Arbeitermilieu, die Familie verarmt, der Vater Alkoholiker. Den Dorfbewohnern, die schon gegen Fürstentum und Kirche aufbegehrten, schreibt Benz eine Grundaufsässigkeit zu, mit der er auch Elsers Widerstandshaltung zu begründen versucht. Graf von Stauffenberg und die Geschwister Scholl kommen ebenfalls aus der Ecke, trotzdem wirkt das Ganze ein wenig konstruiert und spätestens in der Referenz auf die Proteste zum Bahnprojekt Stuttgart 21überzogen.
Der dürftige Erklärungsversuch fällt aber nicht weiter ins Gewicht, denn Benz liefert weitaus plausiblere Gründe. So beschreibt er Elser als überzeugten Pazifisten, der kriegsbedingtes Leid und Entbehrungen als Kind selbst erlebte. Anders als viele Widerstandskämpfer, Generäle und Gutsituierte, die dem Regime zunächst freudig folgten, hatte der bildungsferne Elser die Kriegsabsichten der Nazis früh erkannt und zu verhindern versucht. Elsers Rechtsgefühl und moralische Haltung fußten nicht auf theoretischem Wissen, sondern auf der eigenen Erfahrung.
Georg Elser hat sein Attentat auf Hitler meisterhaft durchdacht
Als einfacher Handwerker stimmte er für die KPD, weil er durch sie die Interessen der Arbeiter am besten vertreten sah. Er durchschaute die Propaganda und die hinter völkischen Parolen versteckte Ausbeutungspolitik des NS-Regimes. Zudem war Elser Individualist. Die Zwänge des nationalsozialistischen Alltags, der Hitlergruß, die Aufmärsche und Rituale widerstrebten ihm von Anfang an. Ein Anschlag auf Hitler und dessen Schergen war für ihn nur die logische Konsequenz, um das System zu stürzen und einen Krieg zu verhindern.
Sein Attentatsversuch war verglichen mit anderen meisterhaft durchdacht und ausgeführt. Trotzdem scheiterte der Anschlag, Elser wurde in derselben Nacht verhaftet. Schnell war auch klar, dass er allein gehandelt hatte. Aber ein einfacher Mann aus dem Volk, der den Diktator in die Luft jagen will? Das passte nicht ins Schema der Nazi-Propaganda. Stattdessen wurde behauptet, der britische Geheimdienst stecke hinter dem Attentat– ein Gerücht, das sich auch nach Elsers Erschießung am 9. April 1945 lange hielt.
Elser verkörpert das, was die Deutschen lange nicht wahrhaben wollten
Der Widerstandskämpfer wurde verleumdet, vergessen und verklärt, wie Benz eingehend darlegt. Vielen galt er als Verräter, manche sahen in ihm einen verkappten Nazi, andere nutzten ihn, um sich von der eigenen Schuld reinzuwaschen. In Königsbronn, auch nach 1945 als „Attentatshausen“ verunglimpft, sprach niemand über Elser. Eine Gedenkstätte wurde erst 1998 eröffnet.
Anders als Stauffenberg, der zum Helden avancierte, interessierte sich für den einfachen Schreiner, der noch dazu kommunistisch wählte, lange niemand. Denn er verkörpert das, was viele Deutsche nicht wahrhaben wollten: Jeder hätte handeln können wie er. Erst nach und nach wurde Elser die Ehre zuteil, die ihm gebührte – durch fundierte Recherche und präzise Werke wie Benz' Biografie „Allein gegen Hitler – Leben und Tat des Johann Georg Elser“.