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Interview
Warum wird man Fan, Herr Trojanow?
Der Schriftsteller Ilija Trojanow hat zusammen mit Klaus Zeyringer ein Buch über "Fans" geschrieben. Ein Gespräch über die Bedeutung und die Macht der Fans.
Stefanie Wirsching
 |  aktualisiert: 01.07.2024 02:38 Uhr

Herr Trojanow, In Ihrem gemeinsam mit Klaus Zeyringer verfassten Buch „Fans“ beschreiben Sie ganz unterschiedliche Fankulturen. Sie haben sich dafür in die gelbe Wand im Dortmunder Stadion gestellt, in Wimbledon für Tickets in die berühmteste Warteschlange der Welt eingereiht, Sie waren bei der Dart-WM im Ally Pally, dem Alexandra Palace in London, zu der die Fans in den verrücktesten Kostümen anreisen. Vorneweg also, welche Szene hat Sie denn besonders fasziniert? 

Trojanow: Darts auf jeden Fall, weil es so überraschend für mich war. Da trifft man Menschen, die im Alltag vermutlich eine unauffällige Existenz führen, und die sich dann für dieses Event nicht nur mit großer Hingabe, sondern auch mit großem Aufwand kostümieren. Man muss aber auch sagen, dass die Unterschiede in den Szenen gerade den Reiz ausmachen. Ob die Dartfans alle zu Hause sehr gut die dreifache Zwölf erwischen, wissen wir nicht, aber bei der Tour de France zum Beispiel sind sehr viele Fans selbst sportlich tätig. Die fahren diese Bergetappe tatsächlich vorab. Natürlich sind die Umstände anders und auch die Zeit, aber man kann sagen: Wir waren unterwegs auf derselben Etappe. „Rubbing shoulders with the best“ wie man so schön auf Englisch sagt. Das ist für die Leute, das haben alle Gespräche gezeigt, unglaublich beglückend. 

Nicht alle lernen diese Leidenschaft kennen, dieses "Fanomen", wie Sie es nennen. Wie wird man Fan? Sie sind es ja gleich von mehreren Sportarten: Cricket, Tennis, Fußball, Baseball.

Trojanow: Bei mir hat das sehr viel damit zu tun, dass beide meiner Eltern Leistungssportler waren, und ich habe von Kind auf unglaublich viel Sport gemacht. Das heißt, ich kann mir ein Leben ohne Sport nicht vorstellen. Wenn man das für sich selbst so betreibt, hat man natürlich dann auch automatisch Interesse an dem, was die wirklich Besten machen. Dann gibt es den Moment des Vererbens: Ein enger Freund von mir, Eintracht-Frankfurt-Fan seit Ewigkeiten, da ist natürlich auch der Sohn Mitglied, hat eine Dauerkarte und steht bei den Ultras. Und ich glaube, ein drittes Moment ist der Zufall, wo die Leidenschaft hinfällt. Also dieses irgendwann wurde man irgendwohin mitgenommen oder es gab irgendein Großereignis. Ich kann mich erinnern, als ich nach München kam, um zu studieren, das war der Sommer, in dem Boris Becker Wimbledon gewann, und als sich auf einmal ganz Deutschland für Tennis interessiert hat.

Was erlebt der Fan, was das Leben sonst nicht bereithält? 

Trojanow: Das Fantum ist für Menschen ein Ersatz für existenzielle Bedürfnisse, die anderswo nicht befriedigt werden. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft, danach, Teil einer größeren Identität zu sein, das Bedürfnis nach einem Moment, in dem die Emotionen auf einen Höhepunkt zusteuern – Stichwort Ekstase. Oder das Bedürfnis nach einer anderen Routine als jene der Pflicht, zum Beispiel der samstägliche Besuch im Stadion, auf den man sich extrem freut. Und nicht zu vergessen: Es ist natürlich so, dass wir Menschen von Haus aus – Stichwort homo ludens – sehr gerne spielen. Dieses Spielen ist nicht nur bezogen auf unser eigenes Spiel, sondern wir partizipieren gerne an größeren gesellschaftlichen Spielen, und in einer Phase, in der wir eine sehr starke Atomisierung der Gesellschaft haben, bietet zumindest der Sport noch eine der wenigen Stätten oder Ebenen des gemeinsamen Erlebens. Das heißt, man hat dann auch gemeinsame Bezugspunkte, eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Mikrokultur – also eigentlich ist das Fantum so etwas wie eine positive Version einer Sekte, würde ich sagen.

Die Idee für Ihr Buch entstand, als während der Coronazeit Spitzensport vor leeren Rängen stattfand. Fehlen die Fans, fällt die Arena des Sports in sich zusammen, schreiben Sie. Spielt sich das eigentliche Entscheidende auf den Rängen ab?

Trojanow: Während Corona ist zumindest klarer geworden, dass es ohne Fans eigentlich keinen Spitzensport geben könnte. Diese Spiele in leeren Stadien waren ja eine Entmystifizierung. Dass man auf einmal hören konnte, was die Profis so rumschreien, hat einen ja an den eigenen Bolzplatz erinnert. Der ganze Zauber verschwand. Und wir haben, glaube ich, begriffen, dass es ein Spektakel ist, aber ein Spektakel, in dem es eigentlich keine Zuschauer gibt, sondern alle in irgendeiner Weise aktiv dabei sind, die Fans eben mit ihren eigenen Möglichkeiten und Mitteln, in dem sie singen, tanzen, sich kostümieren.

Wobei es ja auch den eher stillen, beobachtenden Fan gibt.

Trojanow: Aber selbst jemand, der nur dasitzt, hat ja in seiner Wahrnehmung einen gewissen aktiven Part. Er leidet mit, er denkt mit, er beobachtet mit, er versucht – das geht mir immer so bei Tennis –, das Spiel zu lesen. Insofern würde ich tatsächlich behaupten, so ein Sportereignis ist eigentlich die Einladung an alle Anwesenden, unterschiedlich intensiv zu partizipieren. 

Was verrät der Blick auf die Fankurve über die Gesellschaft? Was spiegelt sich da wider? 

Trojanow: Ein schönes Beispiel sind die Fan-Proteste gegen den Ausverkauf der Bundesliga in dieser Saison. Da spiegelte sich im Stadion etwas Grundsätzliches, nämlich dass die Menschen es leid sind, dass der Neoliberalismus alles verschachert. Im Gegensatz zu vielen Behauptungen haben die Leute durchaus ein Gefühl dafür, dass es so etwas wie Gemeinschaft und Gemeinwohl braucht. Also muss es Bereiche geben, die nicht dem brutalen und billigen Profitdenken unterworfen sind. Um es pathetisch zu sagen: in denen es sozusagen eine gewisse Heiligkeit gibt. Und diese Fan-Proteste waren interessanterweise ja in fast allen Stadien, zwar unterschiedlich organisiert, aber man hat sich, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, auf bestimmte Protestformen geeinigt, in diesem Fall die geworfenen Tennisbälle. Und siehe da am Ende: Die Fans zwangen die Bundesliga, einen Rückzieher zu machen. Auch das sagt einiges über unsere Gesellschaft: Es gibt noch demokratische Wirkungsmöglichkeiten. 

Der Fan ist eine Cashcow, die beharrlich gemolken wird, schreiben sie. Trikots kaufen, Tickets kaufen, Merchandising-Artikel kaufen, Pay-TV zahlen – das alles wird hingenommen. „Wenn wir alle einsehen, dass wir die Raffzähne in den Schlüsselpositionen nicht tolerieren müssen, wären wir einen Schritt weiter. Wir müssen Verantwortung übernehmen.“ Wie stellen Sie sich das vor? 

Trojanow: Ich glaube, es beginnt ja immer damit, dass man realistisch und ehrlich analysiert, wie die Zustände sind. Dass jene Leute, die sich darüber beschweren, wie teuer der öffentlich-rechtliche Rundfunkbeitrag ist, einen ähnlichen Betrag bei Pay-TV zahlen nur für Fußballspiele, darüber könnte man zum Beispiel nachdenken. Über das Nachdenken hinaus und über das Monieren hinaus muss man sich fragen: Wie lange werden wir die völlige Mafiotisierung des internationalen Fußballs akzeptieren? Die Fifa und die Uefa, das sind Vereine nach Schweizer Recht, die so gut wie keine Steuern zahlen, die in keiner Weise gesellschaftlich kontrolliert sind. Das heißt, das sind eigentlich neofeudale Organisationen, die über uns herrschen. Das muss man sich klarmachen, und dann braucht es eine gesamtgesellschaftliche Bewegung, um das zu zerstören. Das ist ja irgendwann mal entstanden, also kann man das wieder aus der Welt schaffen. Die Fans wären dazu sehr gut in der Lage. 

Nun beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Welche Fans trifft man da in Stadien oder bei Public Viewing?

Trojanow: Man muss sagen, der wahre Fan ist nicht der Fan der Nationalmannschaften. Dazu passieren diese Veranstaltungen viel zu selten. Die WM oder die EM sind ja so etwas wie Weihnachten in der Kirche, da kommen alle, auch jene, die ansonsten die Messe nicht besuchen. Da gibt es einen gesamtgesellschaftlichen Wahn, von dem man angesteckt wird. Und es ist ja auch erfrischend, wie jetzt bei der EM in Deutschland, wenn es ein Ereignis gibt, an dem alle kognitiv partizipieren. Der wahre Fan aber ist ein Fan im Alltag. Die zweite Bundesliga in Deutschland ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Sie hat die höchsten Zuschauerzahlen aller zweiten Ligen weltweit. Das finde ich faszinierend: Dass jemand sagt, mich interessiert nicht diese Oligarchen-Liga namens Champions League, in der fast nur Vereine spielen, die von arabischen Fürsten finanziert werden, sondern mich interessiert das Lokale, das Gewachsene, etwas, zu dem ich einen Bezug habe, und nicht etwas, was ein Kunstprodukt ist, wie etwa Winterspiele in Saudi-Arabien. 

Kommen wir also zur Niederlage – in der sich dann oft die unschönen Seiten des Fantums zeigen. Dann werden die Dämonen, wie Sie schreiben, von der Leine gelassen, verwandeln sich eigentlich brave Bürger in Berserker.

Trojanow: Ich habe das einmal selbst erlebt bei einem Fußballspiel vor vielen Jahren mit einem Lektor von mir: hochgebildet, sensibel, der plötzlich eine Gossensprache verwendete, die ich von ihm noch nie gehört hatte. Aber wir haben bestimmte Sprechweisen für bestimmte Räume und bestimmte Anlässe, und dabei werden wir animiert von den Leuten um uns herum. Das Fluchen ist zum Beispiel immer ansteckend, das kenne ich von mir selbst, wenn man in einer Gruppe von verärgerten, wütenden Menschen ist. Da gibt es fast einen moralischen Druck, mitzufluchen, sonst würde man ja einen Mangel an Leidenschaft an den Tag legen. Das geht gar nicht als Fan. Diese Leidenschaftlichkeit muss natürlich teilweise auch in hysterischen verbalen Inszenierungen übertrieben werden. Also insofern würde ich das nicht zu ernst nehmen. Natürlich ist es absolut ekelhaft, wenn dann rassistische Sprüche fallen, aber man muss auch sagen, dass dieselben Menschen den dunkelhäutigen Spieler feiern, wenn er für die eigene Mannschaft trifft. Es ist tatsächlich ein manchmal ekelhaftes Spiel mit den eigenen übertriebenen Emotionen. 

Letzte Frage. Olympia in Paris, das Finale der Fußball-EM oder einen Tag in Wimbledon: Welches Ticket würden Sie nehmen? 

Trojanow: Ich würde immer Wimbledon nehmen. Wimbledon ist besonders, weil Wimbledon tatsächlich sich gewissen Übergriffigkeiten des Kommerzes verweigert. Auf dem Platz ist keine Werbung, außer der Uhr, jeden Tag gibt es 1000 Tickets, die an jene Menschen gegeben werden, die dort in der legendären „The Queue“ einfach anstehen. In Wimbledon gibt es eine gewisse großzügige Noblesse im Umgang mit Kommerz, wo man sagt, ja, wir müssen das finanzieren, ja, wir leben in einer durchkapitalisierten Welt, aber wir lassen nicht alles mit uns machen. Wir haben eine Würde der Tradition, und deswegen gibt es Grenzen des Ausverkaufs. Das gibt es weder bei der Uefa noch der Fifa noch beim IOC, das sind Organisationen, die eigentlich alles, was einst das Ideal war, versilbert haben. Wimbledon ist einen anderen Weg gegangen, und deswegen immer noch Wimbledon. 

 
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