Samy, „Hochkultur 2“ beinhaltet achtzehn Songs, das ist mal wieder richtig viel Futter, sowohl musikalisch als auch inhaltlich ist die Platte extrem üppig. War es Dein Ziel, zum 50. Geburtstag des Hip-Hops so einen richtigen Rundumschlag abzuliefern?
Samy Deluxe: Eigentlich will ich jedes Mal ein kompaktes und nicht zu schwer verdauliches Album mit zehn bis zwölf Tracks machen. So einen richtigen Klassiker halt. Aber das habe ich wieder nicht hinbekommen. Ich tendiere einfach zur kompletten Reizüberflutung. In den nächsten Monaten will ich sogar noch sieben, acht zusätzliche Songs rausbringen, die mehr den Spaßfaktor betonen, den es in meiner Musik ja auch gibt und der auf „Hochkultur 2“ ein bisschen kurz kommt.
Du sprichst in mehreren Stücken sehr offen über Deine Depression. In „Last Exit“ rappst Du, Deine Lebensfreude sei auf „Death-Metal-Niveau“ gewesen, in „Antidepressiva“ berichtest Du von „Tagen ohne Spaß und Nächten ohne Schlaf“. Was war der Auslöser für Deine Krise?
Samy Deluxe: Ich hatte mitten in der Pandemie so einen richtigen Tiefpunkt. Da kam einiges bei mir zusammen. Beziehungskram, aber auch eine fehlende kreative Erfüllung und Befriedigung. Ich war nicht mehr glücklich mit dem Gedanken, dass mein künstlerisches Leben die nächsten zwanzig Jahre so weitergehen sollte, wie es in den letzten zwanzig Jahren war. Das typische Hinterfragen halt. Dazu kam noch der Mord an George Floyd und die daraus entstandene „Black Lives Matter“-Bewegung, die noch einmal Kindheits- und überhaupt menschliche Traumata in mir aufgerissen hat.
Traumata in Bezug auf Rassismus-Erfahrungen?
Samy Deluxe: Für mich war Rassismus nicht einen Tag im Leben inaktuell oder überwunden. Als dunkelhäutiger Mensch in Deutschland erlebe ich die Blicke jeden Tag auf der Straße. Wie sehr einen das beeinflusst, hängt auch davon ab, wie stark man darauf achtet. Und ich hatte insgesamt viel mit mir zu knabbern, auch weil ich mich intensiv mit meiner eigenen Psyche beschäftigt habe.
Du hast vor Deinen Problemen also nicht die Augen verschlossen?
Samy Deluxe: Nein, im Gegenteil. Ich habe sehr viel über mentale Gesundheit gelesen, mir jede Menge Podcasts über Psychologie angehört, und mir wirklich auch wirklich selbst den Spiegel vor die Nase gehalten, um zu gucken, wo ich vielleicht nicht nur Opfer, sondern auch Verursacher meiner Ängste, meiner Sorgen, meiner Paniken sein könnte. Während dieser Zeit habe ich mich stark zurückgezogen. Auch meinen Podcast habe ich eingestellt, obwohl der sehr gut lief. Ich wollte mich in der Öffentlichkeit gar nicht mehr äußern, einfach nicht mehr in Erscheinung treten.
„Man muss alles mit Humor sehen, weil uns noch mehr Krisen bevorstehen“, sagst Du in „Antidepressiva“.
Samy Deluxe: Manche müssen vielleicht auch Tabletten nehmen, aber ich kenne aus meinem engeren Umfeld Fälle, wo die Pillen den Leuten komplett die Emotionen genommen haben. Ich habe eher versucht, mich mit Selbstreflexion und Humor durch das tiefe Loch zu kämpfen. Natürlich kann man nicht alle Faktoren seines Lebens beeinflussen, aber man kann zum Beispiel entscheiden, welchen Input man sich täglich gibt. Ob ich mir also bei Liebeskummer und Trauerfällen noch die Nachrichten reinziehe oder ob ich doch lieber Comedy gucke. Um dieses Thema geht es auch in „Yves Klein“. Klein war ein Maler, der seinen eigenen Blauton entwickelt hat. Als Metapher für ein Album, das sich viel mit Traurigkeit auseinandersetzt, fand ich es sehr cool, zu sagen, dass jeder Mensch sein eigenes Blau mischen kann.
Eine weitere Zeile aus dem Song lautet „Alles, was ich wollte, war ein bisschen Fame“, also Ruhm. Sagt das Yves Klein oder Samy Deluxe?
Samy Deluxe: Eigentlich keiner von beiden so richtig. Der Satz ergibt erst mit der nächsten Zeile „Dann wurde mein Wunderland mein House of Pain“ richtig Sinn. Als ich anfing, Hip-Hop zu machen, wollte ich, dass mich die zehn, zwanzig anderen Rapper, die es damals in Deutschland gab, genauso toll fanden wie ich sie. Es war nie mein Ziel, so ein Typ zu sein, der dauernd im Fernsehen ist und von allen angelabert wird.
Mit welchen Mitteln hast Du Deine geistige Gesundheit wieder gestärkt?
Samy Deluxe: Mit ganz einfachen Sachen. Sachen, die gar kein Geld kosten. Mit Spaziergängen, Stretching, dem Versuch, mehr auf meinen Körper zu achten und so viele Schadstoffe wie möglich aus meinem Alltag zu beseitigen. Ich habe schlechtes Essen und andere Gifte dadurch ersetzt, mich viel draußen in der Natur aufzuhalten. Ich habe mir zum Beispiel eine alte Frankfurter Straßenbahn in den Garten gestellt. Generell habe ich mich sehr viel mit meinem Zuhause beschäftigt, habe Raum für Raum, den Wohnbereich und das Studio erneuert und aufgemöbelt. Eigentlich lebe ich dort ja schon seit zehn Jahren, habe aber immer mehr so gehaust. Jetzt ist wirklich jeder Winkel schön, und den Zug habe ich mir als Atelier ausgebaut.
Du malst also auch?
Samy Deluxe: Ja, ganz besonders gern sprühe ich Graffitis und mache Street-Art. Meine Liebe zur Kunst ist immer größer geworden in den letzten Jahren. Auch, als ich keine Musik mehr machen wollte, habe ich weiter gemalt.
Wie bekommt Dir als Hamburger Junge das Landleben?
Samy Deluxe: Die Einöde tut mir sehr gut. Auch meine Wohnung in Berlin, die ich zwischendurch hatte, habe ich aufgegeben. Hier auf dem Land kann ich wunderbar auf mich selbst achten, auch das Alleinsein hier bekommt mir gut. Ich hatte immer so viel Verantwortung für andere, zahlreiche Menschen waren auch finanziell von mir abhängig, und es war vor allem während der Pandemie anstrengend, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Jetzt ist alles eine Nummer kleiner, der Druck nicht mehr so hoch und meine Außenwirkung auf andere, die mir immer sehr wichtig war, spielt keine so große Rolle mehr.
Willst Du denn nicht mehr auf Tournee gehen?
Samy Deluxe: Es war sehr wohltuend und eine Erleichterung, drei Jahre lang einfach nur Mensch zu sein und nicht am Applaus der anderen zu hängen. Ich spiele immer noch gerne für andere Leute, aber das gibt mir nicht mehr so viel wie früher. Ständig in anderen Städten zu sein, ohne je wirklich Zeit zu haben, immer so gehetzt herumzureisen, da ziehe ich nicht mehr so viel Freude raus. Lieber sind mir die Tage, an denen ich einfach nur vor mich hinlebe und mich mit mir als Mensch beschäftige.
Was denkst Du als Veteran von der jungen Generation im deutschen Hip-Hop?
Samy Deluxe: Ich kriege da auch nur die Sachen mit, die so groß sind, dass sie jeder mitkriegt. Generell mag ich viele der modernen Soundfacetten, die international hochkommen, auf meinem Album „Dis wo ich herkomm“ war ich 2009 einer der ersten, die die Stimmsoftware Autotune benutzt haben. Generell denke ich, viele Künstlerinnen und Künstler könnten davon profitieren, wenn sie sich mehr Zeit lassen und sich nicht diesem Druck beugen würden, jeden Monat irgendwas rausbringen zu müssen, nur weil die anderen in ihrer Generation das machen. Ich sehe im Deutsch-Rap einige, die jetzt sehr viel Geld verdienen, aber in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr so stolz sind auf das, was sie gerade machen.
Du selbst hast 2001 mit „Weck mich auf“ einen echten Klassiker erschaffen. Der Song ist aktueller denn je, man denke nur an den Klimawandel. Wie stehst Du heute zu dem Song?
Samy Deluxe: Viele Leute fordern von mir seit einigen Jahren ein „Weck mich auf, Teil 2“. Gerade während der Pandemie war es erstaunlich, wie viele Menschen diesen Song scheinbar in dem Moment zum ersten Mal mit Inhalt gefüllt haben, wo sie selbst von gefühlter Ungerechtigkeit betroffen waren und viele Fragen hatten, wie der Staat oder die Pharmaunternehmen mit uns umgehen. Ich hatte aber keinen Bock, mit plakativen Phrasen aufzuwarten und fürchten zu müssen, von den falschen Leuten bewusst falsch verstanden zu werden. Nur so eine Aufzählung von Zeitgeistproblemen ohne Lösungsansätze war mir nicht genug.
Du denkst also nicht, dass die Botschaft von „Weck mich auf“ gerade besonders akut ist?
Samy Deluxe: Die Botschaft des Songs war immer akut. Es gibt Themen, die so verankert sind in der Menschheit, dass sie nie irrelevant werden. Dazu gehören Liebe und Herzschmerz, aber auch der Kampf gegen Unterdrückung und für mehr Freiheit. Wir hier in Deutschland sind verglichen mit den meisten Ländern auf der Welt sehr privilegiert, aber trotzdem ist nicht jeder Bürger jeden Tag zufrieden. Wir alle haben es auf unterschiedliche Weisen schwer. Die einen suchen Identifikationsflächen in politischen Parolen, die anderen in Liedern.
Du engagierst Dich seit vielen Jahren sozial, insbesondere in der kulturellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wäre ein Leben als Politiker für Dich denkbar?
Samy Deluxe: Mich hat es immer eher erschüttert, was ich mit meiner Macht hätte anfangen können. Ich habe extreme Ehrfurcht davor, dass so ein Song, den ich vor über zwanzig Jahren als bekiffter Junge schrieb, solch ein Manifest geworden ist. Das Schlimmste, was ich machen könnte, wäre auf meinen Geltungsdrang zu hören.
Ist das jetzt ein „nein“?
Samy Deluxe: Das ist ein „nein“. Ich würde viel zu viel abwägen, nachdenken und reflektieren. Ich wäre ein furchtbarer Politiker.