Sie haben den Sommer mit den Hollywood Vampires auf Tournee in Europa verbracht, jetzt sind Sie wieder in den USA unterwegs und haben Ihr neues Album „Road“ veröffentlicht. Mit welchem Wort lässt sich Ihre Karriere gerade am besten beschreiben?
Alice Cooper: Mit dem Wort „grandios“. Es ist wirklich ganz toll. Ich bin in der Form meines Lebens. Meine Bandmitglieder sind in der Form ihres Lebens. Ich liebe die Musik, ich liebe mein Publikum und – zumindest meistens – liebe ich auch diese vagabundenartige Form des Herumreisens.
Stimmt es, dass Ihre Frau Sheryl Sie stets begleitet?
Alice Cooper: Das ist korrekt. Wir sind seit 47 Jahren verheiratet, Eltern von drei großartigen, längst erwachsenen Kindern, stolze Großeltern. Ich bin mit einem gesunden Wertesystem großgeworden. Meine Eltern haben immer zu mir gesagt: „Heirate die Person, die du wirklich liebst. Und die dich genauso liebt wie du sie.“ Daran haben wir uns beide gehalten.
War das mit der Treue je eine Herausforderung?
Alice Cooper: Nicht für mich. Ich denke, für meine Frau auch nicht. Wir haben eine Art Pakt geschlossen, dass wir uns niemals betrügen oder wehtun wollen. Die fast etwas langweilige Wahrheit ist, dass wir einfach wahnsinnig gerne zusammen sind.
Nehmen Sie sich als Paar immer noch Zeit für richtige Dates?
Alice Cooper: Ja, voll und ganz. Wir haben das immer so gemacht, auch als die Kinder noch klein waren. Du musst regelmäßig was Schönes zu zweit unternehmen. Auf Tournee zu sein ist immer so etwas wie eine kleine Hochzeitsreise. Sicher, ich arbeite an den Abenden, aber tagsüber haben wir Zeit, um uns umzuschauen und gemeinsam Sachen zu machen.
Wer von Ihnen steht morgens früher auf – Sie oder Ihre Frau?
Alice Cooper: Ich! Um Längen. Ich bin um fünf Uhr morgens munter. Meine Frau verlässt in der Regel erst das Bett, wenn ich von meiner Golfrunde heimkomme. Dann frühstücken wir zusammen.
Es gibt auf „Road“ ein paar ernsthafte Songs, etwa die Country-Ballade „Baby Please Don’t Go“ über Sehnsucht und Heimweh, die allermeisten der Lieder sind aber heiter - oder auch mal zweideutig wie „Big Boots“.
Alice Cooper: Ironie ist eine echte Grundzutat meiner Kunst. Nicht zuletzt auch die Selbstironie. Meine Musik hat nicht den Anspruch, das politische Geschehen abzubilden oder sich ernsthaft in irgendwelche gesellschaftlichen Diskussionen einzuschalten. Ich stand immer in der Mitte, bin weder besonders progressiv noch besonders konservativ. Gegen mehr Diversität, mehr Fairness und mehr Toleranz gibt es überhaupt nichts einzuwenden, aber manche Diskussionen kippen auch schon mal ins Alberne. In den meisten Fällen ist ein Kerl immer noch ein Kerl und eine Lady ist immer noch eine Lady. Ich finde, es wäre für alle von uns gut, wenn wir uns in unseren Debatten nicht immer so verbeißen würden, sondern vieles auch mal etwas lockerer nehmen könnten.
So wie im Song „Go Away“ über eine junge Frau, die Sie hartnäckig stalkt und so unangenehm sei wie ein Nierenstein.
Alice Cooper: (lacht) Oh, so einem Menschen sind wir doch alle schon einmal begegnet. Du sagst ihr freundlich, dass sie doch bitte gehen und dich in Ruhe lassen soll. Gerade mit dem Internet heute ist es total schwer geworden, sich zu verstecken und Geheimnisse zu bewahren. Jeder weiß immer über alles Bescheid. Aber in diesem Fall verzweifelt der Mann regelrecht und fragt sich, was er denn noch tun muss, um diese Stalkerin loszuwerden. Ich kreiere in meinen Songs halt immer Charaktere, die ich dann bis ins Absurde und Bizarre überzeichne.
Sie haben ihr Vagabundenleben angesprochen. Mit „Road“ haben Sie gewissermaßen dem tourenden Musikerleben ein Denkmal gesetzt. Welche Idee steckt dahinter?
Alice Cooper: Ich wollte nicht lange fackeln mit dieser Platte, und vor allem wollte ich mich bei meiner Band, die wirklich großartig ist, nicht nur bloß bedanken. Sondern ihr huldigen. Also waren alle eingeladen, Songs und Ideen beizusteuern, das Thema war mit „die Straße“ gesetzt. Es war wirklich toll, was wir alles eingesammelt und gefiltert haben. Jeder in der Band hat mindestens einen Song beigetragen, der es auf die Platte geschafft hat. Wir alle hatten heftig Lust, ein lautes und sehr gitarrenintensives Album zu machen. Hör‘ dir nur mal „White Line Frankenstein“ an, dieses gigantische, riesenfette Brett von einem Song, auf dem auch noch unser Freund Tom Morello mitspielt. Oder „Dead Don’t Dance“. So einen geilen Groove hörst du unter Garantie nicht jeden Tag.
Produziert hat das Album ein weiteres Mal der Haudegen Bob Ezrin, mit dem Sie seit mehr als fünfzig Jahren zusammenarbeiten und der unter anderem Alben von Pink Floyd, Kiss und Deep Purple aufgenommen hat. Was war Ihnen bei den Aufnahmen wichtig?
Alice Cooper: Dass wir die Essenz der Lieder festhalten. Diese Band – Ryan Roxie, Nita Strauss und Tommy Henriksen an den Gitarren, Chuck Garric am Bass, Glen Sobel am Schlagzeug – muss sich nicht warmspielen, die liefert wirklich ab und hat das ganze Album live eingespielt. Es war mir wirklich wichtig, alle miteinzubeziehen. Wir sind allerbeste Freunde, und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man das auch hört.
Wie bedeutend ist Freundschaft generell in Ihrem Geschäft?
Alice Cooper: Ich hätte große Schwierigkeiten, mit Menschen die Bühne zu teilen, mit denen ich mich nicht gut verstehe. Das ist ja auch das Schöne an den Hollywood Vampires, mit denen ich gerade quer durch Europa getourt bin. Joe Perry, Johnny Depp und ich spielen nun seit sieben Jahren in dieser Formation zusammen. Und wir haben uns noch kein einziges Mal gestritten. Wir sind drei Alphamännchen, die sich gegenseitig total respektieren und Rücksicht aufeinander nehmen.
Sie haben ohnehin den Ruf, ein umgänglicher Zeitgenosse zu sein.
Alice Cooper: Es bringt dich nicht weiter, ein Stinkstiefel zu sein. Ich fand es nie attraktiv, auf andere herabzublicken oder einen auf Rockstar zu machen. Ich halte sehr viel von Wertschätzung und von Empathie. Alle am Gelingen einer Show oder eines Albums Beteiligten sollen das Gefühl haben, dass ohne sie nichts geht. Der Kerl, der auf der Bühne die Kabel verlegt, oder das Mädel, das den Kühlschrank hinter der Bühne auffüllt, verdient denselben Respekt wie der Kerl, der vorne steht und seine Show abzieht.
Was haben Sie hinter der Bühne immer im Kühlschrank?
Alice Cooper: Nicht viel. Ich brauche eh nur Cola Light. Chips und solche Sachen machen mich überhaupt nicht an. Vor einer Show esse ich gar nichts. Ich war in meiner Jugend Mittel- und Langstreckenläufer, wir haben schon vor dem 3000-Meter-Lauf damals nichts gegessen. Und das habe ich bis heute so übernommen. Auf der Bühne will ich hungrig sein, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.
Und danach hauen Sie richtig rein?
Alice Cooper: Auch nicht. Ich verliere während einer Tournee immer Gewicht. Die mit Abstand wichtigste Mahlzeit ist für mich das Frühstück. Da schlage ich ordentlich zu. Mittags gibt es nur was Kleines und abends vielleicht einen Salat oder ein Müsli. Nach dem Konzert steht hinter der Bühne wirklich überall und immerzu Pizza herum. Die rühre ich erst gar nicht an.
Sie achten wirklich auf Ihre Gesundheit.
Alice Cooper: Das muss sein. In meinem Alter kannst du es dir nicht erlauben, nachlässig mit deinem Körper umzugehen. Er verzeiht es dir einfach nicht mehr. Als ich ein junger Mann war, hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich diesen Beruf so lange ausüben würde. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, mit 30 noch zu rocken.
Die Liste Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die ihren dreißigsten Geburtstag nicht erlebten, ist lang.
Alice Cooper: Richtig, das ist sie. Ich hatte Glück, dass es mich nicht aus der Kurve getragen hat. Früher, in den Siebzigern und Achtzigern, kam ich von einer Tournee nach Hause und war so kaputt, dass ich eigentlich sofort ins Krankenhaus gehört hätte.
Sie sollen Kollegen dabei unterstützen, nüchtern zu werden und nüchtern zu leben.
Alice Cooper: Ich habe mich mit einer Reihe von sogenannten Rockstars getroffen, weil sie sich an mich wandten und mir sagten, dass sie ein Problem haben. Das ist bereits ein riesengroßer Schritt. Denn wenn du deinen Zustand nicht länger ignorierst, verleugnest oder schönredest, dann möchtest du ihn auch ändern. Ich war lange genug selbst drogen- und alkoholabhängig, sodass ich mir eine gewisse Expertise zugestehen möchte. Ich bin wohl eine Art Vorbild. Viele denken, wenn selbst Alice Cooper heute clean und nüchtern ist, einer der Schlimmsten von allen, dann können auch sie mit dem Mist aufhören.
Fehlt Ihnen der Rausch manchmal?
Alice Cooper: Nein. Was ich gewonnen habe, ist so viel wertvoller als das, was ich aufgegeben habe: ein langes Leben mit wunderbaren Menschen an meiner Seite und eine lange Karriere. Von der ich immer noch nicht die Nase voll habe. An einem Rentnerleben reizt mich nichts. Und Golf spiele ich sowieso schon genug (lacht).
Viele Ihrer Zeitgenossen danken gerade ab. Aerosmith und Kiss etwa haben verkündet, dass sie sich bald zurückziehen werden.
Alice Cooper: Naja, das kennen wir doch. Wenn du sagst „Wir spielen jetzt noch eine letzte Tournee“, dann dauert diese Tournee eben locker acht Jahre lang (lacht).
Sie haben mal gesagt, dass Sie mindestens fünf Jahre länger bleiben als Mick Jagger, der gerade 80 geworden ist.
Alice Cooper: Ja, Mick ist fünf Jahre älter als ich. Paul McCartney auch. Sollten diese Jungs eines Tages aufhören, will ich diese fünf Jahre am Ball bleiben, um wenigstens sein Alter auf der Bühne zu erreichen. Als wir Kinder waren, war es ein vollkommen utopischer Gedanke, mit 75 in einer Rockband zu spielen. Im Alter unserer Opas! Es war absurd. Aber jetzt ist 75 ja ungefähr so wie damals 45. Nicht viele Jungs in meinem Alter schaffen es, so hart zu arbeiten wie ich, ohne müde zu werden.