
Abgesehen davon, dass Sie den Film „The Palace“ bewerben, sind Sie mit Ihrem Programm „Last Time to See Me Before I Die“ auf Tour. Bevor wir über Ihr Ableben sprechen – inwieweit haben Sie diese letzte Runde bislang genossen?
John Cleese: Es war deprimierend. Jedenfalls die Städte im Mittleren Westen der USA – riesige, rechteckige Gebäude in Grau, mit gelegentlichen Einsprengseln von Rot. Weite Straßen ohne Fußgänger. Wenn man jemand in ein paar Hundert Metern Entfernung sieht, möchte man ihm zuwinken. Geschäfte gibt es auch keine. In Louisville sagte man mir: „Es gibt hier nichts, was die Leute kaufen möchten.“ So muss es einen Tag nach einem Atomangriff aussehen. Kein Wunder, dass viele Amerikaner so wütend sind.
Aber gab’s denn zumindest bei Ihren Auftritten eine positive Stimmung?
Cleese : Die gab es. Von 23 Shows liefen 20 wirklich gut. Die Leute waren begeistert. Denn gerade weil die Leute an solchen Orten leben, sind sie froh, wenn jemand zu ihnen kommt und etwas präsentiert, von dessen Existenz sie keine Ahnung hatten. Der Humor von Monty Python ist ganz anders als der amerikanische – denn er ist absurder Nonsens.
Das heißt, die Menschen genießen Ihren Humor, obwohl der im ‚woken‘ Zeitalter in Misskredit geraten scheint.
Cleese : In der Tat, sehr viele Menschen mögen das. Ich kann sowieso nicht verstehen, warum die Woke-Bewegung einen solchen Einfluss gewonnen hat. Die Vorstellung, dass man zu allen gut sein soll, gibt es schon seit Jesus‘ Zeiten. Ich kann das auch unterschreiben. Aber diese Leute tun so, als hätten sie diese Haltung erfunden. Und effektiv gibt es viele Seiten daran, die überhaupt nicht gütig sind. Man nehme nur den Eifer, mit dem sie es darauf anlegen, dass Leute gefeuert werden. Mir erzählte ein amerikanischer Akademiker, dass die Universitäten des Landes in den letzten Jahren mehr Lehrbeauftragte entlassen hätten als während der McCarthy-Ära. Ich habe der Bewegung ja auch eine eigene TV-Show gewidmet – „The Dinosaur Hour“. Ihre Anhänger leiden an einer Krankheit, die sich darin äußert, dass sie alles wörtlich nehmen. Nur ein Beispiel: In einem ihrer Pamphlete heißt es: „Sagen Sie nicht, dass Sie auf jemandes Seite stehen, denn damit würden Sie die Leute beleidigen, die nicht stehen können.“ Wie soll man sich mit jemandem, der so denkt, ernsthaft unterhalten?
Sie fordern diese Leute auch immer wieder mit provokanten Statements heraus, etwa wenn Sie Donald Trump mit Hitler vergleichen und Letzterer dabei nicht so schlecht wegzukommen scheint.
Cleese : Eines der Probleme ist, dass die woke Klientel eine puritanische Sicht der Welt hat. Der zufolge sind Menschen entweder gut oder böse. Meine Mutter meinte immer: „Es gibt in allen von uns Gutes und Schlechtes.“ Aber wenn man sagt, dass Hitler nett zu seiner Sekretärin oder seinem Hund war, dann gibt es wütende Reaktionen. Denn Hitler muss zu 100 Prozent schlecht sein. Aber das ist Unfug, der nichts mit der Realität zu tun hat. Wir alle sind tief drin höchst verwirrte Kreaturen, die nicht wissen, was wir hier treiben. Und in uns schlummern ganze Massen unbewusster Kräfte, die uns in die unterschiedlichsten Richtungen treiben.
Es gilt auch als problematisch, dass Sie „The Palace“ mit einem Regisseur wie Roman Polanski gedreht haben, der 1977 eine 13-Jährige missbrauchte. Was für eine Meinung haben Sie zu ihm?
Cleese : Ich bin Roman zum ersten Mal 1970 begegnet, als er „Macbeth“ in London drehte. Und ich war fasziniert von seinen Ideen, von denen ich viel gelernt habe. Das war kurz nach der Ermordung seiner Frau Sharon Tate. Und ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als so eine Nachricht zu bekommen. Ich weiß nicht, wie jemand so eine Erfahrung überstehen kann. Was danach geschah, das vermag ich nicht zu sagen. Ich kenne die Details nicht. Auf jeden Fall war es vor ganz, ganz langer Zeit. Eine der Lehren des Christentums ist, dass man Menschen verzeiht, wenn jemand sein Verhalten ändert. Und Roman hat das getan. Sein Verhalten wird auch unterschiedlich bewertet. Zum Beispiel hatte er danach keine Probleme, Filme in Frankreich zu drehen. Da gab es keine Kontroversen. Ein anderer Fall ist Woody Allen. Auf ihn gibt es zwei Sichtweisen. Entweder ist er unschuldig oder ein ganz übler Kerl. Aber wie soll man die Wahrheit wissen, wenn die verschiedenen Mitglieder der Familie unterschiedliche Versionen der Geschichte erzählen? Das ist eine hoch komplizierte Angelegenheit.
Aber Sie hatten keine Bedenken, mit Polanski zu arbeiten?
Cleese : Ich wollte einfach mit einem der großen Meister des Kinos drehen und sehen, was ich von ihm lernen konnte.
Gibt es eigentlich Menschen, denen Sie selbst nicht verzeihen konnten?
Cleese : Mir fallen nur drei ein, aber in diesen Fällen kann ich das nur schwer. Denn das waren Leute, denen ich geholfen hatte und die mich dann alleinließen, als ich ihre Hilfe brauchte. Doch drei Fälle von persönlichem Groll in 84 Jahren sind ja nicht so schlecht.
„The Palace“ spielt in der Weltuntergangsatmosphäre vor dem Beginn des Jahres 2000. Inwieweit sind Sie heute apokalyptisch gestimmt?
Cleese : Dieses Gefühl ist bei mir sehr ausgeprägt. Denn ich sehe, wie die Welt von Gier beherrscht wird. Wenn du eine Gruppe reicher, mächtiger Leute hast, die lieber den Planeten zerstören, als bei ihren Gewinnen Abstriche zu machen, gibt es keine Chance auf große Wende. Ungeachtet der vielen jungen Leute, die die richtigen Ideen haben. Aber sie haben eben nicht die Macht.
Wie erklärt sich die Gier der Menschen? Sie meinten ja, dass in uns viele unbewusste Kräfte schlummern würden ...
Cleese : Das Hauptproblem ist unser Ego. Wir haben das alle. Aber die Frage ist, ob wir es kontrollieren können. Die Menschen, die das nicht vermögen, wie ein Trump, das sind alles Arschlöcher. Und die Menschen, die dazu imstande sind, sind angenehme Zeitgenossen, mit denen man gerne Zeit verbringt und arbeitet.
Wann zeigt sich denn bei Ihnen das Ego?
Cleese : Manchmal blitzt bei mir der Neid auf, wenn ich über bestimmte Menschen lese. Aber ich lasse nicht zu, dass dieser Neid mein Verhalten steuert. Wobei keiner von uns sein Ego loswird – es sei denn, wir meditieren alle 40 Jahre wie der Dalai Lama.
Auf wen waren oder sind Sie neidisch?
Cleese : Vor vielen Jahren war ich neidisch auf den Komiker Marty Feldman, als er einen Vertrag bei der BBC bekam, denn ich hielt ihn für überschätzt. Er hatte ein paar gute Nummern, aber diese Welle an Lob war nicht verdient. Ein anderer Fall: In den USA bin ich letztes Jahr in einem Saal aufgetreten, der nicht ganz ausverkauft war. Und irgendein anderer Komiker spielte dort dreimal hintereinander vor ausverkauftem Haus. Man meinte zu mir, er sei nicht besonders lustig gewesen, aber er war eben über die sozialen Medien bekannt. Auch da kam Neid hoch, aber im Leben geht es leider nicht vernünftig zu.
Werden Sie selbst von Gier heimgesucht?
Cleese : Ich war niemals besonders gierig, eher sehr großzügig, in manchen Fällen sogar zu großzügig. Mein Problem ist nur, dass ich meiner dritten Frau so viel zahlen musste, dass meine Rücklagen aufgebraucht sind. Das erklärt, weshalb ich immer noch arbeite. Was mir indes immer noch Spaß macht. Mit meiner Tochter Camilla Cleese, die auch Komikerin ist, arbeite ich an einer Musicalversion von „Ein Fisch namens Wanda“. Wir haben auch ein Drehbuch zu der Komödie „Lookalikes” geschrieben – eine sehr lustige Geschichte über die Doppelgänger von Hollywoodstars.
Es wurden überdies Projekte wie die Fortsetzung Ihrer legendären Komödienserie „Fawlty Towers“ angekündigt. Setzen Sie solche Verlautbarungen unter Druck?
Cleese : Erwartungshaltungen schaffen immer Druck, aber ich fand es sehr komisch, wie viele Leute schon im Voraus unser Scheitern prognostizierten. Offenbar ist das eine neue Form der Kritik: Man mäkelt an einem Projekt herum, obwohl dessen Autoren noch nicht mal wissen, was sie genau schreiben werden. Momentan haben Camilla und ich einen australischen Komiker angeheuert, der mit uns die Bücher verfassen wird. Aber wir legen erst mal die grundlegenden Koordinaten dafür fest. Abgesehen von meiner Figur wird keiner der früheren Charaktere zurückkehren.
Laut Ihrer Show bekommt man Sie vor Ihrem Ableben wohl kaum noch zu sehen. Sind Sie froh, dass Sie unseren Planeten verlassen und in ein womöglich sinnreicheres Dasein eintreten können?
Cleese : Das klingt nicht schlecht. Ich habe schon das Gefühl, dass uns ein besserer Ort erwarten könnte. Auf jeden Fall möchte ich auf meinem Sterbebett nicht traurig oder ängstlich sein. Ich halte mich lieber an eine Engländerin, die im späten 18. Jahrhunderte kurz vor ihrem Tod meinte: „Das wird alles höchst interessant werden.“
Sie glauben also, dass da noch etwas kommt?
Cleese : Es gibt schon Grund zur Annahme. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Nahtoderfahrungen und habe dazu auch akademische Konferenzen besucht. So bin ich zu dem Schluss gekommen, dass einiges dafür spricht, selbst wenn die Beweise nicht eindeutig sind. Ich hätte Lust, zu dem Thema auch noch eine Fernsehserie zu drehen.
Und wenn Sie wiedergeboren werden sollten, welche Existenz würden Sie sich wünschen?
Cleese : Es wäre nett, wenn ich eine Katze in meinem eigenen Haushalt werden könnte. Denen geht es ziemlich gut.
Welche Todesart wäre Ihnen am liebsten?
Cleese : Ein dänischer Zahnarzt starb 1989 an einem Lachanfall, als er sich „Ein Fisch namens Wanda“ anschaute. Das wäre vielleicht der perfekte Tod. Aber streng genommen würde ich doch lieber ganz in Ruhe abtreten.