Sie hatten alle drei Corona. Sind Sie wieder fit?
Billie Joe Armstrong: Ja, zum Glück sind wir alle wieder gesund. Höchstens noch ein bisschen angeschlagen von letzter Nacht, da wir bis in die Nacht unser Video zum Song „Dilemma“ gedreht haben. Aber was muss, das muss.
In besagtem Video sieht man Sie feiern, am Ende liegen Sie sturzbesoffen auf dem Boden und singen: „Willkommen zu meinen Problemen, dies ist keine Einladung.“
Armstrong: Der Song hat einen wirklich ernsten Kern. Er behandelt das schwierige Thema des Nüchternwerdens, Nüchternseins und Nüchternbleibens, das für viele von uns, mich selbst eingeschlossen, eine beständige Herausforderung darstellt.
Sie mussten sich 2012 wegen Alkoholismus behandeln lassen. Haben Sie die Sucht seither im Griff?
Armstrong: Ja. Mit ein paar Aufs und Abs, doch die grundsätzliche Richtung stimmt. „Dilemma“ ist tatsächlich ein sehr persönliches Lied. Zugleich jedoch weitet es den Blick. So viele Menschen, in unserem Umfeld und überhaupt, haben mit Abhängigkeiten, aber auch mit Problemen psychischer und emotionaler Art, zu kämpfen. Dieser Kampf ist für uns wie auch für unsere Liebsten oft sehr schmerzhaft, aber wir können ihm nicht aus dem Weg gehen.
Umso schöner, dass Sie ein Album gemacht haben, das energiegeladen ist und gewissermaßen die besten Seiten von Green Day auf fünfzehn Liedern vereint. Wen wollen Sie retten mit „Saviors“?
Tré Cool : Den Rock ’n’ Roll, uns selbst, am besten gleich die ganze Welt (lacht). Der Titelsong „Saviors“ war einer der ersten, den wir für das Album geschrieben haben. Zu der Zeit wütete noch die Pandemie, alle waren verzweifelt und suchten gleichzeitig nach etwas, woran sie sich aufrichten konnten.
Mike Dirnt: Uns ging es nicht anders, und wir hatten und haben zum Glück die Musik, den Punkrock und schlussendlich nun dieses aus dem Chaos geborene Album. In einer Welt der Ungewissheit und mitten auf einem Meer des Wahnsinns, das tiefer denn je zu sein scheint, müssen wir uns kleine, sichere Rettungsinseln suchen. Ansonsten werden wir verrückt.
Geben Sie sich auch untereinander Halt?
Armstrong: Absolut. Wir hängen an uns und wir halten uns aneinander fest. Die Band ist tatsächlich in all den Jahren immer so etwas wie unser Rettungsboot gewesen. Wir drei sind sehr, sehr enge Freunde. Ja, mehr als das. Wir sind wie eine Familie.
Ihr Song „The American Dream Is Killing Me“ zeichnet das Bild einer zerrissenen Gesellschaft. Im Video treten Sie als Zombies auf. Kann man die Welt nur noch mit Humor nehmen?
Armstrong: Horrorfilme waren immer schon super darin, die Wirklichkeit bildhaft auf die Spitze zu treiben. Gerade bei uns in den USA grassieren Angst, Hass und Unversöhnlichkeit. Es gibt keinen wirklichen Mittelweg mehr oder wenn, dann scheint niemand daran interessiert zu sein, ihn zu gehen. Wut und Waffen sind allgegenwärtig. Wir leben in einem gefährlichen Land, das kaum noch wirkliche Diskussionen und Auseinandersetzungen zulässt, befeuert natürlich von den sozialen Medien.
Die Sie sehr kritisch sehen?
Armstrong: Ja, denn es hilft oft nicht weiter, in diesen Medien impulsiv und unreflektiert irgendwelche Inhalte zu verbreiten, die oft falsch sind und zusätzlich spaltend wirken. Ich sehe mich hier selbst in der Verantwortung. Es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Songwriter bin, der sich jede einzelne Zeile, die er schreibt, sehr gut überlegt. Oder ob ich einfach bei Twitter alles heraushaue, was mir in den Kopf kommt. Jeder von uns hat dank des Internets das Potenzial, etwas politisch Strohdummes in die Welt zu setzen.
Ist der Song auch eine Warnung vor einer weiteren Amtszeit Donald Trumps?
Armstrong: Indirekt ganz sicher. Wir hatten „The American Dream Is Killing Me“ ursprünglich schon für unser vorheriges Album geschrieben. Damals war Trump an der Macht, und wir wollten ihn nicht herausbringen, weil uns ein weiterer Anti-Trump-Song wie eine zu niedrig hängende Frucht erschien. Also einfach zu offensichtlich. Man würde es sich auch zu leicht machen, nur auf Donald Trump einzudreschen und die viel tiefer gehenden Missstände in unserem Land außer Acht zu lassen. Trotzdem ist Trump natürlich eine echte Bedrohung. Populismus kennt keine brauchbaren Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit.
2024 wird nicht nur ein wichtiges Jahr für die Weltpolitik, sondern auch für Sie als Band. Nicht nur Ihre Ehe, sondern auch das Durchbruchsalbum „Dookie“ feiern dreißigjähriges Jubiläum. Ist es Zufall, dass diese beiden Ereignisse im selben Jahr passierten?
Armstrong: 1994 war verdammt intensiv und auch impulsiv. Wahnsinn, wenn ich heute daran denke. Ich war mit 22 schon verheiratet mit meiner Frau Adrienne und wurde mit 23 Vater. Und plötzlich spielten wir nicht mehr vor unserer kleinen, treuen Gefolgschaft, sondern vor einem richtig großen Publikum, das längst nicht mehr nur aus typischen Punkfans bestand. Wir mussten ganz schnell wachsen und uns an alles gewöhnen. Wir waren jung, wir waren verrückt. Plötzlich hatten wir diesen Erfolg und waren uns schnell darin einig, dass wir für den Rest unseres Lebens weiter Musik machen wollten. Green Day und meine Frau sind für mich die Dreh- und Angelpunkte meines Erwachsenseins.
Mit dem Song „Fancy Sauce“ wird deutlich, dass Sie auch die Beatles sehr gemocht haben müssen.
Armstrong: Auf jeden Fall. Die Beatles waren immer ein markanter Einfluss für uns. Sie lebten den Traum, den wir später auch lebten, sie ebneten uns den Weg. Ich liebe sowieso diese ganzen britischen Rocker, The Who, The Animals, The Kinks, auch auf Glamrock stehe ich total. The Sweet sind einfach geil, und David Bowie könnte ich den ganzen Tag hören.
Haben Sie nicht auch das neue Album überwiegend in London aufgenommen?
Armstrong: Haben wir. Wir waren mit unserem Produzenten Rob Cavallo in den RAK Studios, direkt am Regent‘s Park, wo wir oft spazieren gingen. Wir wollten einfach mal raus aus unserer gewohnten Umgebung in Oakland, mal etwas Neues sehen. Ich finde, das hat sich gelohnt. Einmal trafen wir im Keller eines Musikladens zufällig Paul McCartney und sagten Hallo. Jetzt neulich erst fuhren wir in einem Taxi, und es stellte sich heraus, dass unser Taxifahrer der Bruder von Malcolm McLaren war. So etwas passiert dir wirklich nur in London.
Das akustische, weiche „Father To A Son“ sticht aus den Uptempo-Nummern deutlich heraus.
Armstrong: Den Song habe ich meinen beiden Söhnen gewidmet, die jetzt 28 und 25 Jahre alt sind. Ich schrieb „Wake Me Up When September Ends“ vor zwanzig Jahren über meinen Vater. Ich war zehn, als er starb. Dann wurde ich früh selber Vater und wusste einfach nicht, was ich tat, was von mir erwartet wurde. Ich gab mein Bestes und war immer dabei, als diese Babys zu Jungs, diese Jungs zu jungen Männern wurden.
Ihnen selbst scheint das Alter wenig anzuhaben.
Armstrong: Ach, nein? Kannst du sie nicht sehen, die ganzen Falten? Du hast schon recht, das Altern ist gut zu uns. Sicher, ich färbe mir die Haare, aber ich färbe mir die Haare schon, seit ich fünfzehn war. Das ist eben Punkrock. Ich stand immer auf Mode, und meine Frisur war auch so ein bisschen ein Statement für mich. Ich wüsste nicht mal, ob ich in echt grau bin, weil ich einfach immer gefärbt habe (lacht).
Sie sind mittlerweile allesamt 51 Jahre alt. Können Sie das glauben, wenn Sie sich mit gleichaltrigen Freunden vergleichen, die nicht in Rockbands spielen?
Dirnt: (lacht) Wir haben halt eine sehr gute Lebensentscheidung getroffen. Rock ’n’ Roll ist eine Kunstform, die zur Ruhelosigkeit einlädt. Du bist immer in Bewegung, im Kopf wie auf der Bühne. Unsere Band ist ein natürliches Fitnessprogramm.
Armstrong: Interessanterweise arbeiten viele meiner Punkrockfreunde von früher heute als Lehrer. Manche auch als Aktivisten. Überhaupt haben die meisten ehrenwerte Jobs ergriffen.
Sind Sie als politisch engagierter Lyriker auch ein Aktivist?
Armstrong: Nun, ich weiß nicht, ob das nicht zu viel der Ehre ist. Ich war immer gegen Krieg, wir alle in der Band sind gegen Krieg, aber ist das denn schon Aktivismus oder einfach gesunder Menschenverstand? Ein Aktivist ist für mich eher jemand wie ein enger Freund von mir. Er hat ein Refugium für Schimpansen gegründet, die jahrelang als Versuchstiere leben mussten und jetzt zum ersten Mal überhaupt richtige Erde unter ihren Füßen spüren können. Ich weine Freudentränen, wenn ich sehe, wie diese Tiere nun zwischen den Bäumen herumspringen und wie glücklich sie dabei aussehen.