Passend zu Ihrem Jubiläum kommt der neunte Roman Ihrer „Wanderhuren“-Serie heraus. War das beabsichtigt?
Elmar Wohlrath: Gar nicht. Letztes Jahr wurden wir vom Verlag zu einem Essen eingeladen, um den 20-jährigen Jahrestag unseres ersten Vertrags zu feiern.
Iny Klocke : Das war eines der Lokale, wo man sich vor dem Ober verbeugen musste, dass man überhaupt bedient wird.
Elmar Wohlrath: Aber da war die Welt noch in Ordnung. Eine Woche später rief unsere Cheflektorin an und meinte, sie müsse unbedingt mit uns sprechen. Wir haben uns gefreut, denn es ist sehr angenehm, mit ihr zu arbeiten. Das heißt, wir haben uns gefreut, bis sie dann langsam mit der Wahrheit herausgerückt ist. Und zwar, dass die Verlagsleitung und unsere Agentin zu der Auffassung gelangt seien, dass zu unserem Jubiläum ein besonderer Band erscheinen müsse. Es hat gedauert, bis wir begriffen haben, dass sie diesen Band meinten.
Iny Klocke: Dabei hatten wir schon einen Roman, aber der wird erst nächstes Jahr herauskommen.
Elmar Wohlrath: Man hat uns dann gedrängt, dass wir zumindest überlegen sollten, ob wir das schaffen. Ein paar Wochen später waren wir auf einer Recherchefahrt, haben nochmals ein paar „Wanderhuren“-Bücher gelesen und dafür Material gesucht. Auf etlichen Spaziergängen haben wir dann eine Idee zusammengezimmert.
Wäre es möglich gewesen, sich dem Verlagswunsch zu verweigern?
Elmar Wohlrath: Sagen können hätten wir’s, allerdings hätte es dann eine gewisse Reaktion gegeben.
Iny Klocke: Wir hatten eben gewisse Freiheiten, die wir uns erarbeitet haben, aber es ist leicht, uns ein Stöckchen vor die Füße zu werfen.
Elmar Wohlrath: Wir haben immer wieder gesagt „Wir hätten eine Idee“, und dann hieß es „Nein, das verkauft sich nicht.“
Iny Klocke: Das hat unsere frühere Cheflektorin oft genug gesagt.
Und wer behielt recht?
Iny Klocke: Wir hatten einmal eine Idee für einen Roman im 19. Jahrhundert, und sie meinte: „19. Jahrhundert geht gar nicht.“
Was war das Resultat?
Iny Klocke: Nach vier Monaten waren 318.000 Exemplare verkauft. Ich habe diese Dame gefragt, was sie dazu meint, und sie sagte: „Da hatte ich mir was ganz anderes vorgestellt.“ Letztlich haben wir doch immer wieder gemacht, was wir wollten. Einmal wollte der Verlag einen „Wanderhuren“-Roman von einer zweiten Tochter. Aber wir hatten zu der Zeit keine Lust mehr und meinten, wir könnten höchstens etwas über den Sohn der Wanderhure schreiben. Da kam die Antwort: „Nein, eine männliche Hauptfigur funktioniert nicht.“
Elmar Wohlrath: Zu unserem Pech hatte unsere Agentin entsprechende Verbindungen zum Verlagschef, und der drängte dann auf den Roman um den Sohn.
Aber nach dem Band im nächsten Jahr ist die „Wanderhure“ für Sie erledigt?
Iny Klocke: Noch mal ein „Wanderhuren“-Roman ginge erst in vier bis fünf Jahren. Wir brauchen dazu geistige Distanz.
Elmar Wohlrath: Wenn ich erzählen würde, wie es zu den Fortsetzungen gekommen ist, wäre das ein Roman für sich. Wir hatten damals das erste Manuskript eingereicht, und irgendwann rief uns unsere Agentin an einem frühen Nachmittag an, dass sie einen von uns unbedingt noch heute sprechen müsse. Da ich früher Feierabend hatte, hat es mich getroffen. Sie meinte dann zu mir: „Herr Wohlrath, ich habe zwei Neuigkeiten. Die erste ist: Knaur ist bereit, die ‚Wanderhure‘ und die ‚Goldhändlerin‘ anzukaufen. Voraussetzung: Sie müssen bis Montag ein Exposé für die Fortsetzungen der ‚Wanderhure‘ abgeben.“ Das war dann hart. Ich wollte die Figur des Michel, des Ehemanns der Titelheldin, im zweiten Band sterben lassen. Und da meinte die damalige Cheflektorin: „Herr Wohlrath, wenn sie Michel in dem Band umbringen, bringe ich sie um.“ Sie hatte eben doch auch Humor.
Ihr Output ist ja enorm. Wollen Sie nicht mal ein bisschen auf die Bremse treten?
Iny Klocke: Eigentlich wollen wir uns maximal ein Vierteljahr mit einem Roman beschäftigen. Aber während Corona haben wir unser Schreibpensum um 30 Prozent erhöht. Im ersten Jahr haben wir sechs Romane geschrieben. Da haben wir uns an der Tastatur festgeklammert.
Elmar Wohlrath: Denn am Computer waren wir weg von dem Ganzen. Fernsehen konntest du nicht mehr anschauen.
Iny Klocke: Wir sind ein bisschen spazieren gegangen, und in kürzester Zeit kannten wir jeden Baum persönlich.
Elmar Wohlrath: Also haben wir haben geschrieben, geschrieben und geschrieben.
Wäre es jetzt nach Ende der Pandemie für Sie vorstellbar, ein Jahr lang gar nichts zu schreiben?
Iny Klocke: Was sollten wir in der Zwischenzeit tun?
Sie sind doch viel auf Recherchereisen. Wie wäre es, das aus Spaß an der Freud zu tun?
Iny Klocke: Das tun wir auch teilweise, aber dann kommen Ideen.
Elmar Wohlrath: Wir wollten 2010 ohne jeden Gedanken an einen Roman mal nach Irland fliegen, um uns das Land anzusehen. Zwei Wochen vor dem Abflug bin ich aufgewacht und hatte eine Idee.
Laufen historische Romane eigentlich noch gut?
Iny Klocke: Sie sind wieder ein bisschen hochgekommen.
Elmar Wohlrath: Wir waren zum letzten Mal 2019 in einer deutschen Buchhandlung, und da standen sie direkt neben den Softpornos. Seither sind wir aber kaum in Buchhandlungen gekommen.
Der Buchmarkt ist ja unter Druck. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Iny Klocke: Das Problem ist die Anziehungskraft dieses komischen Dings, bei dem die Leute auf den Tasten herumklopfen.
Elmar Wohlrath: Als wir vor nicht allzu langer Zeit mit der S-Bahn nach München gefahren sind, habe ich nur zwei Leute gesehen, die Bücher gelesen haben. Alle anderen waren mit ihren Handys beschäftigt.
Iny Klocke: Ich glaube allerdings, dass dieser Hype wieder abflauen wird. Grundsätzlich müsste mehr für Kinder getan werden, dass sie mehr zum Lesen kommen. Wenn man im Leben etwas werden will, muss man lange Texte lesen und verstehen können.
Elmar Wohlrath: Und dafür bräuchte es die entsprechende Jugendliteratur.
Sie könnten die ja schreiben.
Elmar Wohlrath: Wir haben vor fast 40 Jahren ein Jugendbuch geschrieben, aber dann gab es in den Verlagen einen totalen Umschwung. Es kamen völlig neue Lektoren, die ihre Leute bevorzugt haben. Und so sind wir auch von Science Fiction und Fantasy, die ja in der Jugendliteratur eine große Rolle spielen, abgekommen.
Iny Klocke: Wir haben einmal über die Agentur einen Versuch unternommen, aber die wollten, dass wir Jugendsprache verwenden.
Elmar Wohlrath: Dabei ist das etwas, was sich innerhalb von drei Jahren verändert.
Iny Klocke: Wie sollen die Kinder richtiges Deutsch lernen, wenn sie irgendwelches Geplappere lesen?
Heutzutage spielen bei der Sprache aber noch andere Sensibilitäten eine Rolle. Inwieweit berücksichtigen Sie diese?
Iny Klocke: Wir haben die Texas-Trilogie geschrieben, die im 19. Jahrhundert spielt. Und zu der Zeit wurde für einen Schwarzen eben das N-Wort gebraucht.
Elmar Wohlrath: Das kannst du nicht ändern. Du kannst nicht sagen „Mein von Gott mit einer anderen Hautfarbe gesegneter Bruder. Mein Herz schmerzt, wenn ich dir zur Anfeuerung deiner Arbeitskraft ein paar Hiebe versetzen muss.“
Sie halten auch nichts davon, wenn die Wortwahl bei bestimmten Autoren – etwa Astrid Lindgren – jetzt in den neuen Ausgaben verändert wird?
Elmar Wohlrath: Ich bin bei Astrid Lindgren nicht ganz dagegen. Wenn man das bei der Kinderliteratur sensibel macht, ist es noch möglich.
Iny Klocke: Aber bei Jugendliteratur ab 12 sollte man vorsichtig sein. Denn ab diesem Alter muss das Leben vorbereitet werden. Und wenn man bei der Erwachsenenliteratur schaumspült, ändert das nichts, wenn man es verleugnet. Die Leute, die das verlangen, sind eine intellektuelle, leicht sektiererische Gruppe, die von der wahren Lehre überzeugt ist. Aber mit ihren Forderungen erreicht sie genau das Gegenteil, weil sich die Masse nie danach richten wird.
Doch was ist, wenn Ihr Verlag verlangt, dass Sie „schaumspülen“?
Elmar Wohlrath: Wir können ja auch das Schreiben sein lassen.
Iny Klocke: Jederzeit.
Aber Sie haben doch ständig Ideen und klammern sich mitunter an der Tastatur fest, wie Sie vorhin erwähnten.
Elmar Wohlrath: Wir können auch im Selbstverlag arbeiten. Das wäre auch nicht so übel. Es geht in einem Buch nicht darum, wie man es schreibt, sondern was man damit ausdrücken will.
Iny Klocke: Wir schreiben historische Romane, und ich werde einen Teufel tun, etwas zu verfälschen.
Elmar Wohlrath: Man kann die ganzen Sachen nicht plötzlich schönreden.
Iny Klocke: Aber man kann zeigen, dass es nicht gut war. Man kann negativ belegte Worte entsprechend zuordnen und zeigen, dass das nicht richtig war. Und zwar, indem sie von einer negativen Person ausgesprochen werden. Die positive Figur sollte solche Worte nicht in den Mund nehmen oder gegebenenfalls ihre Meinung dazu sagen. Das kann man steuern, aber man darf die Geschichte nicht verleugnen.
Elmar Wohlrath: Ich habe ein Beispiel aus dem Roman um die Sängerin Cristina, der im März erscheint. Da wird die Hauptheldin von dem Bösen ´Zigeunerin´ genannt, weil sie aus dem fahrenden Volk stammt. Und darauf entgegnet ein Nebenheld, dass ihm solche Begriffe egal sind, weil er von einem ´Ägypter´ – das war damals die Bezeichnung für die Sinti – im Krieg schwer verletzt gerettet wurde.
Eine andere mögliche Bedrohung für die Autonomie der Autoren ist die künstliche Intelligenz. Wird die eines Tages Romane schreiben?
Iny Klocke: Ich glaube nicht daran.
Elmar Wohlrath: In meinen schwärzesten Fantasien sehe ich in 100 Jahren eine Menschheit, die nicht mehr lesen und schreiben kann, weil die KI ihnen alles vorkaut. Die Leute sagen zur KI: ‚Kannst du mir das und das erzählen?‘ Das heißt, wahrscheinlich können sie nur noch Bilder anschauen, weil ihre Fantasie nicht mehr ausreicht, um etwas Gehörtes umzusetzen.