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75. Todestag
Höherer Blödsinn: Der große Karl Valentin war mehr als Fasching
Karl Valentin war ein bayerischer Philosoph. Eine Spurensuche und eine Würdigung 75 Jahre nach seinem Tod. Wo ein Zitat noch immer Zündstoff birgt.
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:11 Uhr

Was war? Was war wahr? Und war überhaupt was, was irgendeiner tieferen Wahrheit zu ihrem Recht verhilft? 

Also, ganz trivial ist es nicht. Schon gar nicht, wenn es um diesen dürren, klapprigen, halb verhungerten, ängstlichen und doch so genialen, tragikomischen und geistreichen Menschen namens Karl Valentin geht. Ein einziges Zitat aus der schier unerschöpflichen literarischen Hinterlassenschaft des wahrscheinlich wichtigsten bayerischen Philosophen kann noch 75 Jahre nach seinem Tod gleichzeitig für höchstes Amüsement, Linderung der Seelenpein, heillose Verwirrung und sogar ein kleines bisserl Empörung sorgen. Kenner werden jetzt sagen, dass zu Valentin schon alles gesagt wurde – und zwar auch schon von jedem. Doch es gibt sie noch, die kleinen, denkwürdigen Überraschungen. 

Unbekanntes Zitat von Karl Valentin passte genau in die Corona-Zeit

Die Geschichte mit dem Zitat beginnt vor rund zwei Jahren im allerdunkelsten Corona-Winter 2020/21, als die Menschen einsam und allein in ihren Wohnungen saßen und hofften, dass es nicht so schlimm wird, wie es schon ist. Kurz vor dem Jahreswechsel meldeten sich die Chefs der Bayern-Redaktion der Augsburger Allgemeinen und riefen nach einem satirischen, lustigen und aufmunternden Text zum Jahresbeginn.

Fast zeitgleich war im Münchner Volk-Verlag, der sich mit seinen begrenzten Möglichkeiten engagiert und liebevoll um das kulturelle Erbe Bayerns kümmert, ein kleiner Bildband erschienen. Darin sind moderne Aufnahmen des Fotografen Herbert Becke mit alten Sprüchen Valentins – ausgewählt von seinem Nachlassverwalter Gunter Fette– kombiniert. Das kleine Büchlein kam wie gerufen, denn darin fand sich ein – bisher weitgehend unbekanntes – Zitat Valentins, das in die bleierne Corona-Zeit passte, als wäre es eben erst formuliert worden: 

„Über kurz oder lang kann das nimmer so weitergehen, außerdem es dauert noch länger, dann kann man nur sagen, es braucht halt alles seine Zeit, und Zeit wär´s, dass es bald anders wird.“

75. Todestag: Was ist Karl Valentins Bedeutung im Hier und Jetzt?

An dieser Stelle ist ein Zeitsprung nötig, auch wenn Valentin immer wieder davor gewarnt hat, bei einer Geschichte mit dem Schluss zu beginnen, weil sie dann ja zu früh zu Ende ist. Egal: Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Corona-Ermutigungsartikels meldeten sich erneut die Augsburger Kollegen, dieses Mal aus der Kultur-Redaktion. Wieder sollte ein Text – also der, den Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gerade lesen – über Valentin geschrieben werden. Jetzt sollte es allerdings nicht mehr in erster Linie darum gehen, Zuversicht zu verbreiten oder sich der Lust am hintersinnigen Humor hinzugeben. Der Auftrag lautete, aus Anlass seines Todes vor 75 Jahren an den großen Münchner Volkssänger, Literaten und Filmemacher zu erinnern, ein paar dieser wunderbaren alten Geschichten neu zu erzählen und vor allem: nach Valentins Bedeutung im Hier und Jetzt zu fragen. Eine neue Recherche musste beginnen. Sie basiert auf einer raumzeitlich übergreifenden Erkenntnis Valentins, gegen die auch ein Astrophysiker kaum stichhaltige Argumente finden dürfte:

„Wer am Ende ist, kann von vorne anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite.“

Die Recherche führte hierhin, dahin, dorthin und auf krummen Wegen durchs Internet sogar bis nach Wien. Dort, so stellte sich heraus, lebt ein strenger Herr namens Gerald Krieghofer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, falsche Zitate im Netz zu entlarven. Ein wild entschlossener, digitaler Fake-Jäger. In seinem Blog falschzitate.blogspot.com findet sich eine stattliche Sammlung von starken Sprüchen, die fälschlicherweise berühmten Persönlichkeiten von A (wie Konrad Adenauer) bis Z (wie Stefan Zweig) zugeschrieben werden. Und dort fand sich – Schreck lass nach! – auch besagtes Valentin-Zitat aus der Augsburger Allgemeinen vom 2. Januar 2021. Dass es in den digitalisierten Texten Valentins im gesamten Universum des Internets nicht nachweisbar war, reichte für Krieghofer aus, um es in die Liste der mutmaßlichen Falschzitate aufzunehmen.

Das Zitat war zu valentinesk, um nicht von Valentin zu sein

Die größtmögliche Katastrophe schien perfekt. Der Autor – immer schon ein Bewunderer des großen Valentin– musste realisieren, dass er seit knapp zwei Jahren vor aller Welt als mutmaßlicher Fälscher am Pranger stand. Falsche Zitate gelten im seriösen Journalismus als schwere Verfehlung. Und seinem Idol, wenn auch versehentlich, ein Falschzitat untergejubelt zu haben, schmerzt obendrein ganz persönlich. 

Doch der Autor war, wie sich herausstellte, nicht allein. Das Zitat hatte reißende Abnehmer gefunden – im Internet, in sozialen Netzwerken, im Rundfunk, in Zeitungen und Zeitschriften. Es hatte sich quasi mit digitaler Geschwindigkeit verbreitet. Kaum einer zweifelte an der Echtheit. Einer schrieb es vom anderen ab. Es war einfach zu schön, um falsch zu sein. Es war zu valentinesk, um nicht von Valentin zu sein.

Universum der Literatur ist größer als das Internet

Also: Gewissheit musste her – und zwar auf analogem Weg. Er führte ins Valentin-Karlstadt-Musäum im Münchner Isartor. Dort wacht Direktorin Sabine Rinbergerüber das kulturelle Erbe von Karl Valentin, seiner kongenialen Mitstreiterin Liesl Karlstadt und all der anderen Münchner Volkssänger. Die Antwort gab es prompt. Rinberger wusste, wo sich das Originalzitat findet – in dem tieftraurigen Nachkriegsmonolog „Gegenwart“ aus dem Jahr 1946, oder genauer: auf Seite 162 im ersten Band der im Piper Verlag erschienenen Gesamtausgabe „Der große Karl Valentin“. 

Dem mit sich und der Welt hadernden Autor fiel, der Schande entronnen, ein dicker Stein vom Herzen. Der strenge Herr Krieghofer gestand seinen Missgriff höflich ein, bedankte sich brav für den Hinweis und korrigierte umgehend den Eintrag in seinem Blog. Entscheidend aber ist: Der analoge, aber geniale Karl Valentin hat, so darf man das sagen, 75 Jahre nach seinem Tod in der digitalen Welt triumphiert. Und so kommt am hinteren Ende vom Anfang auch noch eine tiefere Wahrheit ans Licht: Das Universum der Literatur ist größer als das Internet.

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Dass eine Wahrheit verschüttgehen kann, weil sie gerade nicht gebraucht wird, und später wieder hervorgeholt wird, weil sie halt doch wieder nützlich erscheint, zeigt sich an den Höhen und Tiefen des künstlerischen Lebens von Karl Valentin. Sein Aufstieg begann in einer Zeit vor dem Internet und vor dem Fernsehen. Auch das Radio spielte noch keine Rolle, als der junge Komiker aus der Au, die damals noch mehr Dorf als Vorstadt war, sich unter den Münchner Volkssängern einen herausragenden Namen machte.

Seinen Durchbruch erlebte Karl Valentin 1908

Wer sich amüsieren wollte, musste damals in eines der vielen Wirtshäuser, Vorstadttheater oder Varietés gehen. Es war die gute alte Zeit, in der die Zukunft noch besser war als früher – auch wenn sich das später als Trugschluss herausstellte. Die Welt hatte die beiden Weltkriege noch vor sich. Atombomben gab es noch nicht. Der Motorwagen, den ein gewisser Carl Benz erfunden hatte, war noch nicht in Serie gegangen. Das Nonplusultra an Wissen hieß noch nicht Google, sondern Albert Einstein. Und vom Klimawandel war noch nicht die Rede. 

Seinen Durchbruch erlebte der 1882 unter dem Namen Valentin Ludwig Fey geborene Karl Valentin erst im Jahr 1908. Bis dahin lief es nur mittelprächtig. Es setzte Schläge in der Schule, die er sieben Jahre lang als „Zuchthausstrafe“ erlebte, und es gab Prügeleien mit den Burschen aus Haidhausen, bei denen der „rote Deifi aus der Au“, wie der junge Valentin wegen seiner Hinterlist und seiner roten Haare genannt wurde, angeblich auch selber kräftig austeilte. Danach folgten die vom Vater verordnete Schreinerlehre und einige Gesellenjahre – eine Zeit, die laut Valentin damit endete, dass er bei seinem letzten Chef einen Nagel klaute, in die Wand schlug und an den selbigen seinen Schreinerberuf hängte. Ein Intermezzo blieben auch die Jahre als Chef des vom Vater geerbten Speditionsgeschäfts, das unter Valentins Leitung relativ zügig pleiteging. 

Auch aus der Komikerkarriere, die er schon vor 1900 mit ersten Auftritten startete, wurde erst einmal nix. Das Projekt mit einem selbst gebauten „großen Orchestrion“, einer Musikmaschine, die angeblich 30 verschiedene Instrumente imitierte und unter Ausnutzung aller Körperteile gespielt wurde, scheiterte kläglich. Im Rückblick schrieb Valentinüber seinen Apparat: 

„Er wog acht Zentner und hatte nur einen großen Nachteil: Das Publikum war entsetzt darüber, sonst war er gut. In einem Anfall von Bierrausch, wie er sich in meiner Jugend öfters ereignet hat … zerschmetterte ich die Klamotte mit einer Axt.“

Karl Valentin suchte sein Glück nicht nur in München

Sein Glück hatte Valentin damals auch außerhalb Münchens gesucht. Seiner Mutter schrieb er im Jahr 1905 aus Halle, dass er keinen Pfennig Geld mehr hatte. 

„Ich habe drei Tage nichts gegessen als Brot. Was ich seit einem Jahr durchgemacht habe, kann ich Dir gar nicht beschreiben – ich wundere mich selbst, dass ich so viel aushalten kann.“

Fortan hielt er sich, nun wieder in München, als Zitherspieler über Wasser. Das Ende seiner frühen Hungerjahre und den Durchbruch auf der Bühne markierte ein Stück, in dem er dem geneigten Publikum unter anderem erklärte, warum ein Aquarium einen Boden braucht. 

„Das Aquarium hat ringsherum vier Glaswände, und unten hat es einen Boden, der das Wasser hält. Wenn Sie nämlich oben Wasser hineinschütten würden, und der Boden wäre nicht da, da könnten Sie ja oben zehn, zwanzig oder sogar dreißig Liter hineinschütten – das würde alles wieder unten hinauslaufen.“

Ungezählte Male hat Valentin danach noch den Beweis erbracht, dass etwas völlig logisch und richtig und korrekt und dennoch ein ziemlicher, in diesem Fall sogar ein bodenloser Blödsinn sein kann. In einem seiner Vorträge hat er sich dafür recht scheinheilig entschuldigt: 

„Na, da seh’n Sie doch ganz deutlich,

Hochverehrtes Puplikum,

Nichts als Blödsinn, Blödsinn, Blödsinn,

Nehmens mir die Sach’ nicht krumm!“

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Wie viel Vergnügen dieser Riesenblödsinn den Menschen bis heute bereitet, kann Annamaria Beckel bezeugen. Seit nunmehr 18 Jahren arbeitet sie in dem winzigen Kammerl am Fuß der schmalen Wendeltreppe im Isartor, das zugleich Kasse und Shop des Valentin-Karlstadt-Musäums ist. Die Gaudi, so berichtet sie, beginnt schon mit den Eintrittspreisen: 2,99 Euro für Erwachsene, 1,99 Euro für Kinder. „Da schau’n die Leut erst mal, wenn ich ihnen einen Glückscent zurückgeb“, berichtet Beckel. Und wenn dann einer generös den Cent in das kleine Schüsserl auf dem Mini-Tresen wirft, wo regelmäßig schon ein kleines Häuflein Cent-Münzen liegt – „dann“, so sagt sie, „kann ich mich nicht beherrschen. Da sag ich dann: Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen.“

Beckel arbeitet seit 18 Jahren im Valentin-Karlstadt-Musäum

Für Beckel ist das der Moment, in dem sich zeigt, wie tief das Verständnis für Humor bei ihrem Gegenüber ist. Einige Leute reagierten „ein bisserl pikiert“. Da ist humortechnisch noch Luft nach oben. Aber wenn zum Beispiel einer schmunzelt und sagt: „Sehr gerne, ich bin immer großzügig“, dann weiß sie sofort, dass der hier an der richtigen Adresse ist. „Dann passt’s wieder“, sagt Beckel. 

Dann steigen die Damen und Herren nach oben, vorbei am eigenen „Eingang für Kaminkehrer“, vorbei an der wunderbaren Aussicht auf die bayerischen Alpen, die leider zugemauert wurde. Sie finden einen „liegenden Stehkragen“, einen watteummantelten „Winterzahnstocher“ und ein fest verschlossenes Einweckglas mit „Beamtenschweiß (sehr selten)“. Sie erfahren, warum der Valentin gar so ein Krischperl war, bei dem jede Rippe einzeln hervortrat: 

„Mich hat halt früher meine Mutter immer zum Meerrettichreiben hergenommen.“

Und ganz oben im Turmstüberl, wo es Brotzeit und Bier, Kaffee und Kuchen gibt, flattert ihnen gleich beim Hineingehen noch eine schwarze Fledermaus vor die Nase. Wer da noch erschrickt, ist selber schuld. Drei Stockwerke tiefer, kann Frau Beckel die unmittelbare Wirkung des Besuchs an den Gesichtern ablesen: „Hier gehen die meisten Leut gut gelaunt raus, also eigentlich alle.“ 

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Bis heute wirken Valentins Absurditäten und Grotesken unmittelbar auf jeden, der sich seiner skurrilen Situationskomik und seinen wortakrobatischen Winkelzügen öffnet. Doch damit nicht genug. Seine mittelbare Wirkung auf Literatur, Film und Theater im 20. Jahrhundert ist kaum zu überschätzen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte er sich ein eigenes Filmstudio eingerichtet. Sein weiterer Aufstieg vom populärsten Münchner Volkssänger und Komiker zum Filmemacher, Stückeschreiber und Theatermann datiert in den 20er Jahren. Valentin arbeitete mit Bertolt Brecht, der schon als 22-Jähriger "kreuzvergnügt" an Dora Mannheim schrieb: „… saß abends bis 11 Uhr im Kabarett bei Valentin und wälzte mich fast vor Lachen.“

Programmzeitschrift 1922 über Karl Valentin: "Er ist selbst ein Witz"

Derlei Zeugnisse bedeutender Intellektueller gibt es zuhauf. Der Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett soll „viel und voll Trauer gelacht“ haben. Der Philosoph Ernst Bloch erkannte „unterirdische Verbindungen“ Valentins zum großen französischen Philosophen René Descartes. Für Kurt Tucholsky war er „ein seltener, trauriger, unirdischer, maßlos lustiger Komiker, der links denkt“. Und der Schriftsteller Max Herrmann-Neiße schrieb über Valentin: „Der ist ein komödiantisches Originalgenie höchsten Ranges und seine Leistung nicht etwa eine spezifisch münchnerische, lokale Angelegenheit, sondern eine Lebenssache, eine Menschengestaltung, die überall Geltung hat und wirken müsste.“ 

Der zeitgenössische Text, der den Komiker Valentin vermutlich am eindrücklichsten beschreibt, entstammt einer Programmzeitschrift der Münchner Kammerspiele, der „Bert-Brecht-Sondernummer“ aus dem Jahr 1922: „Wenn Karl Valentin in irgendeinem lärmenden Bierrestaurant todernst zwischen die zweifelhaften Geräusche der Bierdeckel, Sängerinnen, Stuhlbeine trat, hatte man sofort das scharfe Gefühl, dass dieser Mensch keine Witze machen würde. Er ist selbst ein Witz. Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerlichen Komik, bei der man rauchen und trinken kann und unaufhörlich von einem inneren Gelächter geschüttelt wird, das nichts besonders Gutartiges hat.

Valentin erlangte nicht die weltweite Berühmtheit wie Charlie Chaplin

Denn es handelt sich um die Trägheit der Materie und um die feinsten Genüsse, die durchaus zu holen sind. Hier wird gezeigt die Unzulänglichkeit aller Dinge, einschließlich uns selber. Wenn dieser Mensch, eine der eindringlichsten Figuren der Zeit, den Einfältigen die Zusammenhänge zwischen Gelassenheit, Dummheit und Lebensgenuss leibhaftig vor Augen führt, lachen die Gäule und merken es tief innen. Es ist nicht einzusehen, inwiefern Karl Valentin dem großen Charlie, mit dem er mehr als den völligen Verzicht auf Mimik und billige Psychologismen gemein hat, nicht gleichgestellt werden sollte …“ 

So eine breite, weltweite Berühmtheit zu erlangen wie Charlie Chaplin, blieb Valentin versagt. Sein Einfluss auf die großen Dramatiker Brecht und Beckett, auf Filmemacher, Kabarettisten und Literaten in Bayern und weit darüber hinaus aber ist unbestritten. Er war ein Universalgenie, dessen Spuren überall zu finden sind. 

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In einer freien, weltoffenen Gesellschaft wäre für ihn persönlich und für seine Kunst vielleicht noch mehr drin gewesen. Doch auf die Erfolge in den 20er Jahren folgte die Zeit des Nationalsozialismus. Valentin ereilte nicht das Schicksal anderer Intellektueller, die den Nazis zum Opfer fielen oder ins Exil getrieben wurden. Er war kein Widerstandskämpfer, keiner der „links denkt“, wie Tucholsky gemeint oder gehofft hatte. Zwei seiner Kurzfilme „Die Erbschaft“ und „Der Bittsteller“ wurden verboten wegen „Elendstendenzen“, wie es hieß. Große, eigene Spielfilme zu drehen, wurde ihm verwehrt. Valentin war für die Nazis schlicht nicht brauchbar. Er wollte immer, das war sein Lebensziel, „mit humoristischen Mitteln die Lebenswirklichkeit der Menschen darstellen“.

Seine Kunst, seine radikal andere Herangehensweise an das Menschliche wie das Absurde sperrte sich gegen alles Völkische. Das unterschied ihn schon vor und nach der Machtergreifung erneut von den vielen seiner Volkssänger-Kollegen, den „drastisch elastischen Witzmacher-g’selln“, die sich so geschmeidig an die politischen Verhältnisse anpassten wie heute viele Comedians an den kommerzialisierten und oft komplett sinnentleerten Klamauk. Ernst Bloch hielt Valentin das knapp drei Jahrzehnte nach seinem Tode zugute: „Nie ein Wort über Juden, die Sozis und die Kommunisten in diesem alten Blut- und Bodendialekt, und das in München, wo es genug Freunde von der anderen Seite gab.“ 

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In den 30er Jahren kehrte dann auch der Geldmangel zurück in Valentins Leben. Seine Projekte, eigene Spielstätten oder Kulturräume zu etablieren wie das „Panoptikum“ oder die „Ritterspelunke“, scheiterten schnell und verlustreich. Doch trotz der phasenweise recht verzweifelten Lage, kam ihm der Humor nicht abhanden. Das bezeugt unter anderem ein Bettelbrief, den er gemeinsam mit Liesl Karlstadt an den Direktor der Münchner Kammerspiele schrieb: 

„Wir beide gratulieren Herrn Direktor Falckenberg zu seinem Jubiläum und sind versichert, dass Herr Falckenberg sich für die Gratulation bei uns bedankt, indem er uns einige Mark oder ein paar Blumen zukommen lässt. Unsere Adresse ist bei der Polizei zu erfragen.“

Die philosophischsten Texte hat er nach dem Krieg in Planegg geschrieben

Seine vielleicht philosophischsten Texte sind die, welche er in größter Not nach dem Krieg in Planegg geschrieben hat, wohin er schon 1941 aus München ins „Exil“ gegangen war. Der Krieg war vorbei, Valentin war verarmt, verzweifelt und vergessen. Der Tragik-Komiker in ihm aber war noch hellwach. In dem Monolog „Schlechter kann’s uns nimmer geh’n“ schrieb er über die Armut: 

„Die alten Männer sind schon so mager im G’sicht und haben so eingefallene Backen, dass sie beim Rasieren einen Kartoffel ins Maul nehmen müssen, dass es einigermaßen besser geht.“

Und in demselben Text etwas weiter unten notierte er: 

„Ja, für heiklige Menschen is jetzt a schlimme Zeit. Früher hat mer aus der Suppe jede Fliege rausg’fischt, heut überlegt man sich das reiflich.“

Im Jahr drauf, am 9. Februar 1948, einem Rosenmontag, ist Valentin an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Erst viele Jahre später wurden er und seine gigantische literarische Hinterlassenschaft wiederentdeckt. 

Zeit war’s, dass das wieder anders geworden ist. 

 
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