Die Wahrscheinlichkeit, jemanden anzutreffen, der voller Freude und Stolz von sich sagt, er sei „Mainstream“, ist ungefähr so hoch wie die einer fröhlichen Selbstzuschreibung: „Hey, ich bin P. C. – die Political Correctness in Person!“ Und das ist ja kein Zufall. Denn beide begrifflichen Zuschreibungen werden in aller Regel von außen und herabwürdigend getroffen, nicht selten die gleichen Objekte betreffend.
Klar, die Mainstream-Medien sind auch "political correct"
So stehen die „Mainstream-Medien“ im Ruch, politisch korrekt zu sein. Was im Grunde nichts anderes heißen soll, als dass quasi die gesamte Branche vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk in Bild und Ton bis zum klassischen Print- und Online-Spektrum zwischen Welt und taz sich in einem gemeinsamen Meinungskorridor tummelt, der von Regierungsnähe geprägt ist (siehe Corona! siehe Ukraine!), aber vor allem auch festgelegt von den Benimm- und Sprechvorschriften der Wokeness-Bewegung (siehe Gendern! siehe Klimakleber! siehe Winnetou!).
Und wer eben solches zuschreibt, markiert damit zuvorderst die, von denen es sich durch außenstehendes Erkennen abzusetzen gilt, und in bedeutsamer Folge sich selbst als jemanden, der das auch tut. Und präsentierte sich unter anderem öffentlich demonstrierend schon mal mit einem Pappschild: „Masken weg, Merkel weg, Mainstream weg – Freiheit!“ Wer Mainstream sagt, will also vor allem sagen: Ich bin das nicht!
Das ist die Pose, die auch imagemäßig etwa Filme oder Serien adelt, sie wurde neulich sogar vom Bayerischen Rundfunk zur Beschreibung der Puppenkiste ausgepackt, die sei anders als der Mainstream– in Abgrenzung zu „Spider-Man“ oder was? Kein Anbiedern an den Zeitgeist? Kein Schielen nach dem großen Publikum, dem kleinsten gemeinsamen Nenner? Was davon ist Mainstream? Und ist die Gesamtheit dessen, was behauptet, nicht Mainstream zu sein, nicht selbst schon wieder Mainstream? Da wird es verwirrend.
So war es eigentlich immer schon, im Pop, der sich in ihrer ganzen Geschichte als Hauptanwendungsfeld dieser Differenz zeigt. Da rannte nie eine tanzwillige Person, ganz egal welcher geschlechtlichen Zuschreibung, gen rappelvollen Dancefloor mit einem Kreischen: „Ja, geil, Mainstream!“ – auch wenn die Tanzböden tatsächlich rappelvoll waren. Als Distinktionsmerkmal galt auch da schon das Abgrenzen: Typen, die sich demonstrativ mit Grauen abwandten, voller Spott, Häme oder Hass vom Rand her die ach so simpel gestrickten und darum so leicht zu verführenden Massen beäugten und sich dann unter ihres Gleichen in Keller oder auf Dächer trollten, um selig eingedenkt der eigenen Andersartigkeit, der eigenen Einsicht ins Eigentliche das einzig Wahre zu schlürfen. Bis es dort vielleicht wieder zu viele wurden, das Randständige selbst in Mainstream-Gefahr geriet und es daraufhin galt, sich auf ein Neues abzusetzen. Im Pop aber ist das längst zu einen Hase- und Igel-Spiel geworden: Der Mainstream, er scheint immer schon da (gewesen) zu sein. Also könnte (Rock weg? Rap weg? Elektro weg?) endlich Freiheit herrschen?
Dem Mainstream steht gegenüber: die Querfront
Tut sie tatsächlich erstmals bei einer Jugend seit Anbruch des Pop-Zeitalters weitgehend – nachdem nämlich spätestens die alles durchdringende Ironie der Hipster alle Differenzen zersetzt hat. Fans von Harry Styles etwa hätten wohl gar nichts einzuwenden dagegen, als Mainstream und politisch korrekt bezeichnet zu werden – denn was, so könnten sie (einander in der Freiheit ihrer Identität doch wieder auffällig ähnlich) fragen, soll falsch daran sein, wenn das mehrheitlich Regierende das moralisch Richtige will? Alle Personen jeder geschlechtlichen Zuschreibung und aller Geschmäcker nach ihrer Façon glücklich? Da lassen sich gleichzeitig auch noch Rammstein und Helene Fischer und Capital Bra und BTS und Aretha Franklin gut finden. In der Cloud ist alles Mainstream, postmodernes Potpurri, Ramones- und Nirvana-T-Shirts gibt’s bei H&M, die Geschmäcker sind frei. Bloß an dünnen radikalen Rändern und in den Resten der Rebellentraditionen, die sich entwertet fühlen, lauern da noch Verächter …
In welchem Stadium ist da der politische, der mediale Prozess? Wenn etwa taz und FAZ und Spiegel und Welt zugleich Mainstream sein sollen, kann es jedenfalls um die Frage nicht gehen, ob es da nicht doch vielleicht Differenz gibt. Vielmehr aber doch um eine Erscheinung, die in einer klassischen Hufeisen-Theorie, in der sich die Extreme an den jeweiligen Enden in selbstdefinierender Ferne zum Mainstream zueinander neigen: Les extrêmes se touchent, die Extreme berühren einander. Angereichert durch die Befremdeten von der postmodern ausdifferenzierten Gesellschaft heißt das dann in einer weiteren begrifflichen Wiederbelebung: Querfront. Für die Freiheit, für den Frieden. Eine absolute moralische Mission gegen die vermeintliche, nur relative des Mainstreams, die eben als reines Macht- und Interessentheater zu entlarven verstehe, wer nur in der Lage sei, von außen draufzuschauen.
Ironie wird hier nichts zersetzen, weil es bleibend (meist) mehr als um Lifestyle um Identität geht. Ein wachsendes Gegeneinander könnte nur eine Abkehr von blinden Reflexe verhindern, leider ziemlich außer Mode: Differenzierung! Das verwischt freilich auch die eigene Markierung, die halt nur im bloßen Dagegen als wunderbar eindeutig in allzu komplexen Zusammenhängen erscheint. Eindeutig und also im Gestus des Rechthabens aber ist sie nicht der notwendige Beginn, sondern der Tod der kritischen Debatte (wenn auch ein vorübergehender Chart-Erfolg und darum gerne sogar überrepräsentiert in den sogenannten Mainstream-Medien). Aber wahrscheinlich ist das jetzt mal wieder so was von Mainstream?