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Gesellschaft
Warum wir gute Nachrichten häufig übersehen
Krieg in Europa, Klimakrise, Inflation: Allzu oft bleiben wir an schlechten Botschaften hängen. Was dagegen hilft – und welche Rolle dabei der Säbelzahntiger spielt.
Veronika Lintner
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:31 Uhr

Die gute Nachricht: In diesem Journal finden Sie gute Nachrichten. Wir haben Meldungen aus der ganzen Welt gesammelt, die Gutes und Schönes versprechen, die Hoffnung machen, und wer nur eine Seite weiterblättert, findet sie. Drei dieser Schlagzeilen, die Ihnen vielleicht entgangen sind: Die seltensten Pinguine der Welt, sie waren fast ausgestorben, aber jetzt vermehrt sich die Art wieder fleißig. Außerdem: In Zukunft können wir aus dem Weltall Solarenergie zapfen. Und das Ozonloch, lange Klima-Schreckgespenst Nummer eins, schrumpft und schrumpft.

Die schlechte Nachricht: keine positiven Nachrichten ohne negative. Denn was ist eine gute Meldung wert? Was wiegt die Botschaft von der Pinguin-Population gegen das, was gerade brennt? Inflation, Klimakrise, Krieg in Europa. Und warum bleibt unser Blick immer nur an den Meldungen hängen, die Unglück bedeuten? Die Antworten liegen wohl mitten auf dem langen Weg, den wir Menschen bis hier und heute bewältig haben, vom Steinzeitjäger zum Smartphone-Nutzer.

Experte sagt: "Negative Nachrichten nehmen wir viel intensiver auf."

Für den Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius steht fest: Da gibt es ein Ungleichgewicht. „Wir beobachten in der Art, wie Menschen Nachrichten wahrnehmen, eine Positiv-Negativ-Asymmetrie“, sagt er. „Das bedeutet: Negative Nachrichten nehmen wir im Vergleich viel intensiver auf. Wir nehmen sie ernster und sie verbreiten sich schneller, auf einer breiteren Basis.“ Brosius lehrt seit 1998 als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, er leitet dort den Lehrstuhl für empirische Kommunikationswissenschaft. 

Warum schlechte Nachrichten wie ein Magnet auf uns wirken, erklärt er mit einer Theorie – und spult dafür weit zurück in der Menschheitsgeschichte: „Eine hübsche, harmlose Orchidee auf der Wiese konnten auch schon die Steinzeitmenschen wertschätzen, sie fanden sie schön. Aber die Blume war für sie nicht überlebenswichtig. Im Gegensatz zu der Neuigkeit, dass hinter der nächsten Ecke vielleicht ein gefährlicher Tiger lauert“, sagt er. „Es liegt also an unserer Menschheitsgeschichte, dass wir negativen Nachrichten oft eine größere Bedeutung beimessen. Was das Beispiel mit dem Tiger auch zeigt: Eine negative Nachricht ist nicht per se nur schlecht. Sie kann eine Information zur rechten Zeit sein.“

Ein amerikanisches Sprichwort spießt den Sensationsjournalismus der Marke härter, blutiger, schlimmer in einem Satz auf: „Only bad news are good news.“ Aber Tatsache, auch schlechte Meldungen können im Kern gute sein – wenn man sie nur mit Ernst und Objektivität behandelt und einordnet. Weil sie uns wach halten für die Gefahr, für eine realistische Risikoberechnung. Geht es nach dieser Theorie, steckt unser Gehirn zum Glück noch halb in der Steinzeit, ob wir nun Leser und Leserin sind – oder Reporterin. Den Notizblock in der Hand, die Finger gleich an der Tastatur und die Säbelzahnkatze im Hinterkopf?

Attacke aus dem All: Science-Fiction-Hörspiel versetzte Menschen in Panik

Lange galt aber die Regel: Schuld an der schlechten Nachricht ist im Zweifelsfall der Bote. Daher die Redewendung: „Don’t kill the messenger!“ – bitte nicht den Überbringer der schlechten Nachrichten töten, ein altes, englisches Sprichwort. Dieses Stoßgebet kannten auch schon die Griechen in der Antike, denn regelmäßig stürzt in ihren großen Tragödien ein Laufbursche in die entscheidende Szene und vermeldet: Königsmord im Nachbarstaat! Oder: Schlacht gewonnen! Aber meistens bringt er Neuigkeiten mit einer bösen Pointe: Die Truppen der anderen stehen vor den Toren unserer Stadt! Sophokles spitzt das in seinem Drama „Antigone“ auf einen Satz zu: „Niemand liebt den Boten schlimmer Worte.“ Aber die schlimmen Worte, hören will man sie trotzdem?

Eine „Nachricht“, das war einmal eine Meldung, nach der man sich richten kann – so haben die Gebrüder Grimm den Begriff in ihrem Deutschen Wörterbuch definiert. Also bedeutet das Halt, Orientierung, Zuverlässigkeit… Zuversicht? Nicht so, wenn man Erich Kästner fragt. Im Jahr 1929, als die Weimarer Republik schon zu bröckeln begann und allein in Berlin 150 Zeitungen tagtäglich die neusten Krisenmeldungen an die Kiosktheken lieferten, da schrieb Kästner in „Emil und die Detektive“: „Wenn ein Kalb vier Beine hat, so interessiert das natürlich niemanden. Wenn es aber fünf oder sechs hat, so wollen das die Erwachsenen zum Frühstück lesen. Wenn Herr Müller ein anständiger Kerl ist, so will das niemand wissen. Wenn Herr Müller aber Wasser in die Milch schüttet und das Gesöff als süße Sahne verkauft, dann kommt er in die Zeitung.“

Ist das so? Journalismus beginnt dann, wenn es kracht und knallt, und wenn es sich deshalb verkauft und klickt? Diesen Effekt stellte neun Jahre später ein anderer auf die Probe, per Radiowelle: Auf dem Sender CBS strahlte der Schriftsteller Orson Welles sein Science-Fiction-Hörspiel „Krieg der Welten“ aus. Mit einer Eilmeldung, die keine war, schlug das Stück ein: Attacke aus dem All. Marsianer greifen die Erde an. Das alles war natürlich Fiktion, frei erfunden, und das hatte eine Ansage vorab den Zuhörern erklärt. Aber weil das Stück eben den Steinzeitmenschen in uns bei seinem Puls packte, traf die Warnung die Zuhörer. Einige glaubten der Botschaft, erlitten einen Schock. Und das ein Jahr bevor der Zweite Weltkrieg begann.

Auch die Leserinnen und Leser haben Macht über die Schlagzeilen

Jetzt aber lieber schnell zu den guten Nachrichten – denn Lichtblicke gibt es: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hält sich, gegen alle Krisen, auf einem stabilen, niedrigen Niveau. Auch die Zahl der schweren Gewaltverbrechen sinkt jedes Jahr weiter, laut Polizeistatistik. Außerdem wird der Gender-Pay-Gap, die Lohnlücke zwischen Männer und Frauen, immer kleiner. Gute Nachrichten dieser Art sammeln heute auch Fachmagazine, die man im Netz findet, unter Adressen wie www.goodnews-magazin.de, www.goodnews.eu

Auch die Plattform „Perspective Daily“ wirbt für einen „konstruktiven Journalismus“: wo ein Problem, da immer auch ein Lösungsansatz. Für Hans-Bernd Brosius sind solche Projekte ein Symptom von Selbstkritik, dass sich der Journalismus die Frage stellt: Genügt die schlechte Nachricht allein? Der Experte beobachtet jedenfalls eine Wirkung, wenn ein Medium nur noch auf schlechte, negative Nachrichten baut: „Bei einer pausenlosen, andauernden Beschallung mit negativen Nachrichten, wenden sich Leser von einem Medium ab. Die starke Konzentration auf das Schlechte kann einen Glaubwürdigkeitsverlust auslösen, sogar Medienverdrossenheit.“

Auch darin steckt eine gute Nachricht: Leser und Leserin, Sie haben Macht über die Schlagzeilen. Denn die Verantwortung für die Nachrichten-Wetterlage verteilt sich auf viele Schultern: „In der Frage, wie Nachrichten entstehen, sprechen wir von einer gestaffelten Medienethik: An der Spitze der Verantwortung stehen die Journalisten und Journalistinnen, die Neuigkeiten bündeln, sortieren, produzieren“, sagt Brosius. „Am anderen Ende der Kette stehen aber die Rezipienten, also Leser oder Zuschauer. Sie bestimmen mit, indem sie sich für oder gegen ein Medium entscheiden, für oder gegen einen Klick auf die Nachricht. Die Rezipienten-Ethik prägt die Medien mit.“

„Doomscrolling“: Daumenkino im Strudel der schlechten Nachrichten

Vielleicht lässt sich die Dynamik der News, wie wir sie heute erleben, an einer philosophischen Frage erklären, an einem Gedankenspiel: Wenn im Wald ein Baum fällt und niemand hört es – ja hat es dann überhaupt einen Knall gegeben? Völlig überflüssig, diese Frage, in der heutigen Zeit: Denn fällt ein Baum, und ist er eine Nachricht wert, existiert sicher schon ein Tiktok-Video zum Ereignis, ein Twitter-Beitrag in zwanzig Kapiteln und abends folgt der Kommentar in den Tagesthemen.

Und egal wie deprimierend oder aber schön eine Nachricht klingen mag, sie fällt fast immer in eine Gleichzeitigkeit von „ja“, „nein“ und „aber“, dafür und dagegen. Brosius nennt Beispiele: Die Kassen klingeln, das Weihnachtsgeschäft boomt. Aber da steht schon der Einzelhandelsexperte am Mikrofon und mahnt: „Der Lieferengpass droht!“ Auch auf die Nachricht, dass sich die Gasspeicher trotz Energiekrise füllen, folgt die Stimme, die in die Zuversicht platzt: „Ja, aber wie wird es im nächsten Winter sein?“

In diesem digitalen Dauerstrom der Krisen-Nachrichten hat sich auch das Phänomen des „Doomscrolling“ entwickelt. Scrollen, das bedeutet, mit dem Finger über den unendlichen Fluss der News am Bildschirm zu surfen. Und „doom“, das heißt: „Untergang.“ Ein Daumenkino, im Strudel der schlechten News. Ist es da nicht die Aufgabe des Journalismus, die richtige Expertin zu finden, die das Licht am Ende schon erkannt hat, wo andere nur Tunnel sehen? Und stürzt sich der Mensch nicht deshalb auf die schlechte Nachricht, weil er sich eben sorgt, weil er an seinem Leben hängt und an dem seiner Liebsten und allem, was ihm kostbar ist. Allein das, ist das nicht eine gute Nachricht?

„Ich sehe täglich die Nachrichten auf RTL und die „heute“-Sendung im ZDF, später auch noch die Tagesthemen. Und am nächsten Morgen lese ich außerdem die Regionalzeitung. Damit stehe ich oft mitten im Sturm der schlechten Nachrichten“, sagt Brosius. „Aber ich nehme manchmal auch bewusst Abstand von den Nachrichten und lege eine Pause ein.“ Welche gute Nachricht ist ihm denn zuletzt im Gedächtnis geblieben? „Da müsste ich tatsächlich erst ein bisschen überlegen“, sagt er und lacht. „Aber manchmal ist auch das Ausbleiben von schlechten Nachrichten schon eine gute Nachricht.“

 
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