Ein trüber Tag eigentlich, es wäre von Melancholie zu faseln, die sich in dunkelgrauen Pfützen sammelt, stünde mitten darin nicht ein vielleicht vier-, fünfjähriges Mädchen in pink Gummistiefeln und pink (Barbie?-)Matschhose, und hüpfte sie nicht los, immer rein in die Gemütsbracke, wild spritzend und laut lachend – und den Blick dabei stolz auf die Mama ab und zu richtend, die sie (und sicher sich selbst) auch lächelnd und nickend lobt. Sehr gut gemacht. Wann wird man eigentlich zu alt für Matschhosen? Und warum?
Auf dem Sitzstein am Flüsschen der mit schwarzem Stift hinterlassene Vermerk: "Best Date Ever". Eine Einladung ins Kopfkino und zur Befragung der eigenen Erinnerung.
Als ob sich das Eichhörnchen ins Fäustchen lacht
Der Kabarettist, der erzählt, wie er versucht hat, den Humor von ChatGPT zu ergründen und auf die Einstiegsfrage nach einem Witz, der der künstlichen Intelligenz einfällt, diesen als Antwort bekommt: "Warum fahren Geister nicht mit dem Aufzug? Sie schweben lieber." Hm. Als er ChatGPT dann schreibt, menschliche Wissenschaftler hätten sich auf die Suche nach den 25 Lieblingswitzen der künstlichen Intelligenz gemacht, reagiert diese: "Eure Wissenschaftler haben was? Habt ihr nicht gerade einen Planeten zu retten?"
Der geschäftige Mitdreißiger, das Handy für eine Sprachnachricht im Anschlag, bis er offenbar aus dem Augenwinkel das Eichhörnchen über den Grünstreifen nebenan in Richtung Bäume flitzen sieht und dann sofort mit dem Gerät zum Schnappschuss auf das Tier ansetzt – aber wohl nicht trifft, auch beim wiederholten Mal und trotz sogar jeweils ein paar Schritten in der Verfolgung, das lebendige Ding will einfach nichts ins Bild ... Woraufhin er abwinkt, abdreht, das Diktat wieder aufnimmt und womöglich den Schritt beschleunigt, einige Sekunden verloren immerhin. Kommt da ein leises Keckern aus dem Wipfel?
Die bereits etwas ältere Eierfrau auf dem Bauernmarkt in der Stadt, die für ihren Wochenenddienst am Stand immer auf eine behutsame und zurückhaltende Weise herausgeputzt wirkt und sich auch ein bisschen schön fühlt (und ist).
Jugendliche Sprachver(w)irrungen und andere schöne Sätze
Im aktuellen Thriller "Janus" des deutschen Sci-Fi-Autors Phillip P. Peterson das Auffinden einer überlegenen außerirdisch, künstlichen Intelligenz und auf die Frage "Gibt es bei euch keine Kriege?" deren Antwort: "Gewalttätige Aktionen sind nur bei niederen Spezies mit niedriger Intelligenz dokumentiert."
Die zwei Jungs, Typ Rap und lässig bis in die weit ausgreifenden Schritte, sagt der eine: "'Und ich so 'bäm!' und er so 'what?' und ich so 'bäm! bäm!' und er so 'What the fuck?!' – krass delulu, digga, weißt, wie ich mein." Woraufhin der andere etwas zögerlich entgegnet: "Hm, ja, Bro, aber ... – und?" Der eine: "Was und, alda?" Der andere: "Ja, ich mein', hat er aufgemacht, digga?" Der eine: "What?! Darüber red' ich doch die ganze Zeit, Bro! Hörst du mir überhaupt zu, Digga?"
Die Feministin, die ein Buch über Geschlechterrollen im Porno geschrieben hat und sich im Interview freut, dass das Männerbild in der Gesellschaft diverser werde, dass sich ganz konkret auch immer mehr Männer einfach die Fingernägel lackieren, das sei sehr schön – dann aber einschränkt, das bringe halt bloß auch nichts, wenn die dann nicht auch mehr im Haushalt mithelfen. Die verwandelte Rückkehr des alten Klischeekonflikts zwischen Fingernägeln und Hausarbeit.
Beim Spaziergang trotz eintretender Dämmerung mal gewagt, die stillgelegte Bahnstrecke entlangzulaufen, obwohl die vor allem im Dunkeln unter der Brücke etwas gruselig ist – und dann auf einem Leitungskasten zwischen den Schienen der Satz: "Falls du ein Zeichen suchst, bitte schön, hier ist eines."
Geschnitzte Pferdchen und ein schnieker Kamelhaarmantel
Die alte Frau, die sich auf ihren Trolley gestützt mit Einkäufen und vorsichtigen Schritten die Straße entlangschiebt, als ein Regenschauer einsetzt und sie komplett durchnässen würde, keine Hand für einen Schirm – träte da nicht ein junger Mann hinzu, Passant eigentlich im Wortsinn, aber ihr nun den geteilten Schutz seines übergroßen Regenbogenfarbenschirms anbietend. Was die Frau aus Gewohnheit eigentlich sofort ablehnen will – dann aber mit ihm über ihren Reflex lächeln muss und dankbar annimmt, sie haben ja ohnehin die gleiche Richtung und nun auch für ein paar Minuten die gleiche Geschwindigkeit.
Im Auto an der Ampel nebenan ein lange nicht gehörtes Lied, die Fahrerin voller Inbrunst mitsingend, "You Oughta Know", als wäre es 1996 – und die beim Blick herüber das Mitsingen mit einem erkennenden Lachen und Winken quittiert, da wird es auch schon grün, manchmal also sogar zu schnell.
Erinnerung an eine, die wohl jeden Alanis-Morissette-Ähnlichkeitswettbewerb gewonnen hätte und heute unfassbarerweise nicht mehr ist – und doch bleibt, mit ihrem Tanzen, den schönen Händen.
Im Radio die Reportage über das japanische Obon, Fest der Seelen, zu dem Gläubige aus Gemüse und Obst Pferdchen schnitzen, zum Beispiel Gurken und Avocados, immer zwei, damit die Gestorbenen auf dem einen zu ihnen und auf dem anderen wieder zurückreiten können.
Der ältere Mann, der beim Spazieren einen kleinen Ast in der Hand hält und diesen dann beim Überqueren der Fußgängerbrücke über jede einzelne Geländerrippe klimpert, von der ersten bis zur letzten.
Die schicke Frau im (womöglich echten) Kamelhaarmantel, die beim Schreiten durch die Fußgängerzone mit sehr rot gespitzten Lippen halblaut ein vergnügtes Lied vor sich hinpfeift.
Die jagenden Wolken am Herbstwindhimmel, sehr weiß und ungeheuer oben.
Einer, der gefragt danach, woher inmitten all der Krisen der Gegenwart denn noch Zuversicht zu gewinnen sei, antwortet, er müsse dann immer an den Philosophen Herbert Marcuse denken – dessen Grabstein nämlich trägt die Inschrift: "weitermachen!".