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Gesellschaft
Michael Jordans Turnschuhe und das ganze verfluchte Geld im Sport
Brot und Spiele: Der Wahnsinn um Basketball-Legende Jordan ist ein Lehrstück über die Perversion der Sportwelt – die wiederum ein Spiegel über das Leben im Turbokapitalismus ist.
403503784.jpg       -  Für 2,2 Millionen Dollar versteigert: Schuhe, die Jordan vor 25 Jahren in einem Spiel getragen hat.
Foto: Sotheby's, dpa | Für 2,2 Millionen Dollar versteigert: Schuhe, die Jordan vor 25 Jahren in einem Spiel getragen hat.
Wolfgang Schütz
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:18 Uhr

Vor ein paar Tagen wurden ein Paar Turnschuhe versteigert. Und erzielten ein Rekordergebnis von 2,2 Millionen Dollar. Denn getragen hatte eben dieses ein gewisser Michael Jordan, vor 25 Jahren, in einem Basketball-Spiel, das für ihn sehr erfolgreich verlief: Er führte mit 37 erzielten Punkten sein Team der Chicago Bulls zu einem Sieg in der zweiten Begegnung der Final-Serie um die Meisterschaft in der nordamerikanischen Profiliga NBA. 

Die Schuhe hatte Jordan selbst damals nach Spielende einem Balljungen geschenkt, der die außerordentlichen Fähigkeiten des Sportlers bewunderte – eine schöne Geste. Und es waren ja auch nicht irgendwelche beliebigen Turnschuhe: Sie waren genau für diesen Spieler designt worden, das x-te Modell bereits in einer Reihe, die neben vielen anderem den Basketballer zu einer eigenen Marke machten. 

Statt Kunst, aber auch mit Genies: Das Investieren in Sport-Devotionalien als Wertanlage ist ein Trend

Noch heute, da der Sportler längst im Ruhestand ist, erlöst diese Marke immer neue Rekordwerte, im vergangenen Jahr waren es über 5,2 Milliarden Dollar weltweit. Und nach Branchenberichten erhält Michael Jordan von der nach der antiken Siegesgöttin Nike genannten Sportfirma, mit der er damals ins Geschäft gekommen ist, jedes Jahr 100 Millionen Dollar. Für die Marke, die Menschen auch auf neuen Turnschuhen, auf Rucksäcken und Pullovern und Schildmützen nicht nur zum Sport, sondern auch als Alltags- und Straßenkleidung tragen. Und von der Entstehung dieser einträglichen Partnerschaft erzählt derzeit ein Kinofilm mit großen Hollywoodstars wie Ben Affleck und Matt Damon. Dieses Werk heißt "Air", wie ein Ehrenname jenes Sportlers damals auch lautete, weil er, Michael "Air" Jordan“, beim Sprung direkt zum Korb und auch während des Sprungwurfs geradezu in der Luft zu hängen schien – was ihn mitunter auch sehr fotogen geradezu in Posen schwebend erscheinen ließ. Eine davon wurde selbst eine Art Markenlogo, genannt "Jumpman", neben dem natürlich immer obligatorischen Aufwärtshaken der Firma Nike selbst, genannt "Swoosh".

Von Michael Jordan stammt auch der teuerste Artikel auf dem aktuell ohnehin boomenden Markt der Sport-Devotionalien. Es ist ein Trikot, das in seiner letzten Meister-Saison, von der auch schon eine ganze Netflix-Serie namens "The Last Dance" erzählte, getragen hat, ersteigert für 10,1 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Gefolgt vom Trikot des Fußballspielers Diego Maradona, das jener bei einem Weltmeisterschaftsspiel trug, während dem er für die argentinische Mannschaft ein eigentlich irreguläres Tor ergaunert, mit der sogenannten "Hand Gottes" nämlich, wie sonst ein Kunstwerk beim Auktionshaus Sotheby's unter den Hammer gekommen, ebenfalls 2022, Zuschlag für 9,3 Millionen Dollar. 

Trikotwerbung und das Spiel als Event – statt Fans gibt es nur noch Publikum

An beiden Fällen interessant: Auf keinem dieser Jerseys ist zu sehen, was seit der Einführung vor jetzt genau 50 Jahren in Deutschland zur Normalität gehört: Aufdrucke von Sponsoren. Diese sind Anzeichen der längst normalen Vereinnahmung des Sports durch den Kapitalismus – das andere, das Geschäft mit den Legenden Michael Jordan und Maradona oder aktuellen Nachfolgern wie LeBron James oder Kylian Mbappé ist bereits Signum eines auf sprunghafte Vervielfachung der Umsätze zielenden Kultes im Unterhaltungsbetrieb, die neue Normalität des Turbo- und Finanzkapitalismus hat Einzug gehalten. 

Während für in weiten Teilen anderer Sportarten die für Höchstleistungen notwendigen Fokussierungen des Lebens auf Training und Wettkampf nur durch staatliche Sportfördersysteme möglich sind, prägen hier im Hintergrund multimedialer Aufmerksamkeitsmechanismen und maximaler Produkt- und Markenentfaltung internationale Investoren das Geschehen, auch indem ihre Finanzierungen über Entwicklungsmöglichkeiten des Portfolios in den Börsencharts entscheiden, die bei Mannschaften und Vereinen meist schlicht Tabellen heißen. Wobei sportliche Gewinnerwartungen längst flankiert sind durch rein ökonomische, selbst eine vermeintlich erfolglose Saison kann sich etwa durch Übertragungsrechte und Trikotverkäufe bezahlt machen. Es ist ein eigener Kosmos der Vermarktungslogik, nur noch über einen Gegenstand mit der Wirklichkeit verbunden: Nein, nicht etwa dem Sportgerät oder dem Ergebnis oder dem errungenen Titel – sondern dem Publikum. Nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Fan, wortgeschichtlich vom englischen "Fanatic" stammend, dem Fanatiker also, der im aktuellen Fußball etwa als "Ultra" bekannt, mitunter immerhin selbst an der Dialektik seiner Leidenschaft leidet: Er (und zunehmend auch sie) liebt den Sport und den Verein – hasst aber das Geschäft und das Geschacher, will nicht Zielgruppe eines Entertainmentunternehmens sein. Es soll darum Fans geben, die lieber einer zweiten Mannschaft des Klubs etwa in der Regional- als der ersten in der Bundesliga folgen oder gar einer Weltmeisterschaft im katarischen Winter. Unmittelbares Erleben, als könnte man Fußball – oder auch Tennis! – wieder sehen wie einen Turnwettkampf. 

Wer Geld in Sport investiert, muss sich noch lange nicht für Sport interessieren

Im großen Eventpublikum aber findet der Sport als ökonomisches System zu seinem vorläufigen Gegenstand, zu seinen Werbekunden, die sich Breitenwirkung versprechen. Das antike Prinzip von "Brot und Spiele" als Ablenkungsritual von Unbilden der Gegenwart ist als Gegenstand der Unterhaltungsindustrie zur dauerhaften, marketinggeblähten Eventisierung geworden. Und das eigentlich so einfache – zwei Mannschaften, ein Ball, zwei Tore – ist durch die wiederum dem Publikum(serfolg) geschuldete mediale Bespiegelung zum Expertisenschauspiel geworden, zur Kunst. Und das Genie ist zum Kultobjekt dieses Schauspiels erhoben – immerhin in der Breite beim bloßen Glotzen noch nachvollziehbarer als das, was klassisch bildende Künstler da vermeintlich Außerordentliches geleistet haben und nun als Wertanlage dem Meistbietenden liefern. Aber im Grunde ist es das gleiche Phänomen: Wer sein Geld hier investiert, dem muss es natürlich überhaupt nicht um den Sport gehen – dem geht es viel wahrscheinlicher um Profit, ein erfolgreiches Unterhaltungsunternehmen. 

Und profitiert der Sport, profitiert das Publikum wirklich? Starren hier nicht gerade all die Unbilden zum Menschen zurück, die sein Leben in der Gegenwart so ausweglos überfordernd erscheinen lassen? Und dann delektiert er sich nebenher snackend und pichelnd am öffentlichen Triumph und Scheitern anderer, besonders talentierter Menschen. Darf hier hassen und lieben. Muss nicht selber Mensch sein. Bloß Publikum. In der Medien- und Eventmoderne. Olé, olé!

 
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