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Gesellschaft
Endlich Zwergin! Was macht Rollenspiele so erfolgreich?
Einfach mal jemand ganz anderes sein: Weltweit begeistern sich erwachsene Menschen für Rollenspiele wie „Dungeons and Dragons“. Unsere Autorin hat einen Abend in Augsburg mitgespielt.
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Theresa Osterried
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:29 Uhr

Einfach mal jemand anderes sein. Wer hätte nicht Lust darauf? Als Kind spielt man sich einfach in eine eigene Welt, baut Königreiche in wenigen Augenblicken und reißt sie genauso schnell wieder ein. Man ist Prinz oder Prinzessin, Kämpferin, Heiler oder großer Rockstar. Je älter man wird, desto schwerer fällt es, den Kopf einfach auszuschalten und sich in die eigene Fantasiewelt zu verkrümeln. Aber wo ist der kleine Homo ludens hin verschwunden? Vielleicht ist es mal wieder Zeit für ein Spiel und einen Ausflug in ein anderes Universum.

„Ihr lebt in einem kleinen Dorf, das von dichten Wäldern umgeben ist. Auf einem Hügel ganz in der Nähe thront ein schiefer Turm. Dort lebt ein verschrobener alter Zauberer namens Tyrandeus, den ihr ganz gut kennt. Eines Tages steht sein Diener, ein kleiner Drache, vor eurer Tür und bittet euch um Hilfe. Ihr sollt zum Sonnenaufgang an den Turm kommen. Ihr wundert euch zwar, aber willigt ein. Kurz vor den ersten Sonnenstrahlen macht ihr euch auf den Weg.“

Das ist die Ausgangslage unserer Geschichte, in deren Verlauf nicht nur Kobolde, Zwerginnen und eben auch Drachen vorkommen werden, sondern auch ein Apfelkuchen und eine Legende namens Fuchs. Und außerdem einige erwachsene Menschen, die an einem Montagabend in einem Nebenzimmer im Alten Rockcafé in Augsburg zusammensitzen und spielen. Mit Stift, Papier, Würfel und Fantasie ...

"Dungeons and Dragons" wurden schon von Millionen Menschen gespielt

Pen-and-Paper nennt man diese Rollenspiele. An diesem Abend werden wir nach den Vorgaben von „Dungeons and Dragons“ spielen, dem ältesten und bekanntesten Rollenspielsystem der Welt. In den 80ern wandelte sich „Dungeons and Dragons“ (D&D) vom Nischenphänomen zu einem Spiel, das zuerst amerikanische Jugendliche begeisterte und dann Europa erreichte. Bis heute haben es weltweit 50 Millionen Menschen gespielt, heißt es zumindest aus der Firma, die „D&D“ verlegt. Das Spiel findet seinen Auftritt in TV-Serien wie „Big Bang Theory“ oder der Netflix-Produktion „Stranger Things“. Ein neuer „D&D“- Film erscheint in diesem Jahr in den Kinos. Soweit also zur Frage, wo der Homo ludens hin verschwunden ist – im Zweifelsfall in ferne Fantasiewelten.

Aber zurück ins Rockcafé, zurück zu Stift, Papier und Würfeln. Hier treffe ich Benjamin Seuffert: Er arbeitet für das Staatstheater Augsburg und hat gemeinsam mit seiner Kollegin Tina Lorenz im Dezember des Jahres 2021 den monatlichen Spieleabend ins Leben gerufen. Was Pen-and-Paper und das Theater miteinander zu tun haben? Viel, sagt Seuffert: „Das ist eine Art Improvisationstheater“. 

Bei Pen-and-Paper ist die Spielwiese der eigene Kopf

Bei Pen-and-Paper ist die Spielwiese der eigene Kopf. Man spielt in einer meist vorgefertigten fantastischen Welt. Das Ziel des Spiels: Gemeinsam mit den anderen Spielenden die bestmögliche Geschichte erfahren. „Wir wollten zeigen, was noch alles Theater sein kann. Denn Rollenspiele sind etwas sehr Theaternahes. Man denkt viel über Charakterentwicklung und Motivation nach. Was würde meine Figur jetzt tun?“, erklärt Seuffert. 

Das klingt erst einmal abstrakt und verwirrend. Deswegen spiele ich dieses Mal selbst mit. Seuffert winkt mir zu und ich folge ihm ins Nebenzimmer. Auf einem ausladenden Ledersofa haben es sich bereits ein paar Leute bequem gemacht und grüßen freundlich. Seuffert ist unser Regisseur, unser Gruppenleiter. Er wird die Truppe heute Abend durch die Geschichte führen. „Dein erstes Mal?“, fragt mich mein Sitznachbar, nachdem Seuffert die Ausgangslage geschildert hat, und schiebt mir ein Blatt Papier hin. Darauf: viele leere Felder und eine große Liste mit Eigenschaften. Überlebensfähigkeiten steht da zum Beispiel, Intelligenz, Verteidigung, Kraft, Magie, Sozialkompetenz. 

Ich bin die Zwergin Gnarli, 150 Jahre alt, Waffenschmiedin, stur, aber loyal

Auf meinen verwirrten Blick hin beginnt er, mir den Zettel zu erklären. Ich muss mir nun eine Figur ausdenken. Einen Charakter, den ich im kommenden Spiel verkörpern will. Der Zettel ist eine Zusammenfassung, auf der steht, was die Eigenschaften meiner Figur sind, wo ihre Stärken und ihre Schwächen liegen. Die Eigenschaften werden entweder ausgewürfelt oder mit einer App vergeben. 

Ich entscheide mich spontan dafür, eine Zwergin zu verkörpern. Ich heiße Gnarli, bin 150 Jahre alt und Waffenschmiedin. Ich bin stur, aber loyal. Habe rote Haare und grüne Augen und liebe meine Axt. 

„Als sich Gnarli mit forschem Schritt zum Turm aufmacht, warten dort bereits mehrere seltsame Gestalten auf sie. Am auffälligsten ist ein riesiger Echsenmensch, der eine tote Schildkröte als Panzer auf dem Rücken trägt und eine riesige Knochenkeule hinter sich her schleift. Auf seiner Schulter sitzt ein kleiner roter Kobold, der mit einem Federkiel eifrig auf eine Pergamentrolle kritzelt und misstrauisch in die Runde schielt. Am Rande drückt sich ein schmächtiger Mensch in abgerissenen Lederklamotten und heruntergekommener Rüstung herum. Hinter ihm ertönt auf einmal lautes Hufgetrappel und ein stattlicher Minotaurus, ein Stier-Mensch mit Hörnern, kommt neben der Gruppe zum Stehen.“

Die beschriebenen Figuren sind meine Mitspieler. Wir erzählen uns gegenseitig unsere Handlungen, meist im Sitzen, verstellen die Stimme und nutzen pantomimische Darstellung, um den Charakteren Leben einzuhauchen. Die Gruppenmitglieder haben sich in Schauspieler verwandelt, nur dass niemand einen Text und eine Ahnung hat, was nun auf uns zukommt. 

Dem Spielleiter liegt die Welt zu Füßen

Unsere Truppe ist die Einsteigerrunde, unser Spiel, eine sogenannte Kampagne, wird noch an diesem Abend wieder beendet sein. Andere können endlos weitergeführt werden. Solange die Spieler Lust haben, dort einzutauchen. Die Welt in der Hand hat Benjamin Seuffert, der Spielleiter. Er hat sich die Geschichte und bestimmte Orte oder Figuren ausgedacht, ist Schiedsrichter und Moderator zugleich. Ein schwieriger Job, den sich viele Spieler nicht zutrauen: Denn im Grunde liegt dem Leiter die Welt zu Füßen. Aber die Spielenden können sich auch entscheiden, von der ausgedachten Geschichte abzuweichen. „Man muss spontan sein und auf die Ideen der Charaktere eingehen“, sagt Seuffert. Jede Entscheidung hat Konsequenzen. Jede Handlung, die die Geschichte beeinflusst, wird ausgewürfelt. Beispielsweise mit einem Würfel mit 20 Seiten, dem W20. Das kann dann so aussehen: 

Die Gruppe hat sich auf den Weg gemacht. Sie soll für den alten Zauberer Tyrandeus das geheime Apfelkuchenrezept seiner verstorbenen Großmutter beschaffen. Im Moment stapfen die Gefährten durch den Wald – als sie plötzlich ein Grunzen aus dem dichten Geäst vernehmen. „Halt“, ruft Gnarli und ihre Augen leuchten. „Lasst uns auf die Jagd nach dem Wildschwein gehen.“

Ich wende mich Spielleiter Seuffert zu. „Kann ich erkennen, woher das Grunzen kommt?“

„Würfle mal auf deine Fähigkeit Wahrnehmung“, antwortet er. 

Ich werfe den Würfel mit 20 Seiten und erhalte 4. Kein besonders gutes Ergebnis, weil die Zahl sehr niedrig ist.

Gnarli kneift die Augen zu, kann aber nicht abschätzen, wo sich das Schwein befindet.

In Deutschland ist das Spiel "Das schwarze Auge" besonders verbreitet

Während „Dungeons und Dragons“ weltweit gespielt wird, ist in Deutschland das Rollenspiel„Das schwarze Auge“ (DSA) besonders verbreitet. Ein gigantischer Kosmos mit dutzenden Regelbüchern, Romanen und einer eigenen Zeitung, dem vom Ulisses Verlag herausgebrachten „Aventurischen Boten“. Die fremden Kulturen und Fantasiefiguren des Spiels sind bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Über dieses Universum und seine Entstehung kann Werner Fuchs viel erzählen. Der 73-Jährige ist ein Urgestein und Pionier der Science-Fiction und Fantasy-Kultur in Deutschland. Er ist Übersetzer, Verleger, Autor und einer der Mit-Erfinder des „Schwarzen Auges“. Wenn man ihm zuhört, merkt man, dass es unmöglich ist, allein die Rollenspiele isoliert zu betrachten. Sie sind tief verwoben mit einer Szene, die sehr lange ein gesellschaftliches Schattendasein fristete. In derselben Nische, in der die Liebe zur fantastischen Literatur, für Science-Fiction und Comics wächst, erblickt auch die Idee der Pen-and-Paper-Rollenspiele das Licht der Welt. Und Werner Fuchs ist in Deutschland quasi einer der Geburtshelfer.

Alles begann mit seiner Liebe zu Science-Fiction-Büchern. Das sei die Eintrittskarte in die Verlagswelt gewesen. „Ich arbeitete in den 70er Jahren für die ‚Science-Fiction Times’. Ein Magazin, in dem wir knallhart Bücher des Genres rezensierten. Wir hatten den Ruf, sehr kritisch zu sein“, erzählt Fuchs in seiner lockeren und entwaffnenden Art am Telefon. Aufgewachsen ist er bei Aalen, der schwäbische Dialekt hat sich in seiner Sprache festgesetzt. Eine Lektorin des Fischer Verlags wurde durch das Magazin auf Fuchs und seine Kollegen aufmerksam, und damit begann Fuchs’ Karriere als Übersetzer von fiktionalen Romanen. Über die Jahre hat der 73-Jährige an mehr als 200 Übersetzungen mitgewirkt. Darunter waren beispielsweise die Werke der Autorin Marion Zimmer-Bradley, die für ihr Buch „Die Nebel von Avalon“ bekannt wurde, und von „Game of Thrones“-Autor George R.R. Martin.

Kurzer Zwischenbericht zum Spielstand im Rock Café: Wir sitzen nun seit etwa einer Stunde zusammen, in unserer Spielwelt bricht gerade der Morgen des dritten Tages an. „Die Gruppe erreicht ein großes Weizenfeld mit goldenen Ähren. In einer großen Senke in der Mitte des Feldes erspähen die Gefährten ein Haus, welches von einem Garten aus Apfelbäumen umgeben ist“, beschreibt Spielleiter Seuffert. – Der Kobold ist aufgeregt: „Das wird es sein“. – Seuffert fährt fort in seiner Beschreibung: „Das Gebäude ist heruntergekommen: Das Mauerwerk ist überwuchert, die Fenster trüb. Aber aus dem Schornstein kringeln sich Rauchschwaden nach oben. Jemand scheint dort zu sein.“

Zu Beginn war die Szene klein – und vor allem männlich

Im Jahr 1977 gründete Werner Fuchs mit einem Kollegen in Düsseldorf den Fantastic Shop. Zuerst boten sie fantastische Literatur und Comics an. Dann konzentrierten sie sich aber vor allem auf Strategie- und später Rollenspiele, damit waren sie die ersten in Westdeutschland. Die Szene war sehr klein, fährt Fuchs fort, „vielleicht 300 Mann – und ich sage jetzt bewusst Mann – aber wir hatten Kunden aus dem ganzen Land.“ Er erinnert sich, dass er am Ruhetag des Geschäfts von einem Kunden angerufen wurde, der extra von Regensburg nach Düsseldorf gefahren war, um ein Spiel zu kaufen. „Da bin ich in die Stadt gefahren und habe ihm geöffnet. Er erzählte mir, wie froh er war, dass er nun nicht mehr nach London fahren muss, um seine Spiele zu kaufen.“ 

Mitte der Siebzigerjahre hörte Fuchs das erste Mal vom amerikanischen Erfolgsrollenspiel „Dungeons and Dragons“. „Vor den Rollenspielen gab es die sogenannten War Games, taktische Kriegs- und Konfliktsimulationsspiele, die man oftmals mit Figuren aus Zinn spielte.“ Verlegt wurden diese unter anderem von der amerikanischen Firma TSR (Tactical Studies Rules). Mit „Dungeons & Dragons“ brachte TSR 1974 in Amerika das erste kommerzielle Fantasy-Rollenspiel auf den Markt. Was zunächst eher ein Geheimtipp an amerikanischen Colleges war, wuchs sich in den 80er Jahren zu einem Phänomen aus, das die Massen begeisterte. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Fuchs als Übersetzer für den Verlag Droemer Knaur. Auf der Nürnberger Spielemesse kam er ins Gespräch mit TSR, und diese schrieben ihn an, ob er die Spiele nicht übersetzen könne. 

„Die Spiele gewannen zu dieser Zeit in Übersee extrem an Beliebtheit, da wurde der Chef von Doemer Knaur natürlich hellhörig.“ Gemeinsam mit Schmidt Spiele verbrüderten sich Buch- und Spiele-Verlag, um diesen für damalige Zeiten ungewöhnlichen Hybriden aus Spiel und Text herauszubringen. Und engagierten Fuchs, seinen Schwager und Freund Ulrich Kiesow und Hans Joachim Alpers für die Übersetzung. 

Doch TSR wollte sehr viel Geld haben: „Mehr als 20 Prozent vom Netto-Umsatz“, erzählt Fuchs. Das war weit mehr als Droemer Knaur und Schmidt Spiele bereit waren, zu geben. „Und dann meinte der Chef von Schmidt Spiele zur amerikanischen Firma: Entweder wir schließen jetzt miteinander oder wir blasen euch vom Markt“, erzählt Fuchs. 

Sechs Wochen, dann stand das Gerüst für "Das schwarze Auge"

Die Verlage einigten sich nicht. Sondern engagierten Werner Fuchs, Ulrich Kiesow und Hans Joachim Alpers. Und diese mussten innerhalb von sechs Wochen das Grundgerüst für das Rollenspiel„Das schwarze Auge“ entwickeln, denn Schmidt Spiele und Droemer Knaur wollten Fuchs zufolge auf der kommenden Nürnberger Spielemesse das eigene Rollenspiel präsentieren. 

Um Plagiatsvorwürfen zu entgehen, dachten sie sich andere Termini aus: Statt Stärke stand dann auf dem Charakterbogen beispielsweise „Körperkraft“. Und der Plan ging auf: Mit „Das Schwarze Auge“ hatte das Rollenspiel im Jahr 1984 Deutschland endgültig erreicht und boomte – auch dank einer offensiven Verkaufs- und Vertriebsstrategie.

Währenddessen hat unsere Gruppe aus Abenteurern es geschafft, einen Zugang zum verfallenen Gebäude zu finden. Im Inneren ist die Hölle los, wie wir von Seuffert erfahren: Magische Backzutaten fliegen durch die Luft, ein kleiner Kobold steht in der Mitte des Raums, vermischt die Backutensilien und versucht verzweifelt, einen Apfelkuchen zu kreieren. Während ein paar der Gruppenmitglieder sich entscheiden, dem Kobold zu helfen, darunter auch die Zwergin Gnarli, durchsuchen andere das Haus. Und stoßen im Büro auf zwei weitere Kobolde, die eifrig Schubladen durchwühlen.

Zunächst sind die Kobolde misstrauisch und feindselig, aber besonders intelligent sind sie offenbar nicht. Einer aus unserer Gruppe kann sie überzeugen, dass wir ihre Freunde sind, und sie offenbaren uns, dass sie auf der Suche nach einem Schatz sind. In einer Schublade erspürt der Kobold unserer Truppe eine magische Aura. Beim Öffnen der Schublade kommt ihm ein vergifteter Pfeil entgegen, er kann jedoch einen Gegenzauber wirken.

„Am Anfang war das großartig, wenn die Rollenspielfans sich in der Straßenbahn unterhalten haben, welche Orks sie wieder geplättet haben oder so. Eine Oma, die eine Reihe davorsaß, die ist bestimmt erschrocken“, erzählt Fuchs verschmitzt. Man hatte einen eigenen Fachjargon und war eine verschworene, enge Gemeinschaft. Das rief bei manchen Menschen, besonders bei besorgten Eltern, Argwohn und Besorgnis hervor. Gerade in Amerika hatten die Spiele in den 80er Jahren ein schlechtes Image. 

Fantasy-Rollenspiele, insbesondere „Dungeons and Dragons“ seien nur der Deckmantel für eine okkultistische Religion, die die Kinder zum Satanismus verführte, hieß es beispielsweise in alten christlichen Lehrvideos und Comics. In diesen Videos wird teilweise angedeutet, Kinder würden für das Spiel andere Kinder opfern. Ob die Macher dieses Infomaterials jemals an einer Rollenspiel-Runde teilgenommen haben, darf bezweifelt werden. 

Der Mythos vom bedrohlichen Rollenspiel hielt sich hartnäckig

Der Mythos vom bedrohlichen Rollenspiel hielt sich allerdings hartnäckig. Anteil hatte daran auch der Film „Mazes & Monsters“ (1982) mit Tom Hanks in der Hauptrolle, in der ein Rollenspieler den Bezug zur Realität verliert und in die Spielewelt abgleitet. Das war nicht unbedingt förderlich für das Image des Spiels.

Auch in Deutschland erhoben sich kritische Stimmen. Die Zeugen Jehovas warnten beispielsweise 1982 in einem Artikel ihrer Zeitschrift „Erwachet!“ vor dem „gefährlichen Unterhaltungsspiel“. „Das schwarze Auge“ entschärfte vorsichtshalber seine erste Auflage 1984 in Text und Bild, nachdem das Spiel gerade mal zwei Wochen auf dem Markt war. Auch „D&D“ ersetzte Begriffe wie „Teufel“ durch Fantasienamen. Seit dieser „Satanic Panic“, zu Deutsch „Satanismus-Panik“, hat sich viel verändert. Das Feindbild besorgter Eltern sind mittlerweile eher Computer- als Tischspiele. Werner Fuchs’ Fazit: „Wir Nerds haben schließlich gewonnen.“ Aus dem gesellschaftlichen Nischenphänomen ist Mainstream geworden. Der Nerd ist mit Big Bang Theory, mit Superhelden- und Science-Fiction-Film in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Auch im Alten Rock Café in Augsburg sind wir nach einer langen und gefahrvollen Reise angekommen – dort, wo das Spiel begann, am Turm des Zauberers – mit dem geheimen Apfelkuchen-Rezept im Gepäck, das wir aus der vergifteten Schublade gezogen haben. Mein Beitrag als Gnarli, nun ja, der war eher überschaubar. Ich habe einen Zugang zum verfallenen Haus gefunden und habe mich dann eher aufs Apfelkuchenbacken verlegt, als den anderen beim Suchen zu helfen. Ob das sinnvoll war? Eher nicht, aber der Sinn steht in einer erfundenen Welt wahrscheinlich nicht an erster Stelle. Und Spaß hatte ich dabei trotzdem eine Menge.

Der Echsenmensch Scronch arbeitet als Laborant, der Kobold ist Lehrer

Die Stimmung im Raum ist jetzt anders. Gelöster irgendwie. Auch wenn uns sonst nichts verbindet, in den letzten drei Stunden haben wir uns gemeinsam gegen Kobolde, Wildschweine und magische Backzutaten verbündet. Man baut ein gemeinsames Abenteuer auf, mit Menschen, deren echte Namen man vielleicht nicht einmal kennt. Der Echsenmensch Scronch arbeitet als Laborant, Kobold Krapow ist eigentlich Lehrer und der Minotaurus Crash verdient seinen Lebensunterhalt als Sportwissenschaftler. Die Spielerinnen und Spieler werfen sich begeistert in eine Welt, die vor Kreativität übersprudelt. Tun, worauf man Lust hat. Kollektiver Eskapismus: Das ist es, was uns am Ende vereint. Einfach mal jemand anders sein. 

 
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