Die Sonne, die plötzlich durchbricht und bei abklingendem Regen den leichten Niesel strahlen lässt, als bestünde die Welt im Innersten aus leuchtenden Energiefäden. Und darüber, nein, kein Regenbogen, sondern eine wuchtige Krähe, die im bereits kahlen Wipfel keckert – lacht?
Zwei Teenager-Jungs, vielleicht 14, sagt der eine: „Ey, die Mädels in Deutschland sind viel weniger cute als wie in, wie in …“ Sein Zögern lässt den anderen, eigentlich zustimmungsbereit, unsicher aufschauen. Der eine aber vollendet abgeklärt: „… als wie überall anders, ey!“ Was den anderen nun auch ganz sicher antworten lässt: „Ja Mann, voll madig, ey.“
Endlich vorbei mit dem jahrelangen Durchmogeln, Trendfachleute sagen: Der Rollkragenpullover ist jetzt wieder voll in Mode.
Eine feine Traurigkeit beim Lesen des wohl letzten Romans von Paul Auster – und die Erinnerung, wie in einem Buch zuvor eine seiner Figuren zu ihrem Namen kam: Ein flüchtender Jude bei der Einreisekontrolle in die USA sollte seine Herkunft nicht durch seinen wahren Namen verraten, sondern sich einen anderen merken und angeben – den er nun, in all der Aufregung, aber vergessen hatte. Und angesichts des streng nach dem Namen aber fragenden Beamten nun unbewusst, verzweifelt nur Jiddisch murmelte, vergessen, er habe ihn vergessen. Woraufhin jener ins Dokument notierte: Ferguson.
Zwei Maler pinseln die letzten Striche bei der Renovierung eines historischen Torbogens, der eine auf der Leiter, der andere diese unten haltend und rauchend – sagt der oben offenbar als Antwort: „Ja, klar, und schon wieder gleich die Apokalypse! Bald kannst du dich nur noch in deinen Keller hocken und warten, dass alles den Bach runtergeht. Aber passt bloß auf, dass du nicht aufwachst, und alles ist doch ganz anders.“
Das Paar, das durch den Park spaziert, sie dabei sehr engagiert und gestenreich auf ihn einredend, er daneben nur vor sich hin schluffend, Blick Richtung Boden und in etwas zu kurzen und zu regelmäßiges Abständen ein vielleicht nach Zustimmung klingendes Knurren von sich gebend. Bis sie plötzlich innehält und ihn vorwurfsvoll anschaut, worauf er ratlos zurückblickt – und schließlich Wort für Wort ihre letzten drei Sätze wiederholt. Sie lacht auf, zieht ihn zu sich her, küsst ihn.
Die sowieso tolle Judith Hermann, die sagt, Schreiben sei der Versuch, sich der Unfassbarkeit der Wirklichkeit zu stellen – „wider besseren Wissens“.
Die neuen Bilder des Weltraumteleskops Euclid, auf einem einzigen allein zu sehen „1000 Galaxien, die zum Perseus-Haufen gehören, und mehr als 100.000 weitere Galaxien in großer Entfernung im Hintergrund“. Erinnerung an „Die drei Wespen des Sir James Jeans“ von Hans Joachim Leidel, Gedichtversatzstücke: Und doch ist auch das All unendlich leer … Wer nachts in den Wald pfeift, pfeift aus Angst … An der Theke Papageienkrankheit … Und dann: „5 1/2 Millionen Lichtjahre hinter Frankfurt blüht eine Sternwolke auf: NGC 4725. Halleluja.“
Ein Bub, der aus dem Buggy der etwas verschämt, aber lächelnden Mama, die ihn schiebt, laut und mit Stolz und mit zeigend gerecktem Finger beweist, wie gut er die Menschen schon erkennt: „Mama, ein Mann!“– „Eine Frau!“ – Und immer sein Lachen dazu. „Eine Frau!“ – „Ein Mann!“ Bis er plötzlich innehält und nur noch gucken kann. Ein hagerer Metal-Fan mit sehr langen Haaren und ziemlich zartem Gesicht zieht vorüber. Der Bub blickt bloß hinterher. Die kleine Stirn mit erster Falte. „Mama?“ Jetzt lacht sie.
Die Massenklage, die in den USA vor Gericht gegen die Netz-Giganten zugelassen wurde, weil sie mit allen möglichen abgefeimten Psychotricks Kinder bereits in eine Internet-Sucht zu ziehen versuchen.
Die junge Landschaftsgärtnerin, die den Park winterfest macht – und offenkundig gar nicht weiß, wie hinreißend sie beim Jäten der Blumenbeete aussieht.
Die alberne Fälschung einer Erklärung von „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa, seine Stimme, durch künstliche Intelligenz abgekupfert, die für Lauterbach-höriges Lügen und Manipulieren in der Corona-Zeit um Entschuldigung zu bitten scheint – auf einer Pegida-Demo abgespielt und nun in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ kursierend: Denn wenn die Verschwörungserzähler auf so plumpe Art ihre eigene Fähigkeit zur Manipulation verbreiten … – vielleicht achten dann ein paar Menschen ja künftig ein bisschen mehr auf Quellen von Informationen?
Der sich mal wieder ankündigende Shopping-Rabatt-Hype mit dem Label „Black Week“, dazu im Schaufenster tatsächlich fast nur schwarze Klamotten – wobei doch ohnehin schon so viel Schwarz getragen wird wie nie, bis in die Jugend, höchstens mal die Jeans blue, die Sneaker weiß. Erinnerung an die Neunziger, als die Verbindungslehrerin der Klasse erklärte, man müsse auch aufeinander achtgeben – und ein deutliches Zeichen für Probleme seien: schwarze Klamotten! Daraufhin damals aus der sonst eher still observierenden letzten Reihe: schallendes Gelächter.
Eine plötzliche Begegnung aus dem Augenwinkel in der Straße, zwischen Vertrautem und Verzerrtem – das Innehalten, die Erkenntnis: oh, ein Spiegel. Und darin eine grüblerische Entfremdung, die sich in Peinlichkeit und Erheiterung nun auflöst. Vorerst. Vorübergehend. Gleich könnte sie wiederkehren. Aber immerhin …
Bei dem Rummel um die neue Robbie-Williams-Doku mal wieder sein Swing-Konzert von einst in der Royal-Albert-Hall nachgesehen. Und – „Mum, this is your Son singing!“ – nicht nur ein Tränchen.
Ein hauchdünner Sichelmond, der über der Stadt schwebt – als zeigte sich die Grinsekatze aus dem Alice'schen Wunderland. Oder als sei das leicht spöttische, schelmische Lächeln eines Begleiters, der vermeintlich seit Jahren nicht mehr ist, eben längst nicht erloschen.
Der Satz im neuen und wohl letzten großen Roman von John Irving: „Die Vergangenheit dauert ewig.“
Die bleibende und nicht ganz unbegründete Hoffnung, dass der eine sehr gute Straßenmusiker vielleicht plötzlich auch „Ballad of Love and Hate“ von den Avett Brothers spielen könnte.
Überhaupt: Die bleibende Hoffnung?