Ein kristallklarer Himmel in trockenkalter Winternacht. Und die Erinnerung an noch viel mehr Sterne im Planetarium. Denn wenn in einer solchen Nacht ohne Licht für den Menschen schon vieles dort oben funkelt – Katzen sehen mindestens doppelt so viele Sterne; und für Eulen, die zehnmal bessere Augen haben als wir, ist der ganze klare Nachthimmel hell, weil sie die vielen Sterne auch sehen, die dort sind.
Und überhaupt die Erinnerung: dass all das vermeintlich Gewesene noch immer ist, solange es als Erinnertes wirkt. Dass all die vermeintlich Gegangenen immer noch da sind, solange wir sind.
Ein Bub im Buggy, es ist längst dunkel auf dem Weihnachtsmarkt, er protestiert nach hinten: „Nein, Mama, ich will noch nicht heim!“ Darauf sie nach vorne: „Aber es ist doch schon spät. Und was sollen wir denn jetzt noch hier?“ Darauf er, mit den Händen weit um sich deutend: „Da die Engel! Und da Weihnachten!“
Am Straßenrand ein Auffahrunfall. Sichtbare Beulen. Aber nur an den Autos. Und gerade verabschieden sich die beiden Verwickelten mit einem Lächeln und einem Handschlag, einem Schulterzucken, einem Winken sogar.
Die Stelle in Jonathan Troppers Roman „Kleinstadthölle“: „Erinnerst du dich noch an die alten Roadrunner-Comics, wo der Kojote über eine Klippe läuft und immer weiterläuft, bis er irgendwann nach unten sieht und zufällig merkt, dass er auf nichts als Luft gelaufen ist?“ – „Ja.“ – „Na ja. Ich habe mich früher immer gefragt, was wohl passiert wäre, wenn er nie nach unten geblickt hätte. Wäre die Luft unter ihm dann fest geblieben, bis er die andere Seite erreicht? Ich denke schon, und ich denke, wir sind alle genauso. Wir fangen an, über diesen Canyon zu laufen, blicken immer nur geradeaus auf das, was zählt, aber irgendetwas, Angst oder Unsicherheit, bringt uns dazu, nach unten zu blicken. Und wir sehen, dass wir auf Luft laufen, und wir brechen in Panik aus und kehren um und krabbeln wie verrückt, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und wenn wir einfach nicht nach unten blicken würden, dann könnten wir es auf die andere Seite schaffen. Zu den Dingen, die zählen.“ Fortgesetzt später noch: „Und erinnere dich auch, was dem Kojoten passiert, als er nicht über die Klippe läuft.“ – „Was passiert dann?“ – „Ein verdammtes Klavier fällt ihm auf den Kopf.“
Drei Mädchen, zwei mit Kopftuch, eines ohne, einander kieksend mit Schneebällen um ein parkendes Auto jagend, und alle schreiend: „Alda! Pass bloß auf, Alda!“
Die Frau, die mit dem Fahrrad an einem beschaulichen, sonnigen Nachmittag den Spazierweg am Flüsschen entlang hetzt und dabei über Headset telefonierend in die Gegend plärrt: „Ja, dann, dann wird es endlich ruhiger! Bin ich froh!“
Dass die längsten Nächte des Jahres nun vorbei sind, der Helligkeitsanteil der Tage wieder wächst, das Licht zurückkehrt, denn es ist Weihnachten.
Der alte Akkordeonmann, auf seinem mitgebrachten Stuhl, vor dem geschlossenen laden in der Fußgängerzone sitzend, spielt wie immer, fast maschinell, jedenfalls sehr dröge die klassischen Weihnachtslieder, bis vier junge schicke junge Frauen in Glühweinstimmung anrücken, von denen eine zu ihm tritt, eine Spende in seinen Instrumentenkasten wirft und ihm dann, hingebeugt, etwas zuflüstert - woraufhin er plötzlich zu einer beschwingten Polka ansetzt, drei der vier um ihn herumzutanzen beginnen, lachend, mit wirbelnden Armen. Wenn auch nur zwei, drei Minuten, bis die vierte offenbar genug Aufnahmen davon mit ihrem Smartphone gemacht hat, woraufhin die Frauen grüßend weiterziehen. Der Akkordeonmann bleibt zurück, wechselt bald wieder zu "O Tannenbaum" zurück, fügt aber ab und zu noch ein paar Tempoimprovisationen ein, wie einen kleinen Rest des Überschwangs, was auch der eine oder andere Passant bemerkt und ihm doch ein, zwei Münzen mehr einbringt. Danach setzt zu "Jingle Bells" an, bricht dann aber ab und verausgabt er sich tatsächlich lieber in "Bella Ciao" - und baut dann ab und geht, vielleicht mit einem Lächeln für heute.
Endlich setzt sich auch zu Risiken und Nebenwirkungen eine Lösung im warnenden Nachspann durch, die, so heißt es, „nunmehr gleichstellungspolitischen Aspekten Rechnung“ trage: „… fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke.“ Halleluja!
Das Pärchen um die 50, grau meliert beide, in abgestimmter Funktionskleidung, beim Flanieren durch die Einkaufsstraße reißt sie ihn plötzlich an der Hand ums Eck in eine Gasse – und da stehen sie dann, kichernd und knutschend. Und es ist Nachmittag, Nieselregen.
Neue Buchtitel, immer ein Quell der Freude. Aktuell ein feiner Fund: „Die Nachteile von Menschen“. Gereon Klug lockt mit: „132 Beschädigungen aus dem reflektierten Leben“. Der neue Roman von Linda Grant dagegen verkündet, perfekt für hier: „Die trotzige Schönheit der Welt“. Der Kontrast ließe sich im aktuellen Ratgeberbereich fortführen mit „Schwarzsehen für Anfänger“ – und „Alles gut? Das meiste schon!“. Wie als Antwort wiederum auf den Titel „Danke, nicht gut“ neben „Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen“. Immer gut auch Anti-Ratgeber, deren Klassiker vor 40 Jahren erschienen ist, Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“. Eine Bestseller-Fortsetzung ist da aktuell jedenfalls: „Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß“ – in Nachfolge zu „Mach's wie die Möwe, scheiß drauf!“ Und erinnernd an einen Knüller der vergangenen Jahre: „Am Arsch vorbei führt auch ein Weg“. Tatsächlich Hilfe versprechen dagegen „Betreutes Flirten für Spätberufene“. Oder auch, zumindest für die Haltung: „Wir müssen gar nichts!“ Wie auch: „Man müsste mal – Nix gemacht und trotzdem happy“. Aber weil Weihnachten nach Ratgeber- vor allem auch Krimi-Zeit ist, sei hier für all die Thriller zum Fest der Titel einer natürlich 24-teiligen Weihnachtskrimisammlung genannt: „Teelicht, Tatort, Tannenduft“.
Die schon ziemlich offensichtlich gealterte Figur in der Krippe, aber immer noch ein Kind. Es ist wie mit der Hoffnung.
Die Nachbarn, die ein so anderes Leben leben, dass es unvorstellbar als erfüllend erscheint – und gerade dabei aber glücklich wirken. Was so unausweichlich konkret nicht nur von der Vielfalt des Glücks, sondern auch von der Begrenztheit der Vorstellung erzählt.
Die neueren Forschungsergebnisse, wonach das Rad wohl bereits vor 7000 Jahren erfunden wurde. Und zwar nahe dem heutigen Kiew. Und zwar in der sogenannten Donauzivilisation, in denen die Frauen das Sagen hatten, sehr friedlich lebend und sehr kooperativ handelnd, auch nach außen hin – weshalb diese die Menschheitsgeschichte revolutionierende Erfindung auch in Kooperation mit passierenden Nomadenvölkern gemacht und von diesen dann verbreitet wurde. Vielleicht wäre doch an der Zeit …
Das einmal wieder laut auszusprechen: „… und Frieden auf Erden.“
Ein Radfahrer, der von hinten zu einem ziemlich sportlichen Jogger aufschließt, um ihn nach dem Weg zu fragen – was der, ganz im Tunnel und mit Kopfhörer unterwegs, erst nach mehrmaliger Aufforderung per Rufen und Gestikulieren versteht und dann völlig verdutzt beantwortet.
Das Glück der vielen Menschen, bei Kälte, im Stehen, zu einem nicht ganz optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis erhitzte Getränke und Würste zu sich zu nehmen, während irgendwer irgendwo immer „Feliz Navidad“ trällert – und das Glück der anderen, das der Autor Max Goldt mal beschrieben hat in: „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“.
Der Versuch, all das Schöne Tag für Tag zu sammeln – und sei es in Listen.