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Genuss
Warum die Sizilianer auf rote Orangen setzen
Apfelsinen vertreiben die Wintermelancholie: Blonde Orangen sagen die Sizilianer zu den gelben und schauen ein wenig auf sie herab. Sie bestehen auf ihre roten Sorten.
Aufgeschnittene Blutorange auf einem Teller       -  Blutorangen schmecken herb-würzig bis süß-säuerlich und passen gut in einen Obstsalat, Kuchen oder Desserts.
Foto: Bernd Diekjobst, dpa | Blutorangen schmecken herb-würzig bis süß-säuerlich und passen gut in einen Obstsalat, Kuchen oder Desserts.
Inge Ahrens
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:10 Uhr

Der Blick aus dem Fenster verliert sich im freundlichen Grau. Kein Winterende in Sicht. Soll doch der Frühling endlich kommen. Je eher, desto besser. Ungeduldige reisen jetzt gleich nach Sizilien an die Hänge des schneebedeckten Ätnas oder nach Mallorca ins sonnige Sóller-Tal, in die Serra de Tramuntana. Dort kann man ausgiebig unter Orangen schwelgen, als Vorspeise ihre Filets samt Oliven und Kapern in Vinaigrette naschen, Couscous mit Pistazien, Mandeln und Orangen knuspern und zum Dessert mit einem Sorbet aus Orangen und Limonen schließen.

Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn / Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn …? Davon hat schon Johann Wolfgang von Goethe im 18. Jahrhundert geschwärmt. Apfelsinen, egal welcher Art, liegt seit jeher ein Zauber inne. Sie vergolden den kulinarischen Winter. Nimm mich! Drück mich! Ich bin der Frühling!, locken sie.

Die Orange gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit

Wenn unsere heimischen Äpfel langsam verschrumpeln, ist ihre Zeit gekommen. Auf die traditionelle feine Apfel-Tarte folgt der saftige Schokoladen-Mandelkuchen, begleitet von einem süßsäuerlichen Orangen-Parfait. Die Idee für das Duo stammt von Wolfram Siebeck (1928–2016). Der legendäre Restaurantkritiker hatte für ordentlich Esskultur in so mancher deutschen Einbauküche gesorgt.

Egal ob nun Apfelsine oder Orange, lat. Citrus sinensis, sie ist eine Kreuzung aus der lieblichen Mandarine und der herben Pampelmuse. Mit ihren lackartig glänzenden Blättern, den prickelnden in der prallen Schale versteckten Ölen und den betörend, ein wenig nach Vanille duftenden schneeweißen Blüten hat sie etwas Paradiesisches. 

Früher nannte man die Orangen auch gern Goldene Äpfel, Paradiesäpfel. Kein Wunder, dass manche meinen, Eva habe Adam nicht mit einem Apfel, sondern mit einer Apfelsine verführt. Sinasapfel. Wie der Name schon sagt, ein Apfel aus China. Dort und in Südostasien war sie ursprünglich beheimatet. 

Die Orange gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Vasco da Gama soll sie als Pflanze im 15. Jahrhundert aus Indien nach Europa gebracht haben. Wahrscheinlich aber hatten Seefahrer und Kriegsherren die Setzlinge schon früher im Gepäck. Die Mauren kamen im 13. Jahrhundert nach Mallorca und bestimmt nicht ohne ihre geliebten Orangen.

Der Baum, der so herrlich süße und saftige Früchte trägt, wurde damals in Spanien und auch in Portugal kurzerhand in die sonnendurchwärmte Heimaterde versenkt und gedieh, während in den nordeuropäischen Ländern die Gärtner der Adelshäuser die properen Bäumchen sorgsam in Orangerien hüteten und päppelten, um die Früchte hernach in den Schlossküchen zu allerlei Süßkram zu verarbeiten. Orangenbäumchen kann man seitdem in Wien, im Dresdner Vorort Pillnitz, in Potsdam oder im Garten und in der Orangerie der ehemaligen Sommerresidenz der Bamberger Fürstbischöfe, Schloss Seehof, anschauen.

Was hierzulande alte Apfelsorten sind, sind für Sizilianer die Blutorangen

Heute denkt allerdings kaum noch jemand beim Anblick der Frucht an China. Eher an das spanische Valencia mit seinen Plantagen oder an das Tal der Orangen im Nordwesten Mallorcas, wo von November an die Orangen für ganze neun Monate blühen und zugleich Früchte tragen.

Auch auf Sizilien ist die Zeit der Orangen. Besonders an den Hängen des mehr als 3000 Meter hohen aktiven Vulkans ist der perfekte Boden für die einzigartigen herben Blutorangen. Die Orange ist die Frucht gewordene Mittelmeersehnsucht. Ihr Duft, der beim Pellen aus den Poren der Schale ploppt, und beim Reinbeißen ins Fruchtfleisch der überquellende überwältigend aromatische Saft sind umwerfend verführerisch. Wir zehren längst von der Sortenvielfalt. 

Am bekanntesten sind die gelben Orangen, die süßen, mit und ohne Nabel. Blonde Orangen sagen die Sizilianer dazu und schauen ein wenig auf sie herab. Ihnen sind sie viel zu süß. Sie bestehen auf ihren Blutorangen, den roten Sorten. Was für uns die alten Apfelsorten sind, das sind für die Sizilianer die Blutorangen. Anbau und Züchtung beruhen auf jahrhundertelanger Erfahrung. 

Ihre charakteristische Farbe und die manchmal dunkelroten Backen befördert der kalkhaltige Boden. Aufgrund des Temperaturunterschiedes, der kalten Nächte und der sonnendurchglühten Tage, bilden sich rote Pigmente: Anthocyane. So ein frisch gepresster, etwas herber Saft zum Tagesanfang sorgt für ordentlich feurige Energie. Zum Glück gibt es neben den gelben Orangen aus Spanien und den Bitterorangen (Pomeranzen) aus dem italienischen Kalabrien, aus denen die feine Orangenmarmelade gerührt wird, hin und wieder Blutorangen auch bei uns. 

Im Internet lassen sich frische Orangen aus Mallorca bestellen

Nostalgiker freuen sich, wenn die empfindlichen ungespritzten Bio-Früchte in ein schützendes Kleid aus Seidenpapier mit allerlei farbenprächtigen Motiven gewickelt sind. Vorsichtig wird es abgezuzelt und sorgsam glattgestrichen. Wer die Frucht dann knetet, um an ihr zu riechen, dem springen die duftigen Öle ins Gesicht. Augen zu! 

Bis in den März hinein ist bei uns die rote Sorte „Moro“ im Handel, die sich besonders zum Auspressen eignet. Bis Anfang April gibt es die besonders geschmackvolle „Tarocco“. Die späte „Sanguinella“ essen die Sizilianer selbst. Oft erweisen sich die unansehnlichen Früchte als die saftigsten und die aromatischsten.

Wer einmal gesehen hat, wie ein Sizilianer eine Blutorange filetiert, der erlebt ein blutrotes Gemetzel. Die linke Hand hält die Gabel mit der aufgespießten Frucht. Die rechte kappt mit einem sehr scharfen Messer die andere Seite, um dann mit atemberaubender Geschwindigkeit die Schale mitsamt dem weißen Häutchen abzuschälen. Genau so flott sind die Filets ausgelöst und baden im eigenen Saft. Ein bisschen roter Pfeffer oder eine Prise Zimt drüber. Fertig ist das Orangensolo.

Aus Mallorca kann man via Internet die naturbelassenen gelben Sorten „Canoneta“ und „Peret“ bei Fet a Sóller bestellen. Soeben gepflückt und schon herbeigezaubert. Wird zu Hause die Kiste geöffnet, ist die ganze Küche von ihrem Duft erfüllt. So viele Orangen kann man unmöglich alle auf einmal essen.

Da bietet sich ein Orangen-Risotto an oder vielleicht doch eine Hähnchenbrust mit Orangen? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch ein Blutorangeneis schmeckt ganz bestimmt herrlich. Genauso wie kandierte Orangenscheiben mit einem Klacks Sahne. 

Ganz einfach Zucker und die gewaschenen, in Scheiben geschnittenen unbehandelten Orangen ungeschält in einen Topf schichten, mit Wasser bedecken und unterm Deckel zwei Stunden simmern lassen. Dann bildet sich ein Sirup, der wie flüssiger Orangenhonig schmeckt. Der Orient lässt grüßen, und der Winter kann uns mal.

Rezept für Campari-Spritz-Jelly:

Für 1,4 Liter, ergibt eine Götterspeisenform oder 8-9 Einzelportionen

Zutaten:

  • geschmacksneutrales Öl zum Einfetten
  • 0,75 l Prosecco
  • 150 g Zucker
  • 2-3 breite Streifen Orangenzeste (bio)
  • 20 g Blattgelatine
  • 70 ml Campari
  • 160 ml frisch gepresster Orange- oder Blutorangensaft
  • Eiscreme nach Wahl

Zubereitung:

  • Die Form(en) mit einem Backpinsel leicht einölen.
  • In einem großen Topf 200 ml Prosecco mit Zucker und Orangenzesten erwärmen. Rühren, bis der Zucker sich aufgelöst hat, dann beiseitestellen.
  • Die Gelatine in kaltem Wasser einweichen, dann sehr gut ausdrücken und unter Rühren in dem (noch heißen) Prosecco auflösen. Den restlichen Prosecco, Campari und Orangensaft zugeben und verrühren. Durch ein Sieb in die Form (oder die kleineren Formen) gießen, Zesten entsorgen und das jelly über Nacht im Kühlschrank fest werden lassen.
  • Vor dem Stürzen die Form(en) einige Sekunden in eine Schüssel mit heißem Wasser halten, damit das Gelee sich besser vom Rand löst.
  • Mit einer Kugel Eis servieren.
  • Jelly gehört nicht zum Standardrepertoire von der auf Sardinien lebenden Kochbuchautorin Letitia Clark, aus derem Buch „ La Vita è Dolce“ dieses Rezept stammt.
  • Was sie Clark an diesem Rezept aber besonders mag: „Die kräftig leuchtende Farbe dieses speziellen jelly ist besonders attraktiv. Dazu ist es geschmacklich ebenso fein bittersüß wie ein Spritz und passt daher gut zu einfachem Cremeeis.“

Buch:Letitia Clark: La Vita è Dolce. Dorlingkindersley Verlag, 272 Seiten, 29,95 Euro. 

 
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