Die Leichtigkeit des Seins wird gern in Südeuropa vermutet. Dabei hat auch der Norden kulinarisch so einiges zu bieten. Kostet man in Schweden mal hausgebackenes Knäckebrot, weiß man, dass geschmacklich Welten zwischen unserer staubtrockenen Supermarktware und dem knusprigen nordischen Kulturgut liegen.
Schon beim Anschauen der reschen Scheiben kracht und knistert es verheißungsvoll. Vorfreude macht sich breit. Jetzt das Ganze nur noch mit einem sauren Brathering belegen, einem Topping aus hauchdünn geschnittenen roten Zwiebeln, fein geraspelten Gurkenscheiben und ordentlich Dill obenauf.
In Schweden wird das Knäckebrot oft mit Roggenmehl gebacken
Genauso kann man es bei „Nystekt Strömming“ einer Imbissbude in Stockholm bekommen. Über Slussen, wo eine Schleuse das Süßwasser des Mälarsees vom Salzwasser der Ostsee trennt, tut sich gleich der Himmel auf. Warum nur schmeckt das hier so gut? Obwohl, ein Wunder ist das nicht, schließlich hat Knäckebrot eine jahrhundertelange Geschichte in Schweden. Es brachte so manchen Menschen über den harten Winter.
Oft ist es aus Roggenmehl gebacken, manchmal aus Weizen oder aus Gerste. Hafer kann auch dabei sein, und ein jedes hat reichlich Ballaststoffe und wenige Kalorien. Gutes Knäckebrot ist knusprig und zerbrechlich und schmeckt etwas herb. Einmal angefangen, kann man gar nicht aufhören zu naschen. Seine Struktur fügt sich wie lauter karamellfarbene Wölkchen aneinander. Luftgefüllt schwebt es gewissermaßen, und wer hineinbeißt, schmeckt vielleicht Anis, Kümmel, Fenchel, Dill oder Kardamom, manchmal sogar Zimt. Je nachdem, wie es dem Bäcker beliebt und in welcher Region es gebacken wird.
Lustig sehen die großen Scheiben mit dem Loch in der Mitte aus. Das hat Tradition. Denn nach dem Backen wurde das Brot über eine Stange gezogen und baumelte nicht weit vom Feuerherd von der Decke. So blieb es schön trocken für lange Zeit. Brot. Butter. Käse. Bei den Schweden ist dieser Dreiklang durchaus schon eine Mahlzeit. Hauptsache, der krachend rustikale Leckerbissen wird auf der richtigen Seite mit Butter bestrichen und obendrein mit ein paar erlesenen Salzflöckchen bestreut.
Die richtige Seite ist in diesem Fall die „Söndagssidan“, die mit den tiefen Dellen. In Schweden ist das die Sonntagsseite. Die glatte Kehrseite ist die Alltagsseite: „Vardagssidan“. Die Begriffe wurden in der sogenannten schlechten Zeit geboren, als Butter noch „gute Butter“ hieß.
Immer mehr junge Bäckerinnen und Bäcker entdecken das Knäckebrot wieder
Woher kommt denn nun das Knäckebrot? Auf jeden Fall aus Schweden. Und dort hauptsächlich aus einer Region, die man den Knäckebrotgürtel nennt. Innerhalb dessen wurde es gebacken, weil dort das richtige Getreide wuchs, und zwar nur im Sommer. So erfand man das Knäckebrot und hatte den Winter über immer etwas Nahrhaftes. Der Knäckebrotgürtel reicht von Dalarna in Mittelschweden über Värmland im Westen bis nach Stockholm.
In Schweden gibt es immer noch Bäckereien, die schon vor hundert Jahren Knäckebrot herstellten. Was früher im Feuerofen stattfand, geht heute elektrisch vonstatten. Aber das Wiederentdecken der alten Backtraditionen durch die jungen Bäcker ist nicht nur bei uns, sondern auch in Schweden in vollem Gange. In Stockholm gibt es kleine Manufakturen, die ihr eigenes Knäckebröd kreieren. Auch Mathias Dahlgren, der Zwei-Sterne-Koch und Unternehmer in seinem Luxus-Restaurant Matsalen (Esszimmer) im Grandhotel, serviert Hausgebackenes. Er hatte die Idee für das eingangs beschriebene Streetfood.
Die letzte Knäckebrotfabrik in Schwedens Metropole hat allerdings längst geschlossen. Eine Nachfahrin der Bäckerfamilie hat der großen runden Knäckescheibe mit dem Loch jetzt ein gläsernes Denkmal gesetzt. In Erinnerung an ihre Ururgroßeltern, die im Stockholmer Stadtteil Södermalm schon 1889 Knäckebröd herstellten, entwickelte die Designerin Emma Marga Blanche ein großes und ein kleineres Glasknäcke zusammen mit einer südschwedischen Glasbläserei in der Region Smaland. Das kann man kaufen und als dekorativen Teller oder eine Art Tablett nutzen. Es sieht fast ebenso zerbrechlich aus wie sein köstliches Vorbild.
Knäckebrot ist ein wunderbares Mitbringsel aus den nordischen Ländern
Ganz im Norden Schwedens, in Norrland, kennt man ein anderes Knäckebrot: das Tunnbröd. Übersetzt heißt es Dünnbrot. Es ist rechteckig und kleiner portioniert. Manche sagen auch Polarknäcke dazu. Tunnbröd ist eine Art Fladenbrot aus Gersten-, Weizen- oder Roggenmehl. Es ist noch dünner als sein berühmter Verwandter weiter südlich, aber trotzdem kompakter und nicht so porös und mit Luftblasen gespickt. Man kann es weich als Fladen backen und Spezereien wie Kartoffelpüree mit Würstchen drin einwickeln oder es crispy trocken mit Garnelen in Dillschmand belegen.
Das Fladenbrot an sich haben ja nicht die Schweden erfunden. Alle möglichen Völker der Levante, Afrikas und Asiens kennen es. Seit Menschen Getreide anbauten und ernteten, um es mühsam von Hand zu zermahlen und hernach einen Brei aus grobem Mehl und Wasser zu mischen, um daraus ein flaches Brot zu formen. Das erste Brot war mit Sicherheit ein Fladen. Manche trocknen es noch heute in der glühenden Sonne: im Kral, in der Wüste oder am Straßenrand, backen es auf feuerheißen Steinen. Trockenes Brot hält sich lange und die Zutatenliste ist nicht lang. Knäckebrot ist ein wunderbares Mitbringsel aus den nordischen Ländern, denn auch in Finnland kann man es finden, in Dänemark und Norwegen. Wer es einmal gekostet hat, will es immer wieder. Mit oder ohne Hefe. Mit Sauerteig oder auch nicht. Mit Noppen und ohne. Sogar mit Whisky gibt es ein Knäckebrot. Die feinen Sorten aus schwedischen Manufakturen kann man übers Internet beziehen.
Knäckebrot selbst backen ist kein Hexenwerk
Wer nicht auf den Postboten warten will, der versucht sich vielleicht mal selbst an einem Roggenknäcke ohne viel Chichi und lässt sich von Bernhard Lassahn mit seinem Knäckebrot-Song in Schwung bringen: „Ich will mein Knäckebrot, sonst schlaf ich gar nicht ein …“ Der Mann schrieb lange wunderschöne Geschichten für „Käpt’n Blaubär“. Spaß ist garantiert.
Warum also nicht mal ein Knäckebrot zu Hause backen? Das ist kein Hexenwerk. Den Teig sehr dünn ausrollen und bei maximaler Hitze auf einem Blech mit Backpapier in den Ofen schieben. Mit Geduld und Augenmaß wird daraus ein ganzer Stapel zum Wegknuspern.
Der sieht am Ende aus wie ein rostbrauner, leicht bemehlter zarter Scherbenhaufen. Himmlisch. Zum Reinbeißen. Aber immer daran denken, dass Knäckebrot, falsch und in feuchter Luft gelagert, leicht pappig wird. Zur Not kann man es aber auch leicht mit Wasser benetzen und vor dem Verzehr kurz im heißen Backofen reanimieren.