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Berlin
In diesem Berliner Sterne-Lokal gibt es nur Nachtisch
Desserts können mehr sein als nur der Abschluss eines Menüs. Der Allgäuer René Frank, weltbester Patisserie-Chef, beweist das in seinem Berliner 2-Sterne-Restaurant.
Inge Ahrens
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:32 Uhr

Das süße Ende kommt bestimmt. Man muss sich nur eine winzige Weile gedulden und hernach seine altgewohnten Erwartungen neu ausrichten. Der "Cironé Cheesecake" im Restaurant Codabeispielsweise hat mit Omas Käsekuchen so gar nichts zu tun. Er ist ein halbflüssiges Körbchen aus herzhaftem, zwanzig Monate altem Emmentaler Hartkäse. Eine Emulsion aus Mandelbutter besänftigt das Prickeln am Gaumen. Kaffeearomen steigen in die Nase auf, und karamellisierter Sellerie sorgt für Süße. Der splittert leise im Mund. Schmeckt himmlisch. 

Herzlich willkommen in Deutschlands einzigem 2-Sterne-Dessert-Restaurant. Man liest das Menü und stellt sich was vor. Den ganzen Abend Nachtisch! Wer möchte das nicht? Dann isst man und schmeckt, schmeckt nach und ist überwältigt von den Aromen. Das hier ist ein Dessert, das kein Dessert ist! Umso besser. 

Im Zwei-Sterne-Restaurant gibt es ein ganzes Dessert-Dinner mit fünfzehn Gängen

René Frank, der im letzten Jahr als weltbester Patissier ausgezeichnet wurde, hat es erfunden und bestreitet jetzt mit seinem Team ein ganzes Dinner mit fünfzehn Gängen daraus. Ein Dessert-Dinner-Menü, das zwar von der Patisserie inspiriert ist, aber gänzlich anders daherkommt, mit anderen Produkten arbeitet und völlig auf Industriezucker verzichtet. 

Mais, Rote Bete, Möhren – kann so köstlich die Essenz von Gemüse schmecken? Die Brioche aus Reismehl zerschmilzt jedenfalls samt Gouda-Füllung und aromatischem Steckrüben-Karamell auf der Zunge. Mittels innovativer Techniken wird aus den Früchten ihr natürlicher Zuckergehalt herausgearbeitet. Volle einzigartige Süße übernimmt. Verzückt und ein wenig in sich gekehrt sitzen die Gäste im Berliner Restaurant. Das liegt in einer stillen Seitenstraße des quirligen und internationalen Gewusels im Stadtteil Neukölln hinter Graffiti-Malereien. Den Eingang könnte man glatt übersehen. 

Im Berliner Lokal gibt es zu jedem Gang das passende Getränk

Drinnen ist es schlicht und elegant. Wie ein großes Wohnzimmer eigentlich, mit offener Küche, in der keinerlei Hektik zu spüren ist, und einer langen Bar. 25 Gäste sind willkommen. Bloß ein kulinarischer Durchgang am Abend. Man hat also Zeit. Und das Licht liegt wie ein Hauch Bitterschokolade über allem. An den Wänden hängen keine Bilder. Hauptdarsteller sind die Preziosen, die aus der Küche kommen, in der Julia Leitner die Küchenchefin ist. 

René Frank, Mitinhaber und Gründer des Restaurants Coda, empfiehlt erst mal die von Barchef Adam Tudoret in Zusammenarbeit mit dem Küchenteam entwickelten Drinks, passend zu jedem Gang. "Pairings sind Teil des Programms", das ist Frank wichtig. So werde aus dem Abend erst ein ganzer. Aber selbstverständlich könne man auch Wein bestellen oder alles gänzlich ohne Alkohol genießen.

Patisserie-Chef René Frank schafft neue und fruchtige Geschmackswelten

Was folgt, ist ein unterhaltsames Menü mit Dessertoptik, auf schöner Keramik serviert. Das Confit von der gelben Tomate nebst daraus gewonnenem Eis zusammen mit der Kichererbsen-Mousse und dem Baiser aus deren Kochwasser eröffnet völlig neue und sehr fruchtige Geschmackswelten. Dies hier sind jedenfalls keine zuckersüßen Konditoren-Spielereien der Dekadenz aus vergangenen Jahrhunderten. Augentäuschungen sind die kleinen Kunstwerke dennoch. 

Denn wer bei ihrem Anblick an klassische Desserts denkt, erwartet erst mal süße Cremes und Törtchen. Die Belohnung zum Finale eines Essens, denn ein Dessert geht immer noch. Die einzelnen Gänge des Dessert-Dinners im Coda sehen zwar auch manchmal so kapriziös aus wie ihre gängigen Vorbilder, sind allerdings abendfüllend, und die Vorfreude bleibt bis zum letzten Gang erhalten. 

Das Coda verlässt niemand pappsatt. Der Gast kommt mit leerem Magen, und er bleibt bis zum Ende neugierig. "Was? Das war’s schon?" Und oft kommt er wieder. "Man kann mit allem ein Sterne-Restaurant füllen, auch mit Desserts", findet René Frank. Seine Gäste geben ihm recht. Ein Blick in die Runde zeigt, das zieht sich durch alle Generationen. 

Süß bis umami: Die fünf Geschmäcker sind alle über den Abend hinweg verteilt

Für René Frank müssen die fünf Geschmäcker zwar nicht in jedem Gericht, so doch über den Abend hinweg verteilt und ausgewogen sein: süß, salzig, sauer, bitter und umami. Dazu Frische und Säure. "Die Texturen sind die Herausforderung. Man möchte was zum Beißen haben", erzählt er. Es kracht und knistert, wenn man mit dem Löffel durchs Ganze sticht und so den vollen Geschmack hat. "Der Gast soll alles zusammen essen." Das mag man kaum tun angesichts eines poetischen hauchzarten grünen Körbchens aus kandiertem und mit Ahornsirup gewürztem Kopfsalat samt Frischkäse und dehydrierter Salzgurke.

"Koch oder Kommissar? Was soll ich werden?", hatte sich René Frank gedacht. "Wenn Koch, dann aber ein eigenes Restaurant." Das war dem Allgäuer schon früh klar, dessen Vater und Großvater beide Müller waren. Da wurde viel gebacken zu Hause in Wangen, wo Frank 1984 zur Welt kam. "Wenn es ums Kochen ging, habe ich wirklich alles daran gesetzt, was zu erreichen. Ich arbeitete immer in Küchen, habe mich aber als Patissier ständig weitergebildet."

René Franks Vita ist glänzend und führte ihn von Stuttgartüber Barcelona, San Sebastian nach Frankreich, Amerika und Tokio zu den besten und weltbesten Chefs. 2010 schließlich wurde er Chef-Patissier bei Thomas Bühner im "la vie" in Osnabrück, das während seiner sechs Jahre dort seinen dritten Michelin-Stern errang. Am Ende dieser Zeit waren die Idee und der Wunsch von einer eigenen Dessert-Bar oder einem Dessert-Restaurant gereift. 

Restaurant Coda erhielt 2019 seinen ersten Stern

"Wenn ein Restaurant, dann aber nur in Berlin. Hier ist man offen für alles. Man kann ausleben, was man möchte." Während der Anfangszeit sei das Coda noch mehr im Experimentellen und im Ausprobieren verhaftet gewesen, blickt René Frank zurück. Das kann man von der netten Überraschung nun bestimmt nicht behaupten, die jetzt vor uns steht. "Kaviar Popsicle", Eis am Stiel steht auf der Karte. Sieht aus wie ein frostiger niedlicher Mini-Nogger und ist doch Eis aus Topinambur, umhüllt von einer Ganache aus Pecannuss-Schokolade und Kaviarperlen vom Oscietra-Stör.

Donnerwetter! Das schmeckt. Und tatsächlich wurde René Frankvom legendären Nogger-Eis seiner Kindheit inspiriert. Nun muss man diese Eis-Variante natürlich nicht extra bestellen, zumal, wenn man fleischlos isst. Man kann sich im Coda auch prima ohne durchs Menü lotsen lassen. Vegan funktioniert allerdings nicht", sagt René Frank. "Wir brauchen die Würzigkeit, zum Beispiel vom Käse. Aber auch VegetarierInnen kommen bei uns schön auf ihre Kosten. Die lassen einfach die Schweinekruste und den Kaviar weg."

Die Reise durch die Dessertgenüsse der besonderen Art dauert keine Ewigkeit. Die Stunden verfliegen. Sie bringt noch Rote-Bete-Eis und geschäumten Bio-Tofu, Buttercreme mit Miso, eingeweckten Zwetschen und Walnuss-Biskuit und vieles andere mehr, wie auch die begleitenden sorgsam abgestimmten Drinks, die hier aus Platzgründen vernachlässigt werden. Was bleibt, ist die Lust auf mehr. 

René Frank setzt auf Disziplin, nennt sich selbst schon mal einen "Kontrollfreak". In seiner Küche arbeiten Männer wie Frauen, KöchInnen und KonditorInnen. Das Coda gibt es seit 2016. 2019 erhielten sie den ersten Stern, 2020 den zweiten. Sogar der Kakao aus Ecuador wird selbst geröstet für die hauseigene Schokolade. Womit wir beim süßen Ende sind. 

René Frank: "Wir wissen genau, woher unsere Lebensmittel kommen."

Lust auf ein paar Schokoladen-Murmeln mit Olive und Wagyubeef-Fett, das schokoladig und karamellig auf der Zunge zergeht und erst ganz zuletzt das fleischige Aroma frei gibt? Schokolade mit Haselnuss und Hibiskus oder mit Roter Bete, alles vereint in mundgerechten Kugeln. "Es geht nicht darum, den Magen zu füllen", betont René Frank. Auf Kopf und Zunge und um das Mundgefühl geht es ihm. Und es geht immer um Qualität.

"Wir wissen genau, woher unsere Lebensmittel kommen." Das Essentielle, alles aus der Frucht oder aus dem Gemüse herauszuholen, schafft völlig neue Esserlebnisse. Apfel, Bete, Tomate, egal: sie alle präsentieren sich in ihrer Tiefe und haben geschmacklich ordentlich Bumms.

EineCoda bezeichnet den Schlussteil eines Satzes in der Musik, und in der Dichtkunst die zusätzlichen Verse beim Sonett wie auch bei anderen romantischen Gedichtformen. Das Restaurant Coda ist die kulinarische Entsprechung dazu. Es ist wundervoll durchkomponiert, und der Abend bleibt ein Erlebnis.

 
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