Sie sind klein und unscheinbar, dennoch werden ihnen große Kräfte zugesprochen: Wenige Wochen alte Pflänzchen sollen besonders gesund sein und gelten als "Superfood" von der Fensterbank. Was früher altbacken Sämlinge genannt wurde, heißt jetzt ganz cool "Microgreens", wörtlich übersetzt Mikrogrün. Inzwischen gibt es eine ganze Szene um die zarten Pflänzchen, die aber – ganz wichtig – keine Sprossen sind.
Mikrogrün klingt aufregend. Allerdings steckt dahinter nichts anderes als kleine, junge Pflänzchen, die nach wenigen Wochen Wachstum abgeschnitten und verzehrt werden können. Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern erklärt: "Es sind im Prinzip weiterentwickelte Sprossen." Denn Mikrogrün und Sprossen sind nicht dasselbe.
Ähnlich klein, aber anders: Microgreens sind nicht gleich Sprossen
Das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) erklärt den Unterschied genauer: Sprossen würden ohne Tageslicht gezogen und hätten dadurch eine helle, leicht gelbliche Farbe. Bekannteste Vertreter sind die Sojasprossen in asiatischen Gerichten. "Microgreens dagegen durchlaufen eine weitere Wachstumsphase und haben neben den beiden Keimblättern noch mindestens zwei Blättchen gebildet", heißt es vom BZfE. Nach dem Keimen würden die nur wenige Zentimeter großen Gewächse durch das Chlorophyll eine saftig grüne Farbe annehmen. Eine der bekanntesten und am weitesten verbreiteten Mikrogrün-Variante ist Kresse.
Spezialisierte Firmen und Foodblogger preisen die zarten Pflänzchen als wahres "Superfood" an. Im Internet ist die Rede von bis zu 40-mal mehr Vitaminen als in ausgewachsenem Gemüse. Ab und an werden dem Mikrogrün sogar heilende Kräfte für Krebs zugesprochen. "Man muss ganz arg aufpassen, was da für Gesundheitsversprechen gemacht werden", warnt Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern. Die Pflanzen können unterstützend und vorbeugend wirken, hätten aber keine heilenden Kräfte. "Sie liefern unter anderem Vitamin C und sind reich an sekundären Pflanzenstoffen", sagt Krehl.
In den Pflänzchen steckt hohe Konzentration von gesunden Inhaltsstoffen
Die gelernte Köchin und Food-Fotografin Ela Rüther erklärt in ihrem Buch "Micro Greens Micro Leaves", wie viel Kraft in den Microgreens steckt: "Die kleinen Pflänzchen enthalten alle Inhaltsstoffe, die die Pflanze für ihre weitere Entwicklung braucht." Deshalb sei die Konzentration dieser gesunden Inhaltsstoffe in den gerade gekeimten Pflanzen besonders hoch. Dennoch, da sind sich die Expertinnen und Experten einig: Microgreens können herkömmliches Gemüse nicht komplett ersetzen.
Mikrogrün habe Krehl zufolge allerdings einen Vorteil: "Frisches Gemüse ist nicht so saisonal da". Microgreens hingegen würden sich eignen, gerade im Winter und Frühjahr etwas Frische auf den Teller zu bringen. Generell fühlen sich die Pflänzchen das gesamte Jahr über auf der Fensterbank oder am Balkon wohl.
Mikrogrün als Einstieg in die Gartenarbeit
Wer sich die kleinen Sämlinge nach Hause holen möchte, braucht nicht viel, nicht einmal einen besonders grünen Daumen. Melanie Öhlenbach ist Bloggerin und Balkongarten-Expertin. Sie sieht Microgreens als eine gute Möglichkeit, um sich an Gartenarbeit heranzutasten. Denn es benötige keine aufwendigen Investitionen, um damit anzufangen. Weil die Pflanzen schnell wachsen und somit schnell geerntet werden können, gebe es nach kurzer Zeit auch schon ein Erfolgserlebnis.
Doch wie wird aus den trockenen Samen essbarer Genuss? Ela Rüther schreibt: "Die wichtigsten Faktoren sind: die Auswahl des Saatguts, die richtige Erde, ein guter Standort mit ausreichend Licht und die tägliche Pflege." Als Gefäße eignen sich etwa Plastik- oder Terrakottatöpfe mit Drainagelöchern. Die Erde sollte idealerweise torffrei und zum Anzüchten geeignet sein. Melanie Öhlenbach empfiehlt: "Da Microgreens schon nach kurzer Zeit geerntet werden, können Sie eng aussäen." Die Pflänzchen sollten regelmäßig feucht gehalten werden und an einem hellen, warmen Standort stehen – allerdings nicht in der direkten Sonne, betont die Bloggerin.
Besonders wichtig sei das Saatgut. Daniela Krehl empfiehlt etwa Rote Bete, Spinat, Senf oder Radieschen. Die Pflanzen von Nachtschattengewächsen wie Tomaten oder Auberginen sind leicht giftig, weshalb sie sich nicht eigenen, um als Mikrogrün auf der Fensterbank gezogen zu werden. Krehl betont: "Beim Anbau muss man aufpassen, dass es nicht zu feucht und warm wird und dass die Luft zirkulieren kann." Sonst könne das Saatgut schimmlig werden und sollte dann auch nicht mehr verzehrt werden. Zudem sollten die Microgreens vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden. Wer selbst zieht, sollte auch darauf achten, die Erde nicht mit aufzunehmen.
Start-ups versprechen Wachstumserfolge mit speziellen Sets
Für ein wenig zusätzliches Grün auf dem Teller braucht es also nur Saatgut, etwas Erde und ein wenig Zeit. Oder? Inzwischen sind einige Start-ups auf den "Microgreen-Zug" aufgesprungen und versuchen, mit aufwendig konzipierten Anzuchtboxen neue Mikrogrün-Fans zu gewinnen. Die Firmen bieten spezielle Kästen mit vorgefertigten Saatbändern und extra Beleuchtung an. Startpreis für das Grundpaket sind um die 130 Euro, je nach Abo-Modell und Ausstattung.
Die Unternehmen werben damit, das Wachstum der Pflanzen zu optimieren. So müssen die Besitzer zu Beginn lediglich Wasser einfüllen und sich danach nicht mehr weiter um die Pflanzen kümmern. Manche bieten sogar eine App an, mit der die Fortschritte verfolgt werden können. Sicherlich hilfreich also für diejenigen, bei denen Pflanzen sonst schnell in Vergessenheit geraten. Krehl kritisiert allerdings: "Diese ganzen Starterpakete sind überteuert. Man kann aus einem Gartencenter oder Bioladen die ersten Samentütchen für den Sommer zum Vorzüchten wunderbar selbst verwenden."
Für Salate, Sandwiches oder zum Frühstück geeignet
Sind die Microgreens, in Rezepten auch "Leaves", also Blätter, genannt, dann gewachsen, stellt sich die Frage: Wie bereite ich sie eigentlich zu? Ela Rüther hat Ideen parat, wie die Jungpflanzen ihren Weg auf den Teller finden. "Es ist nicht so eine klassische Zutat, die man in den Suppentopf gibt oder anbrät in der Pfanne." Denn sobald die Jungpflänzchen erhitzt werden, fallen sie zusammen und verlieren den Geschmack. Daher eignet sich das Mikrogrün eher für kalte Speisen. Rüther nennt als Beispiele Aufstriche, Quark oder Pesto-Varianten. Auch in Sandwiches oder Wraps, also "alles Eingerollte oder Zusammengeklappte", in Salaten oder zum Garnieren auf warmen Speisen ließen sich die Microgreens prima ergänzen.
Wer es etwas aufregender möchte, kann das Mikrogrün auch zum Frühstück essen. "Das ist ein bisschen Geschmackssache dann", sagt die Fotografin. In diesem Falle würden sich Microgreens aus Amarant oder Leinsaat eignen. Generell gelte, schreibt Rüther in ihrem Buch: "Erlaubt ist, was schmeckt."
Rezept für Hirsesalat mit Granatapfel
- 100 g Hirse
- Salz
- 1 Salatgurke
- 1 Granatapfel
- 1 Schalotte
- Saft von 2 Limetten
- 1–2 EL Ahornsirup
- 4 EL Olivenöl
- Meersalz
- 1 Messerspitze Cayennepfeffer
- 4 EL Mangold-Leaves
- 1 EL Basilikum-Leaves
- Pfeffer aus der Mühle
Die Hirse in einem Sieb heiß abspülen. Mit der doppelten Menge Wasser und 1⁄2 Teelöffel Salz in einen Topf geben. 10–15 Minuten kochen lassen, gegebenenfalls die Zeit nach den Angaben auf der Packung anpassen. Die Gurke in zentimetergroße Würfel schneiden. Die Granatapfelschale am Blütenansatz kreisrund einschneiden und abheben. Die Schale rundum in Spalten einschneiden und den Granatapfel aufbrechen. Die Kerne herauslösen und zur Gurke in eine Schüssel geben.
Die Hirse nach dem Garen zum Abkühlen in einer flachen Schale verteilen. Die Schalotte klein würfeln. Den Limettensaft mit Ahornsirup, Schalottenwürfeln und Olivenöl verquirlen. Mit Salz und Cayennepfeffer würzen. Die abgekühlte Hirse in die Schüssel geben und mit dem Dressing mischen. Die Leaves mit einer Schere frisch abschneiden und behutsam unter den Salat mischen. Mit frisch gemahlenem Pfeffer bestreuen.
Rezept für Kokosmilchreis
- 1⁄2 Vanilleschote
- 250 ml Milch
- 250 ml Kokosmilch
- 150 g Milchreis
- 1 reife Mango
- 2 EL Honig
- 2 EL frisch gepresster Limettensaft
- 2 EL Leaves-Mischung nach Belieben (etwa Amarant, Lein, Sauerampfer, Zuckerschote)
- Optional: 1 EL Kokoschips
Die Vanilleschote längs aufschneiden, das Mark herauskratzen und beides mit der Milch und der Kokosmilch in einem Topf zum Kochen bringen. Den Milchreis in die kochende Milch geben, umrühren und bei geschlossenem Deckel auf kleinster Stufe 30–40 Minuten ausquellen lassen. Dabei gelegentlich umrühren.
Die Mango schälen, das Fruchtfleisch vom Stein schneiden und in einen hohen Becher geben. Den Honig und den Limettensaft zufügen und alles fein pürieren. Den fertig gegarten Kokosmilchreis mit dem Mangopüree in Schalen verteilen. Die Kokoschips und die Leaves darüberstreuen. Der Kokosmilchreis schmeckt warm und kalt.
Kokoschips: Kokosnuss-Fruchtfleisch von einer halben frischen Kokosnuss mit dem Sparschäler in dünnen Scheibchen abhobeln, im Backofen bei 160 Grad etwa 20 Minuten backen; dabei bereits trockene und hellbraune Kokoschips fortlaufend vom Blech nehmen und abkühlen lassen.
Quelle: Rezepte stammen von Ela Rüther und Susann Kreihe aus dem Buch "Micro Greens Micro Leaves", erschienen 2017 im AT Verlag.