Jedes Kind kennt den Holunder. Oder haben Sie es nicht gesungen: "Ringel, Ringel, Reihen, sind der Kinder dreien, wir sitzen unterm Hollerbusch, machen alle husch, husch, husch!" Eben!
Ob Holunder, Holder oder Holler - ein magischer Strauch ist dieses Gewächs, das so unscheinbar am Wegrand steht, das für die Menschen aber seit Urzeiten eine besondere Bedeutung hat. Viele Mythen und Geschichten gibt es und seit Jahrtausenden wird der Holunder von den Menschen wegen seiner Heilkraft verehrt. Negative Energie nehme er auf und leite sie ins Erdreich ab, ist eine der Legenden, die überliefert ist. Und dass beim Räuchern seiner Äste und Blätter eine Verbindung zu den verstorbenen Ahnen hergestellt werden könne. Er sei der Lieblingsbaum der Erdgöttin Holla, meinten die einen, und die anderen glaubten sogar, dass sie darin wohne. Weshalb es guter Brauch war, sich im Vorbeigehen vor dem Holunder zu verneigen oder gar den Hut zu ziehen.
Wohlriechender Gesundmacher - doch die Inhaltsstoffe können giftig sein
Ehrfurcht und Verehrung also für dieses Gewächs, das auch viele Widersprüche in sich vereint: zarte weiße Blüten, die sich im Frühjahr wie Spitzenschirmchen aufspannen, während im Herbst die dunklen herben Früchte an den Dolden hängen. Die Inhaltsstoffe des Holunders sind heilsam, stärken das Immunsystem, wirken schleimlösend und beruhigend. Sie können aber auch giftig sein, weshalb man Beeren, Blätter und Rinde (ja, auch mit der lässt sich was machen) nie roh genießen darf, sondern nur, nachdem sie auf mindestens 80 °C erhitzt wurden.
Man könnte jetzt also bis zu den Kelten zurückgehen, ach was, sogar bis in die Steinzeit. Auch damals schon labten sich die Menschen an den köstlichen Beeren des Holunderstrauchs, das belegen prähistorische Funde. Doch bleiben wir lieber im Hier und Heute und wählen eine Telefonnummer in Österreich, um zu erfahren, welch eine Wunderpflanze dieser Sambucus nigra, wie die korrekte botanische Bezeichnung lautet, ist. Dort, in dem Ort Allerheiligen in der Nähe von Graz, sitzt nämlich Karin Sidak, ausgebildete Kräuterpädagogin, Foodbloggerin und Hobbygärtnerin, und sie gerät einfach nur ins Schwärmen, wenn die Sprache auf jenes Gewächs kommt.
"Rund ums Jahr hat der Holunder etwas zu bieten", preist Sidak die Pflanze, mit der die Natur so verschwenderisch umgeht. Auf freien Feldern, in Parks, an Scheunen, in verfallenen Gemäuern - einfach überall wird man demnächst wieder auf diese filigrane, weiß leuchtende Blütenpracht stoßen, die dazu noch einen betörenden Duft verbreitet und in Frühlingsstimmung versetzt.
Mal was Neues: Holunderblüten für ausgefallene Rezepte verwenden
Doch zurück zu Karin Sidak, die in ihrem gepflegt-steirischen Tonfall aufzählt, warum der Holunder nicht nur im Frühling eine Supersache ist. Sobald der Austrieb Ende Februar beginnt, sammelt sie die Knospen, um daraus Gemmomazerat, eine Art Extrakt, herzustellen. Sehr gesund sei das, weil sich darin schon alle Wirkstoffe des Holunders befänden, erklärt Sidak. Etwas später dann macht sie sich an die Rinde, aus der sie vor allem Tees zubereitet - "nicht wohlschmeckend, aber sehr wohltuend", versichert die Kräuterpädagogin. Ab April kann man für Tees auch die jungen Blätter sammeln.
Im Mai und Juni schließlich der vorläufige Höhepunkt: die winzigen Blüten, die zu Hunderten auf den Dolden sitzen. Da wird es dann mit Holderküchle und Sirup nicht nur heilsam, sondern auch höchst schmackhaft. Aber: "Es wäre wirklich schade, wenn man sie immer nur nach diesen gängigen Rezepten verarbeiten würde", findet Expertin Sidak. Sie selbst hat im letzten Jahr viel experimentiert und abgeschmeckt und ist dabei auf neue Rezepte gekommen, die sie in ihrem Buch rund um den Holunder gesammelt hat. Energiekugeln zum Beispiel, eine Nascherei aus Aprikosen, Datteln, Cashewnüssen und Haferflocken, die mit getrockneten Holunderblüten veredelt werden. Oder die Hugo-Marshmallows. "Die gekauften mag bei uns keiner in der Familie, aber die selbst gemachten waren schneller weg als ich schauen konnte", erinnert sich Sidak an die Erprobungsphase.
Holunderblüten müssen mit Vorsicht behandelt werden
Frisch und getrocknet lassen sich die Blütenstände verwenden, für Letzteres hat Karin Sidak den Dörrapparat in der Küche stehen. Nur ranhalten sollte man sich, denn wenn die Blütendolden einmal abgeschnitten sind, bekommt das strahlende Weiß schnell bräunliche Schatten. Und was man auch wissen muss, so die Fachfrau: "Das Aroma sitzt in den Pollen, man muss also sorgsam mit den zarten Blüten umgehen". Das heißt: nicht waschen, nicht kräftig schütteln, die Dolden nach dem Pflücken erst einmal auf Küchenkrepp auslegen, damit die Tierchen, die noch drin sind, herauskrabbeln können.
Wer meint, nun seinen Sirup (vielleicht auch mit Sekt oder Wein im Trendgetränk Hugo gemischt) zu schlürfen und warten zu müssen, bis die Beeren ihre rot-schwarze Färbung haben, der irrt. "Schon die grünen Beeren lassen sich herrlich einlegen", hat Karin Sidak festgestellt. " Sie sind dann wie Kapern und wenn man daraufbeißt, ist das ein spannendes Geschmackserlebnis", beschreibt sie. Abgefüllt in dekorative Gläser sind die grünen Holunderbeeren ein Mitbringsel, mit dem sich mancher Beschenkte verblüffen lässt, hat sie erlebt. "Nur das Abrebeln ist ein bisschen mühsam", warnt Karin Sidak. Aber da hat sie Unterstützung von ihrem Mann Herbert.
Wie strapaziös das Leben mit einer Frau sein kann, die dem "Kräuterwahn" erlegen ist, darüber ließ sie ihn von Beginn ihrer Beziehung an nicht im Unklaren. Zu einem der ersten Spaziergänge bei schönstem Frühlingswetter bekam er einen Regenschirm verpasst, um ihr die Äste mit den Blütendolden heranzuziehen. Seitdem trägt Herbert Sidakübrigens bei solchen Unternehmungen auch lieber lange Hosen, denn Holunder ist ein sogenannter Stickstoffzeiger, wie auch die Brennnesseln, die sich gern um ihn herum ansiedeln. "Was für eine Bewährungsprobe, aber er hat sie bestanden. Ich übrigens auch, denn er hat mich ja geheiratet", sagt Karin Sidak und lacht.
Kreative Ideen schaffen Holundergenuss für das ganze Jahr
Und damit zur Krönung im Holunderjahr: die Ernte der schwarz-roten Beeren. Im August und September ist es je nach Witterung so weit. Dann wird bei Karin Sidak eingelegt, eingekocht, eingefroren und getrocknet. Natürlich Marmelade, Gelee und Saft, aber auch Ketchup mit asiatischem Einschlag und Chili con Holunder entstehen in der Küche in Allerheiligen. Aus dem Trester, der beim Saften übrigbleibt, macht Sidak eine knusprige Würzmischung, die sie "eine Offenbarung" nennt. In den diversen Aggregatzuständen hat die Kräuterpädagogin dann Vorrat für den Rest des Jahres, bis die ersten Knospen wieder austreiben.
Sie selbst hat in ihrem Garten übrigens nur zwei Holunder stehen, einen kleinen dritten hat sie im letzten Jahr neu entdeckt. Für die Ernte greift sie diese Büsche aber nicht an. "Die will ich nur anschauen, weil sie so schön sind."
Holundertrester-Topping
Zutaten für ca. 30 gr
3 EL Holunderbeerentrester, 3 EL Sesamsamen, 1 EL Koriandersamen, 1 EL Thymianblättchen (frisch oder getrocknet), 1 EL Salzflocken, 2 EL geröstete Pinienkerne
Zubereitung
Holunderbeerentrester in einer elektrischen Gewürzmühle mittelfein mahlen, Sesam und Koriander zugeben und die Maschine einmal kurz einschalten. Mischung in eine Schüssel geben. Thymian, Salz und Pinienkerne untermischen, kühl und trocken lagern.
Das Knuspertopping verfeinert, vor demAnrichten darübergestreut, Cremesuppen, Nudelgerichte, Reis, Salate.
Holunderbeeren-Balsamessig
Zutaten für 2 Flaschen
350 g abgerebelte Holunderbeeren, 500 ml Weißweinessig, 120 g Rohrzucker, 1 Zweig frischer Rosmarin, 2 EL Gelierzucker
Zubereitung
Holunderbeeren, Essig, rohrzucker und Rosmarin in einen backofengeeigneten Topf geben, bei 150 Grad eine Stunde ohne Deckel einreduzieren und die Masse über Nach abkühlen lassen.
Die Beeren Essig-Mischung portionsweise durch ein feinmaschiges Sieb abseihen und die Beeren gut andrücken. Die Essigmischung mit EL Gelierzucker 2:1 verrühren, aufkochen und 5 Minuten köcheln lassen. Den Balsamessig heiß in Flaschen abfüllen, kühl und dunkel lagern.
Energiekugeln mit Holunderblüten
Zutaten für 14 Kugeln
80 g getrocknete Aprikosen, 40 g Datteln ohne Kern, 50 ml Orangensaft, 50 g gehackte Cashewnüsse, 50 g Kokosraspel, 2 EL Mandelmus, 1EL Vanillezucker, 1 EL Haferflocken, 3 EL getrocknete Holunderblüten
Zubereitung
Aprikosen und Datteln klein hacken und mit dem Orangensaft mischen, 2 Stunden ziehen lassen. Nüsse, Kokosraspeln, Mandelmus, Vanillezucker, Haferflocken, Holunderblüten und die gehackte Obstmischung mit dem Saft grob pürieren. Mit leicht befeuchteten Händen Kugeln formen und 30 Minuten in den Kühlschrank stellen. Für den Überzug die Kugeln in einer Mischung aus 2 EL getrockneten Holunderblüten und 2 EL Kokosraspel wälzen oder mit geschmolzener weißer Kuvertüre überziehen.
Quelle: Karin Sidak: Mit Holunder durchs Jahr. Stocker Verlag, 184 Seiten, 22, 90 Euro