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Forschung
Schnittspuren an Schienbein: Waren unsere Vorfahren Kannibalen?
Forschende haben Schnitte an einem Millionen Jahre alten Schienbeinknochen untersucht. Das Ergebnis: Sie wurden offenbar per Hand mit einem Steinwerkzeug zugefügt.
Warum nicht mal auf einem Säbelzahntiger reiten? «Far Cry Primal» entführt in die Steinzeit. Ausgestorbene Kreaturen und reichlich Action inklusive. Screenshot: Ubisoft Foto: Ubisoft       -  Frühe Ahnen des Menschen könnten Kannibalen gewesen sein. Diesen Verdacht legen markante Schnittspuren auf einem fast 1,5 Millionen Jahre alten Schienbeinknochen nahe.
Foto: Ubisoft (dpa) | Frühe Ahnen des Menschen könnten Kannibalen gewesen sein. Diesen Verdacht legen markante Schnittspuren auf einem fast 1,5 Millionen Jahre alten Schienbeinknochen nahe.
Redaktion
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:09 Uhr

Frühe Ahnen des Menschen könnten Kannibalen gewesen sein. Diesen Verdacht legen markante Schnittspuren auf einem fast 1,5 Millionen Jahre alten Schienbeinknochen nahe. US-amerikanische Forschende betonen jedoch im Fachblatt Scientific Reports, es seien noch zu viele Fragen unbeantwortet, um sicher sagen zu können, dass sich frühe Hominine wirklich gegenseitig verspeisten.

Eigentlich hatte die Paläoanthropologin Briana Pobiner vom National Museum of Natural History in Washington nach Hinweisen gesucht, welche prähistorischen Raubtiere urzeitliche Verwandte des Menschen gejagt und verspeist haben könnten. Bei ihrer Recherche stieß sie 2017 auf einen 1,45 Millionen Jahre alten Schienbeinknochen eines frühen Vorläufers des Homo sapiens. 

Expertin vermutet, dass Schnittspuren mit Steinwerkzeug verursacht wurden

Als Pobiner den Knochen untersuchte, entdeckte sie mehrere Schnittspuren, die sie an die Spuren von Steinwerkzeugen erinnerten. Sie schickte Abdrücke an Michael Pante von der Colorado State University– ohne ihm ihren Verdacht zu verraten. Pante verglich 3D-Scans jener Abdrücke mit Einträgen in einer Datenbank zu verschiedenen Arten von Abdrücken. 

Eindeutiges Ergebnis der Analyse: Neun der elf Spuren an dem Schienbeinknochen passten tatsächlich zu jener Art Schäden, die durch Steinwerkzeuge verursacht werden. Die beiden übrigen rührten möglicherweise von Bissen einer Großkatze her, vermutlich von einer der drei bekannten Arten von Säbelzahnkatzen, die zu Lebzeiten des Individuums durch die Landschaft streiften.

Wie Pobiner betont, bedeuten die Schnittspuren allein noch nicht, dass ihr Verursacher sich an dem Bein gütlich getan habe. Dies sei aber das wahrscheinlichste Szenario. So befänden sich die Kratzer an jener Stelle, wo der Wadenmuskel mit dem Knochen verbunden sei – und damit an einer guten Position, um das Fleisch abzulösen. Auch seien alle Schnitte gleich ausgerichtet, was darauf hindeute, dass eine Hand sie mit einem Steinwerkzeug verursacht habe. „Diese Schnittspuren sehen jenen sehr ähnlich, die ich auf Tierfossilien gesehen habe, die für den Verzehr verarbeitet wurden“, beschreibt Pobiner in einer Mitteilung der Smithsonian Institution, die das Museum betreibt. „Es scheint sehr wahrscheinlich, dass das Fleisch dieses Beins gegessen wurde.“

Schnittspuren am Schienbein verraten nicht, was genau passiert ist

Doch auch wenn diese Vermutung stimmen sollte, könnte streng genommen noch nicht von Kannibalismus gesprochen werden. Denn es ist völlig unklar, ob in diesem Fall Esser und Gegessener der gleichen Art angehörten. Zum einen lässt sich der versteinerte Knochen keiner konkreten Homininen-Spezies zuordnen. Zum anderen lasse auch die Verwendung von Steinwerkzeugen keine eindeutigen Rückschlüsse darauf zu, welche Art damit hantiert haben könnte. 

Die Schnittspuren verraten auch nicht, was genau passiert ist: So könnte eine Großkatze die Überreste gefunden haben, nachdem Hominine das meiste Fleisch vom Knochen gelöst hatten. Ebenso ist denkbar, dass das Raubtier das Individuum tötete, bevor Hominine die Beute übernahmen. 

Kratzspuren an einem Schädel sorgten schon vor Jahren für eine Kontroverse

Schon 1999 hatten Forschende im Fachblatt Scienceüber möglichen Kannibalismus unter Neandertalern vor etwa 100.000 Jahren im Rhônetal berichtet. Für eine Kontroverse sorgten Kratzspuren auf einem 1,5 bis 2,6 Millionen Jahre alten Schädel. Zunächst wertete eine Studie die Spuren als Beleg dafür, dass frühe Hominine die Überreste eines anderen Homininen zerlegt hatten. 2017 schrieben dagegen Forschende, die Spuren seien durch Kontakt mit scharfkantigen Steinen entstanden, die am Schädel lagen. 

Eben diesen Schädel würde Pobiner nun gerne mit den gleichen Techniken wie in der aktuellen Studie untersuchen. Dies könnte die Frage klären, ob das Schienbein tatsächlich das älteste Frühmenschen-Fossil mit Schnittspuren ist. „Die Informationen, die wir haben, sagen uns, dass Hominine wahrscheinlich vor mindestens 1,45 Millionen Jahren andere Hominine gegessen haben“, sagt Pobiner. (Alice Lanzke, dpa)

 
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