
Ließe sich die Menschheit als Einzelwesen betrachten, müsste man wohl sagen: Herzlich willkommen in der Pubertät! Und die Eltern (wer immer die dann wären) um möglichst viel Verständnis, Einfühlungsvermögen und vor allem Geduld bitten. Denn es ist halt nun mal so: Pubertierende treten in eine neue Phase der Selbstwahrnehmung, die vor allem auch die Körper betrifft, ihre Geschlechtlichkeit.
Und das scheint nun eben die ganze Spezies zu betreffen, die in ein neues Zeitalter eintritt, das so gerne als digital und virtuell gekennzeichnet wird, aber eben auch ganz analog den Körper zur Kampfzone macht. Weil die allgegenwärtige Bilderflut in all ihrer Vielfalt eben auch ein Ringen umKörperbilder bedeutet, das den Einzelnen infrage stellt, sein Empfinden von Richtigkeit und Schönheit, das aber auch im Allgemeinen die Frage nach Freiheit und Ordnung stellt. Und so bedeutsam das analoge Empfinden in diesen Zeiten als Maßstab für Diskriminierung erscheint, so drastisch sind die Äußerungen, die dadurch digital aufeinandertreffen. Na, das kann ja was werden!
Putin und der genderneutrale Gott – und in den USA Hetze gegen Trans-Menschen
Aber bitte, es ist Pubertät! Und Sex ist ja auch wirklich eine irgendwie komplexe Angelegenheit. Da kann sich schon mal eine Schule in Florida, USA, „Land of the Free“, genötigt fühlen, eine Lehrerin rauszuschmeißen, weil diese vor Elf- und Zwölfjährigen einen völlig entblößten Mann zur Schau gestellt hat. Gut, bloß aus Stein, gut 500 Jahre alt, von einem gewissen Michelangelo – aber eben komplett, mit Pimmel dran! Auf der (vermeintlich in jedem Sinne) anderen Seite hat kürzlich sogar der betont männliche, bislang aber immer nur „oben ohne“ inszenierte russische Präsident verlautbart, der dekadente, pervertierte Westen sei dabei, so etwas wie „einen genderneutralen Gott“ zu inthronisieren und anzubeten. Und dabei wähnte man sich dort doch eigentlich auf dem Weg in ein Zeitalter der „Body Positivity“ und auch der „Sex Positivity“, wo jeder seinen ganz eigenen Körper lieben und sein ganz eigenes Lieben leben lernen sollte. Wenn aber dort dann Frauen mit Wucht einfordern, es sei nur gerecht, dass ihre Nippel etwa im Freibad genauso nackt sein dürfen wie die der Männer, ernten sie Hass und Drohungen, durchaus auch körperlicher Natur.
Es ist aber auch kompliziert geworden in dieser Pubertät, die alles ins Fließen zu bringen droht, alles! Da könnten sich die einen bemüßigt fühlen, die ganze Kunstgeschichte umzukrempeln auf der Suche nach noch viel mehr pornografischen Darstellungen – und sicher (man denke parallel zum inkriminierten Detail beim David an das geschlechtlich (binäre!) Gegenstück allein in Courbets „Der Ursprung der Welt“) überreiche Beute machen! Während die anderen ja auch die ganze Kulturgeschichte durchforsten nach Unkorrektem in Form von irgendeinem -ismus, sei es Rass-, Kolonial- oder Chauvin-.
Und Gott zeigt den Menschen seinen nackten Po?
Aber bitte, es ist Pubertät! Und die führt im wankenden Selbstbild ja seit jeher zum Vorrecht der Jugend, die ganze Welt irgendwie und jedenfalls bis dahin geltende Ordnungen traditionell mit durchaus ideologischem Impetus herauszufordern. Bloß bedeutet das in diesem neuen Zeitalter der Empfindsamkeit und der Drastik eben auch eine Kakofonie nie da gewesenen Ausmaßes. Und irgendwie diskriminiert fühlen sich dabei letztlich alle. Vielleicht ließe sich das tatsächlich ungefähr mit der Zustandsbeschreibung vergleichen, die die Wissenschaft gerne Eltern helfend gibt, die versuchen, ihr Pubertier zu verstehen: Völliges Chaos im Hirn! Gar nicht erst zu verstehen versuchen – am besten einfach mitfühlend, aber nicht aufdringlich begleiten, letztlich aushalten, das gibt sich schon irgendwann, echt jetzt.
Wobei: Die Pubertätsdauer und ihre Schübe sind durch die längst viel flexibleren Lebensläufe ja nicht mehr auf Identitätsfindungsphasen in der Jugend und der Midlife-Crisis beschränkt. Dauerhaft hielten das schon schwer die liebenden Eltern, halten das schon kaum die Einzelnen aus. Was aber hieße die selbst- und weltzerfleischende Dauerpubertät einer ganzen Spezies? Vielleicht kennt Gott (der Vater?) allein die Antwort. Und womöglich befindet sie sich schon seit fast 500 Jahren an der Decke der Sixtinischen Kapelle. Er wendet sich, macht sich davon, der Erde zugewandt: sein entblößtes Gesäß. Ein Skandal der Menschheitsgeschichte!