
Kopfkino an, Film ab, stellen Sie sich bitte vor: Dolby Theatre, Los Angeles, die Oscar-Nacht. Und, verrückt und höchst unwahrscheinlich, aber gerade eben ist Ihr Name gefallen: „And the winner is …“ Sie strahlen, Sie drücken die Statue an Ihr Herz und räuspern sich für Ihre Rede. 45 Sekunden Zeit und was jetzt sagen?
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Halle Berry und Gwyneth Paltrow weinten Tränen bei den Oscars
Szenenwechsel, hinein in die Realität, mit einem Kameraschwenk nach Los Angeles: In der Nacht von Sonntag auf Montag feiert die Filmbranche wieder sich selbst und ihre Jahresbesten. Die Oscars 2024 werden vergeben. Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller darf als Hauptdarstellerin hoffen, auch die deutschen Regisseure Wim Wenders und Ilker Çatak sind nominiert, zwischen all den Hollywood-Größten. Und jeder, der im Dolby Theater tatsächlich die goldene Statuette gewinnt, darf vor den Augen der Welt sein persönliches „Danke!“ sagen. Wie schafft man das mit Stil und Witz? Und vor allem: mit Botschaft? Oder doch lieber ohne? Wie viele Arten gibt es, „Danke“ zu sagen?
Die Gerührten
Wenn der rote Teppich vor dem Dolby Theater nur ein paar Meter länger wäre, wenn er bis zur Gala-Bühne reichen würde – dann müsste man die Auslegeware nach jeder zweiten Rede wieder trocknen. Die Tränen fließen, fließen, fließen ... aber selten so flüssig wie damals bei Gwyneth Paltrow, 1999. Wie eine Prinzessin im rosa Ballkleid hielt sie den Oscar als beste Hauptdarstellerin in den Händen, für ihre Rolle in „Shakespeare in Love“. Paltrow dankte in Demut ihren Kolleginnen, die leer ausgingen, und sprach zu Meryl Streep, der 21-mal Nominierten, dreimal Oscar-Dekortierten: „Ich fühle mich nicht würdig in deiner Gegenwart.“ Der Rest war Schluchzen. Noch gewaltiger war der Blitz, der Halle Berry traf, als sie 2002 in derselben Kategorie gewann. Als erste Afroamerikanerin überhaupt. „Dieser Moment ist so viel größer als ich selbst“, japste Berry und starrte mit großen, weiten Augen, die es nicht glauben konnten, in den Saal. „Dies ist für jede afroamerikanische Frau ohne Namen, ohne Gesicht, die jetzt die Chance hat, weil heute eine Tür geöffnet wurde.“ Und vielleicht lag der Schock auch daran, dass sie der Laudator – Adrien Brody – kurz zuvor auf der Bühne in den Schwitzkasten genommen und wie wild geworden geküsst hatte.
Schon 95 Mal hat die Academy of Motion Pictures and Arts ihre Besten ausgezeichnet, aber in jeder Gala entstehen einmalige Momente. Wenn man so eine Nacht im Theater mit erleben darf, was bleibt am Ende in Erinnerung? „Alles“, sagt Ernestine Hipper. „Es war ja auch alles so surreal, das Adrenalin ist so hoch, es ist unglaublich – davon hätte man ja nicht einmal gewagt zu träumen, überhaupt im Dolby Theater zu sitzen? Einfach grandios. Und dann dieser Moment ’And the winner is' ... und eine innere Stimme sagt: Du!“
Es war nicht nur die innere Stimme. Es war Hugh Grant, der britische Schauspieler, der 2023 die Gewinner verkündete: Christian M. Goldbeck ... und Ernestine Hipper. Kategorie: bestes Szenenbild. Im Weltkriegsepos „Im Westen nichts Neues“ hatte Hipper mit ihrem Kollegen eine lang vergangene Welt rekonstruiert. Und jetzt hörte die Welt ihr zu, der Frau aus Bayern, geboren in Hollenbach: „Mama, Papa, I love you“, das waren die ersten Worte ihrer Rede, heute blickt sie zurück und erklärt: „Ich hatte das Gefühl, meine Eltern somit zu ehren. Für ihr hartes Leben, dass sie selbst nie reisen konnten, dafür, dass sie mir den Weg geebnet haben, alles machen zu können, was ich wollte.“
Sandra Hüller hat sich bei den Oscars in die Raucherecke verdrückt
Wer hier gewinnt, bestimmen fast 10.000 Wahlberechtigte: die Mitglieder der Academy. Sie arbeiten im Filmgeschäft, vom Maskenbildner bis zur Schauspielerin, und viele von ihnen haben selbst schon einen Oscar gewonnen. In diesem Jahr werden sie in 24 Kategorien abstimmen können. Dass in jedem Film eine große Teamleistung steckt, das wollte Ernestine Hipper in ihrem Moment auf der Bühne auch betonten: „Ich bin ein absoluter Teammensch, da ich aus einer großen Familie komme.“ Und so sprach sie in ihrer Rede: „Als ich im Film begann, da sagte man mir: ,Ernestine, vergiss nie, du bis nur so gut wie dein Team.'“ Dabei dachte sie vor allem daran, wie "Im Westen nichts Neues" entstanden war: "Unser Film wurde von 1000 Tschechen umgesetzt und 25 Deutschen, das wurde sonst mit keinem Wort erwähnt – und diese gesamte Leistung zu würdigen, war mir wichtig bei meiner Rede." Und was sonst noch alles zu sagen gewesen wäre ... aber die Uhr tickte.
Die Ausführlichen
Der Oscar hat seine eigenen Gesetze – und Greer Garson hat eine Regel im Alleingang verändert. Greer wer? 1943 gewann sie als beste Hauptdarstellerin – und testete die Geduld des Publikums. „Ladies and Gentlemen, ich kam vor fünf Jahren in dieses Land“, sprach die Britin und war dann nicht mehr zu bremsen. Sechs Minuten lang. Sie sprach von Hollywoods Willkommenskultur, vom amerikanischen Traum, dem lieben Filmgott und der Welt. Applaus, Applaus ... aber nach Garsons Dauerrede beschloss die Academy, die Redezeit offiziell zu begrenzen. Das Limit heute: 45 Sekunden, mit etwas Spielraum. Dann beginnt die Oscar-Kapelle auf der Bühne zu spielen, immer lauter mit jeder Sekunde. Das Limit verhindert nicht enden wollende Danksagungsketten: vielen Dank dem persönlichen Friseur, dem Diät-Berater, der Cousine dritten Grades. Aber manche Namen tauchen trotzdem immer wieder auf den Dankes-Spickzetteln auf: Dem Regisseur Steven Spielberg wurde, laut einer Studie aus dem Jahr 2015, schon 42 Mal bei den Oscars gedankt. 34 „Thank you!“ gingen an – Harvey Weinstein, den Filmmogul, bevor er ins Gefängnis wanderte, wegen sexueller Übergriffe. Der liebe Gott rangiert hinter ihm, auf Platz sechs, mit nur 19 Danksagungen. Aber wenn sich der Abend voller Dankeschöns in die Länge zieht, darf man sich zur Not auch aus dem Saal schleichen. Sandra Hüller verriet in der Talkshow von Jimmy Kimmel, dass sie sich bei ihrer ersten Oscar-Gala in die Raucherecke vor der Tür verdrückte. „Wer moderierte damals die Show?“, fragte Kimmel, scheinheilig. „Weiß ich nicht mehr“, sagte Hüller und Kimmel lachte. Er selbst war der Moderator. Am 10. März werden sich die beiden wieder treffen, er als Conférencier mit Fliege, sie als Kandidatin für den Oscar.
Die längste Oscar-Nacht feierte Hollywood im Jahr 2022: vier Stunden, 23 Minuten – aber am Ende zählt für den Gewinner immer nur der eine Moment für die Filmewigkeit. Kann man auf diesen Augenblick vorbereitet sein? „Überhaupt nicht“, sagt Ernestine Hipper. Rückblende: Vor den Oscars war „Im Westen nichts Neues“ schon bei den BAFTAs, den britischen „Oscars“, in 14 Kategorien nominiert. „Ich hatte hierfür eine kleine Rede vorbereitet, ab und zu hatte ich diese mal im Auto geübt. Ich wäre aber, kurz vor einem Nervenzusammenbruch, nicht in der Lage gewesen, auf die Bühne zu gehen.“ Und Hipper gewann auch nicht.
Hipper ist gelernte Modedesignerin, dazu Grafikdesignerin, eine Frau hinter und an den Kulissen, nicht vor der Kamera. Noch nie sei sie in der Öffentlichkeit gestanden, sie habe Interviews oder Fotos abgelehnt. „Ich wollte im Berufsleben nie diese Art von Aufmerksamkeit.“ Außerdem arbeitete sie damals gerade am Set für den Kinofilm „Eine Million Minuten“. Für die Oscars flog sie direkt vom Dreh aus Thailand an. Um dann natürlich vor dem Spiegel zu stehen, vor der wichtigste Frage vor dem Danke: „Was zieht man an? Das war wirklich nervenzehrend.“
Hipper erinnert sich: „Nachdem bei den BAFTAs so ziemlich alles schiefgegangen war, von Kleidung bis Make-up, hatte ich mir ein Outfit schneidern lassen, in dem ich mich einigermaßen wohlfühlte.“ Das koste jede Menge. Unterstützung? Fehlanzeige. „Ich hatte aber durch einen Bekannten die Diamanten gestellt bekommen, die ich trug“, erzählt sie. „200.000 Euro.“
Ernestine Hipper glaubte 2023 nicht, dass sie den Oscar gewinnen würde
Aber ihre Gewinnchancen? Liegen nur im Prozentbereich – dachte Hipper. Sie hatte in Hollywood, in den Tagen bis zum Oscar, die Besten der Filmbranche getroffen. „Wir fühlten uns klein daneben und waren geehrt, all diese wunderbaren Menschen kennengelernt zu haben. An diesem Abend war uns klar: Wir werden nicht gewinnen, lass uns einen unvergesslichen Abend haben. Wir würden für ’Babylon’ oder ’Elvis’ jubeln und nett lächeln. So viel zum Thema: vorbereitet sein.“ Zum Glück lebte aber eine gute Freundin von Hipper in Los Angeles, sie schminkte die Oscar-Kandidatin für die Gala. „Sonst wäre das ein Desaster geworden.“
Die Lustigen
Sie war schon auf dem Weg zum Preis, der Applaus rauschte im Saal, nur für sie, in ihrem wallenden Ballkleid, und nur noch fünf Stufen fehlten ihr bis zur Bühne. Aber dann: Fiel sie. Stolperte vornüber auf der Treppe. Mit dieser Szene hat sich Jennifer Lawrence in die Filmgeschichte eingeschrieben, als sie 2013 den Preis als beste Hauptdarstellerin gewann. Lawrence – Typ Kumpel-von-nebenan unter den Hollywood-Schönen – nahm mit Humor den stehenden Applaus entgegen: „Ihr steht doch alle nur auf, weil ich gefallen bin ... das ist jetzt wirklich peinlich!“ Ein Slapstick-Moment, in dem sich der ganze Saal in sie verliebte.
Roberto Benigni wiederum hatte alle zu Tränen gerührt: „Das Leben ist schön“ hieß sein Film aus dem Jahr 1999, eine herzerschütternde Geschichte über eine jüdisch-italienische Familie in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Mit seinem Werk gewann der Regisseur und Darsteller Benigni drei Oscars. Sophia Loren durfte den ersten verkünden, sie wedelte mit dem Gewinner-Zettel, rief ihren Landsmann: „Robertooo!“ Und er? Sprang auf wie gestochen. Balancierte über Stuhllehnen, kletterte über die Schultern der Stars, über die Direttissima in Richtung Bühne. Er drückte die Loren und sprach zum Publikum: „Ich will euch alle küssen, denn ihr seid das Glück.“ Das Leben kann ein schönes sein, als Oscar-Gewinner.
Welche Tipps würde Hipper den Oscar-Kandidaten heute auf den Weg zur Bühne mitgeben? „Hätte hätte“, schreibt Hipper. „Am besten nichts erwarten. Sich wirklich stilistisch beraten lassen, Make-up- und Kostüm-Fototests machen, außerdem einen Crashkurs für Interviews und Fotos.“ Und dann ein Ratschlag, der .auch für eine Langstreckenwanderung gelten könnte: „Unbedingt eingetragene Schuhe tragen. Unbedingt. Man läuft Kilometer und ich hatte blutige Zehen an dem Abend.“ Was auch nicht schadet für die lange Strecke: ausgiebig essen noch vor der Gala. „Es gibt nur ein kleines Lunchpaket mit einem Sandwich und Wasser auf dem Sitz. Wenn man hungrig kommt – so wie wir Trottel – ist das eine Tortur.“ Na, „Danke!“
Und dann hilft laut Hipper nur üben, üben, üben für den Ernstfall: Die Rede sollte man vorab immer wieder proben, bis man sie noch im Schlaf auswendig kann: „Eine Rede, die alles sagt, was man sagen will – ohne langweilig zu klingen. Und man sollte auch ehrlich sein. Die Menschen spüren, wenn man nicht authentisch ist. Das ist schwierig.“ Sie erinnert sich: „Ich bin durch meine Rede gestolpert, mein ’English’ ist normalerweise besser. Und der Teleprompter mit den tickenden Sekunden macht einen noch dazu kirre.“ Also: lieber nicht nach rechts und links schauen – einen Punkt im Saal fixieren.
„Aber selbst wenn ich das jetzt so sage, man vergisst es eh, in diesem Moment. Wer auch immer als Nächste oder Nächster da oben steht – ich freue mich!“
Die Selbstbewussten
Man könnte meinen, dass alle Gewinner in die Knie gehen, sobald sie den Oscar in Händen halten – 3,8 Kilo, eine Legierung aus Zinn, Kupfer, Nickel, Silber und purer Überwältigung. Aber James Cameron riss die Statue in die Höhe, als er 1997 den Oscar für „Titanic“ gewann, für die beste Regie. Und Cameron rief in seiner Rede den bescheidenen Satz aus, den Leonardo DiCaprio im Film über den Ozean schrie: „Ich bin der König der Welt!“ Großspurig fanden das manche Kritiker. Aber wie will man so eine titanische Freude mit Zurückhaltung ausdrücken? Ähnlich schief beäugt: Matthew McConaugheys Gewinnerrede im Jahr 2014. Der Schauspieler aus Texas sprach in seinem Südstaaten-Cowboy-Akzent von einem unbekannten Helden. Da schauten sie verdutzt in den Publikumsreihen, bis allen klar wurde, wen er mit dem Helden meinte: nämlich sich selbst. Er sprach von jenem Helden, der er selbst gerne werden will.
Thilo von Trotha schrieb Reden für den Kanzler Helmut Schmidt
Lustiges, Rührendes, Heldenhaftes – um diese Vielfalt zu sortieren, braucht es Experten. Anruf bei einem, der weiß, welches Wort zu welchem Anlass passt: Thilo von Trotha ist Ehrenpräsident des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache, er bildet in seiner „Akademie für RedenSchreiben“ Autoren aus. Ob Parteitag oder Aktionärsversammlung, Hochzeit oder Sportmedaillen-Verleihungen, für jeden Anlass einer Rede finden sich auch Autoren, die ein Skript entwerfen. „Redenschreiber“, sagt Thilo von Trotha, „ist ein Beruf, für den es keine amtliche Ausbildung gibt. Manche geraten aus Verlegenheit, manche aus reinem Zufall in das Metier.“ Er selbst ist zum Beispiel Jurist, hatte schon immer Freude an der Feinheit der Sprache, am Formulieren. „Und so bin ich damals in die Redenschreiberstube des Bundeskanzlers Helmut Schmidt geraten.“
Höchste Chefetage, internationales Parkett: Wie groß ist die Herausforderung, für ein Staatsoberhaupt zu schreiben? Für einen Politiker wie Schmidt, der nach jedem Zigarettenzug auch etwas Wortstarkes zur Weltlage auspaffte? Ja, es war eine Herausforderung, sagt Trotha heute. „Aber man darf es auch nicht übertreiben. Der Job des Politikers ist sehr stark themengebunden. Was er sagt, ergibt sich aus dem Sachzwang.“
Diese Sachlichkeit hilft aber nicht bei allen Sorten von Reden. Nicht bei der Oscar-Rede, auch nicht bei der Dankesrede im Allgemeinen. Denn bei diesem Anlass zählt ein anderer Faktor: Dieser Moment gehört dem Menschen auf der Bühne. „Ich danke dort als Mensch, als Persönlichkeit. Also steht das Menschliche im Mittelpunkt.“ Und deshalb ist es bei den Oscars auch erlaubt, dass sie immer wieder auftauchen, die Immerwiederkehrenden unter den Bedankten: Mama, Papa. Die eigenen Kinder. Der Regisseur. Die Kollegin vom Dreh. Und Gott natürlich. Aber dann wird die Zeit schon knapp ...
Alfred Hitchcock hielt eine knappe Rede bei den Academy Awards
Wie lange so eine Rede dauere, erkundigt sich von Trotha. Fast eine Minute, bis die Kapelle zu spielen beginnt und gegen die Rede anbläst. „Das ist gar keine so kurze Zeit“, sagt er Experte. „Probieren Sie das selbst einmal! Sprechen Sie frei über ein Thema, über die Dauer einer Minute, und sie werden merken, dass das ist nicht einfach ist.“ Deshalb hilft auch in dieser kurzen Zeit ein bisschen Struktur. Von Trotha rät dazu, sich auf ein, zwei wichtige Aspekte zu konzentrieren, um nicht die Orientierung zu verlieren, den Rahmen zu sprengen. „In England gibt es ein Sprichwort: Eine Rede kann nicht schlecht sein, wenn sie kurz ist.“
Die Kurzen
Manche Rekorde lassen sich in Kürze beschreiben. Wirbel und Fanfare bei der Oscar-Gala 1968: Der Regisseur Alfred Hitchcock gewinnt einen Ehrenpreis. Er schleicht sich ans Rednerpult. Dieses Genie der Hochspannung, dieser König des haarsträubenden Psycho-Grusels, er neigt sich vor zum Mikrofon und sagt „... thank you!“. Dann geht er wieder. Rekordverdächtig.
Von Trotha erklärt die wichtigsten Kriterien für eine gute Ansprache: „Interessant und informativ soll eine Rede sein. Außerdem klar und verständlich. Persönlich und publikumsorientiert, dabei glaubwürdig und wahrhaftig. Abwechslungsreich und lebhaft. Bildhaft und lebendig und auch unterhaltsam und humorvoll.“ Im Idealfall fällt das alles zusammen. Trotha wird noch etwas spezifischer in seinen Tipps, wenn es um die Preis- und Dankesrede geht: „Es muss um die Gabe gehen, die man erhält, und darum, was sie bewirkt. Sie müssen erklären, was dieser Moment in ihnen auslöst. Freude allein reicht nicht, Freude muss begründet sein.“
Ratschläge eines Redenschreiber-Profis. Aber nur zu schreiben, nicht zu sprechen, das ist keine Option für den Oscar-Gewinner. Da steht er nun, die Halsschlagader pocht an die Fliege, der Oscar flutscht gleich aus den Schweißhänden. Und trotzdem, ob Politiker oder Schauspieler, Danksagung oder Appell – Trotha will Mut machen, im Scheinwerferlicht ganz konkret zu werden: Jede gute Rede hat einen Kern. „Jede Rede muss eine Botschaft haben.“
Die Trotzigen
Es gibt Momente im Leben, die verpasst man einfach nicht: Die Hochzeit der besten Freundin. Den ersten Schultag der Kinder. Mutters 90. Geburtstag. Oder aber: seinen eigenen Oscar-Gewinn ...? Marlon Brando schickte eine andere vor: Um Solidarität zu zeigen mit den Ureinwohnern Nordamerikas, um gegen den Rassismus im Filmgeschäft zu protestieren, ließ er Sacheen Littlefeather sprechen. Die Schauspielerin hielt im Gewand der Apachen seine Rede, während er, der „Pate“, die Gala schwänzte. Damit reiht sich Brando ein in die Liste der Politischen und Trotzigen. Vanessa Redgrave schockte 1977 das Gala-Publikum. Die Schauspielerin stand in der Kritik, weil sie im Nahostkonflikt für die Palästinenser demonstrierte und sich radikal gegen Israel stellte. Sie nutzte die Chance und polterte in ihrer Rede gegen – Zitat – „eine kleine Gruppe zionistischer Ganoven“, die gegen ihre Nominierung protestiert hatte. Wer weiß, ob der Konflikt auch 2024 wieder die Gala spaltet? Es wurde jedenfalls nicht stiller um die Oscars. 2003 polterte der Regisseur Michael Moore gegen den Präsidenten der USA, gegen den Irakkrieg, der entbrannt war: „Shame on you, Mr. Bush!“ – da brach im Saal eine gemischte Sinfonie los, Jubel gegen Buhrufe.
Mit einem Kniefall trug sich Jennifer Lawrence in das Geschichtsbuch der Oscars ein. Aber wie tief muss man eigentlich knicksen, um zu gefallen? Beliebt ist der Trick (siehe: Gwyneth Paltrow), sich vor allen anderen zu verneigen, die in derselben Kategorie nominiert waren. Die sich jetzt beraubt fühlen müssen. Eben knirschte die Konkurrenz noch im Publikum vor Spannung mit den Zähnen, um dann plötzlich in ein Lächeln auszubrechen. In das Lächeln des fairen Verlierers.
„Bescheidenheit kann tatsächlich sehr werbewirksam und liebenswert sein“, erklärt Thilo von Trotha. „Aber man kann sich auch selbst kaputt- und kleinreden in der Demutshaltung.“ Und wer Kunst schafft und kreativ ist, der muss seine Talente nutzen, findet der Experte. Es geht am Ende doch um mehr als nur Namensnennungen. „Das Schönste an einer Rede ist das Storytelling. Eine zu Herzen gehende Geschichte ist potenziell das Allerrührendste.“
Das macht Ernestine Hipper heute, nach für "Im Westen nichts Neues"
Abspann mit Ernestine Hipper: Wo steht er denn heute, ihr eigener Oscar? „Momentan liegt er im Keller bei meiner Schwester, in einem Koffer“, erzählt sie – und blickt damit auf die Reise zurück, die zum Oscar führte. Eigentlich hatte sie sich vom Film entfernt: „Ich bin 2016 ins Nürnberger Land gezogen, weil ich dachte, dass ich vielleicht im Alter in der Nähe meiner Familie sein sollte.“ Aber: „Das hat mich schwer aus der Kurve geworfen, ich war beruflich aus dem Rennen. Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Und sie sieht auch keinen Grund, diese Seite der Branche schönzureden: „Film ist die kurzlebigste Sache der Welt. Und auch die Oberflächlichste.“
Sie habe gedacht, sie könnte aussteigen. „Aber es waren die schlimmsten Jahre meines Lebens, es war, als ob mein kreatives Kind in mir stirbt.“ Und dann kam Corona - ausgerechnet in der Pandemie nahm ihre Karriere wieder Schwung auf. 2021 war sie nicht nur am Set der Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“ engagiert, sie arbeitete auch am Szenenbild von „Tár“ - der Film war 2023 auch ein Oscar-Kandidat für den besten Film.
Aber das ist „fast historisch“, sagt Hipper heute. „Rückblickend kann ich das alles gar nicht mehr so richtig glauben.“ 2020 gab sie ihr gemietetes Häuschen auf. Sie hat heute eine Zwischenbleibe bei ihrer Schwester, all ihre Sachen seien in diversen Lagern verteilt, „ich suche eine Wohnung in München für höchstens 1500 warm, da ich in fünf Jahren in Rente gehen werde“. So sei die Lage, ein Jahr nach dem großen „Danke!“. Und doch: „Der Moment, auf dieser unglaublichen Bühne zu stehen, diese pure Freude zu spüren, das werde ich niemals vergessen. Der Abend war ein Rausch!“