Als die Schöninger Holzwaffen gefertigt wurden, war der Homo sapiens in Afrika gerade erst im Entstehen begriffen: Schon vor 300.000 Jahren war der Homo heidelbergensis, der Vorfahre des Neandertalers, ein Meister der Holzbearbeitung. Das folgert ein Forschungsteam im FachblattPLOS One nach aufwendigen Analysen eines Wurfstocks, der bei Schöningen im niedersächsischen Landkreis Helmstedt gefunden wurde. Die Fundstätte in einem Braunkohletagebau ist weltberühmt, vor allem wegen der dort gefundenen Speere.
„Schöningen ist die weltweit wichtigste Fundstätte für Holzwerkzeuge“, sagt Studienleiter Thomas Terberger vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover. Die ebenfalls 300.000 Jahre alten Speere sind etwa 1,8 bis 2,5 Meter lang und gelten – zusammen mit anderen dortigen Funden – als die mit Abstand ältesten vollständig erhaltenen Holzwerkzeuge der Welt. Noch vor den Speeren wurde 1994 als erster Fund in dem Areal der nun analysierte Wurfstock entdeckt. Die an beiden Seiten angespitzte Waffe – auch Wurfholz genannt – ist gut 77 Zentimeter lang und hat einen maximalen Durchmesser von 2,5 Zentimetern.
Ausgrabungen: Die meisten Schöninger Speere sind aus Fichtenholz
Das Team um Erstautorin Annemieke Milks von der englischen University of Reading analysierte den Fund nun erstmals ausgiebig mit verschiedenen Methoden. Die Ergebnisse zeigen, dass schon die Vorfahren der Neandertaler ein erstaunliches Wissen um die Verarbeitung von Holz hatten. Demnach wurde der Wurfstock aus dem Ast einer Fichte gemacht – aus dieser Baumart sind auch neun der mindestens zehn Schöninger Speere gefertigt. Das ist insofern bemerkenswert, als Fichten damals in dem Areal am Ufer eines Sees nicht vorkamen.
CT-Scans der 63 sehr engen Jahresringe zeigen, dass der Ast ungewöhnlich langsam wuchs – was das Holz besonders hart machte. Ein Grund dafür ist wohl, dass sich die damalige Warmzeit – das sogenannte MIS9 (Marine Isotope Stage 9) – schon deutlich dem Ende zuneigte. Zudem, so vermutet Terberger, hätten die damaligen Menschen den Ast möglicherweise gezielt aus kühleren Gegenden entnommen, etwa aus den Höhenlagen im nahegelegenen Harz – mit dem Wissen, dass das Holz der dort langsamer wachsenden Bäume besonders fest ist.
Wurfstock war eine leichte Waffe, die bumerangartig geschleudert wurde
Weitere Analysen zeigen, dass die Menschen damals von dem Ast zunächst die Rinde entfernten, einen Teil der Oberfläche abschliffen und das Holz behutsam trockneten, um Risse und Verformungen zu vermeiden. Dunkle Stellen an beiden Enden des Wurfstocks legen den Verdacht nahe, dass das Holz über Feuer gehärtet wurde. Gesichert ist dies allerdings nicht. „Der ganze Prozess von der Suche nach dem richtigen Holz bis zur fertigen Waffe zeigt ein höchst umfangreiches Wissen und eine lange Erfahrung im Umgang mit Holz“, sagt Terberger. „Das Produkt ist kein Zufall, sondern die Folge zielgerichteten Handelns. Das könnte man heute nicht besser machen.“ Die heutige leicht ovale Form rührt vermutlich daher, dass das Holz über Hunderttausende von Jahren zehn Meter tief unter Sedimenten begraben war und dabei verformt wurde.
Der Fund eines zweiten, etwas kleineren Wurfstocks in Schöningen vor wenigen Jahren zeigt, dass solche Objekte keine Seltenheit waren. „Das war eine gängige Waffe“, sagt Terberger. Im Gegensatz zu den langen und schweren Speeren waren die leichteren Wurfstöcke einfacher zu handhaben – wahrscheinlich auch für Kinder. Sie wurden bumerangartig geschleudert und dienten vermutlich zur Jagd auf mittelgroße und kleinere Tiere – etwa Rehe, Hasen und Vögel – auf Entfernungen bis zu 30 Meter. (Walter Willems, dpa)