In Dynastien der Kelten in Süddeutschland gingen Reichtum und Macht vermutlich über die mütterliche Erblinie auf die nächste Generation über. Darauf weist die Verwandtschaft von einst in überaus prächtigen Grabhügeln bestatteten Menschen hin. Eine solche matrilineare Vererbung sei bereits für die Königswürde in Etrurien und dem antiken Rom im Europa der Eisenzeit dokumentiert, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal Nature Human Behaviour. Heute leben der Studie zufolge weltweit nur noch 12 bis 17 Prozent der Bevölkerung in matrilinear organisierten Gesellschaften.
Der Einfluss der Kelten breitete sich seit der Zeit um grob 600 vor Christus von West- bis Mitteleuropa aus. Gerade in Süddeutschland hinterließ die Kultur aus der vorrömischen Eisenzeit reiche Spuren in Form von gewaltigen Grabhügeln und spektakulären archäologischen Artefakten wie Goldschmuck und kostbaren Bronzegefäßen. Wie die keltische Gesellschaft funktionierte, ist allerdings in großen Teilen noch unklar – auch, ob Herrscher ihre Stellung durch persönliche Leistung oder durch Vererbung erwarben. Für mehr Details dazu untersuchte das Team um Stephan Schiffels vom Max-Planck-Institut und Dirk Krausse vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg in Esslingen nun Erbgut aus mehreren Grabhügeln. Berücksichtigt wurden 31 Individuen aus hochrangigen und anderen Bestattungen von sieben Fundorten aus der Zeit zwischen 616 und 200 vor Christus.
Die Elitefamilien waren wohl über ein weites geografisches Gebiet verbunden
Die Forscher machten unter den 20 Männern und 11 Frauen Verwandtschaftsbeziehungen aus, die sich über bis zu hundert Kilometer voneinander entfernte Elitegräber erstreckten. Zwei Individuen aus zwei der reichsten Grabstätten waren eng verwandt – wahrscheinlich Onkel und Neffe mütterlicherseits. Es handelte sich um die Fürsten der Grabhügel von Eberdingen-Hochdorf und von Asperg-Grafenbühl, deren letzten Ruhestätten den Forschenden zufolge zu den reichsten prähistorischen Gräbern in Europa zählen. „Durch die recht genauen Sterbedaten, Schätzungen des Sterbealters sowie der genetischen Übereinstimmung zwischen beiden Fürsten kommt nur ein Szenario als Onkel und Neffe infrage, genauer: Die Schwester des Hochdorfer Fürsten war die Mutter des Asperger Fürsten“, erklärte Schiffels. Zudem wurden in zwei etwa hundert Kilometer – und damit ungewöhnlich weit –voneinander entfernten Grabstätten Menschen gefunden, die wahrscheinlich ebenfalls über die mütterliche Linie verwandt waren. Möglicherweise handele es sich um Urgroßmutter und Urenkel, hieß es.
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass es in den keltischen Gesellschaften eine matrilineare dynastische Erbfolge gegeben haben könnte – Reichtum und Macht also jeweils über die mütterliche Abstammungslinie vererbt wurden, nicht wie häufig über die väterliche. Zudem seien die Elitefamilien vermutlich über ein weites geografisches Gebiet von der Iberischen Halbinsel bis nach Südwestdeutschland verbunden gewesen.
Viele außereheliche Techtelmechtel und wenig Vertrauen in die Vaterschaft
Dass eine solche Vererbung über die mütterliche Linie typisch für die Kelten war, sei zwar noch Spekulation, so Ko-Autor Schiffels. Es passe aber zu schriftlichen römischen Quellen und zu archäologischen Befunden – etwa zur großen Zahl aufwendiger Frauengräber aus jener Zeit, wie das Prunkgrab von Schöckingen bei Stuttgart. Typisch ist eine matrilineare Organisation dem Forschungsteam zufolge vor allem für Gesellschaften, in denen es viele außerpartnerschaftliche Techtelmechtel gab – und deshalb wenig Vertrauen in die Vaterschaft gesetzt werden konnte. Ein Mann sei unter solchen Umständen eher mit den Kindern seiner Schwestern genetisch eng verwandt als mit den Kindern seiner Frau. Biologisch betrachtet seien damit Investitionen in die Kinder von Schwestern günstiger, um das eigene Erbgut mit möglichst viel Macht und Reichtum und damit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit ausgestattet in die nachfolgenden Generationen weiterzutragen. (dpa)