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München/Berlin–
„Wie konnte ich nur …?” - Sich selbst verzeihen lernen
Anderen zu verzeihen, fällt oft schon schwer genug. Aber sich selbst kleine Fehler oder größeres Versagen zu vergeben, will manchmal gar nicht gelingen. Warum es trotzdem Sinn macht, das zu üben.
Eine Frau umarmt sich selbst       -  Eigentlich bin ich toll: Auch sich selbst sollte man regelmäßig loben! Das sorgt für mehr Resilienz.
Foto: dpa-Infografik Gmbh/dpa-tmn | Eigentlich bin ich toll: Auch sich selbst sollte man regelmäßig loben! Das sorgt für mehr Resilienz.
Christina Bachmann, dpa
 |  aktualisiert: 11.07.2024 12:01 Uhr

So komisch es klingt: Anderen gegenüber sind wir oft toleranter und eher bereit, Fehler zu verzeihen. „Sich selbst zu vergeben ist kein natürlicher und intuitiver Vorgang für uns”, sagt Nina Lizon, Coachin in München. Schon Kinder lernten, sich anderen zuzuwenden, sie zu trösten und ihnen zu verzeihen. Unbewusst werde aber verinnerlicht, dass Vergeben von außen kommen müsse.

In einer auf Wettbewerb ausgerichteten Gesellschaft komme dazu die ungeschriebene Regel: Fehler sind nicht erlaubt. „Wir sind darauf gepolt, uns selbst zu kritisieren und anzutreiben, das Scheitern auseinanderzunehmen”, erklärt Lizon, „und es gibt niemanden, der uns Absolution erteilen kann, das müssen wir selbst tun.”

Dass Fehler passieren, ist nämlich unvermeidlich. Das können kleine Anlässe sein oder auch große Versäumnisse. Schnell gerät man in eine Gedankenspirale aus Selbstvorwürfen: Warum habe ich schon wieder klein beigegeben? Weshalb bin ich die Präsentation nicht noch einmal durchgegangen und habe den Fehler bemerkt? Wieso habe ich damals die Ausbildung nicht gemacht? Warum habe ich damals keine Familie gegründet?

Perfektionismus verengt die Perspektive

Die kleinen vermeintlichen „Unverzeihlichkeiten” können dabei oft viel tückischer sein. „Weil sie uns wie eine innere Grundstimme begleiten und wir sie oft gar nicht bemerken”, sagt die Coachin. Immer wieder wird gedanklich alles durchgespielt, schnell fällt einem dabei der nächste Fehler ein, Scham und Angst kommen hinzu. „Und am Ende sind wir überzeugt vom eigenen Versagen und fühlen uns als ganze Person unbrauchbar”, so Lizon.

Gerade ehrgeizige und erfolgreiche Menschen neigen eher zu diesen Grübeleien, ist ihre Erfahrung aus der Praxis. „Der Ehrgeiz ist ein zweischneidiges Schwert: Ein gewisser Hang zum Perfektionismus führt ja oft mit zu dem Erfolg, den ich habe”, sagt Lizon. „Aber wenn ich mir keine Fehler zugestehe und der Ton mir selbst gegenüber immer harscher und ungnädiger wird, darf ich aufhorchen.”

Denn das Fiese ist: Die Spirale der Selbstvorwürfe führt immer nach unten. „Plötzlich wird mein gesamtes Leben eingeschwärzt”, beschreibt es der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger. „Es scheint mir, als würde ich nur noch scheitern.”

Ständig die eigenen Fehler noch einmal durchzugehen, ist auch ungesund: Stress, Schlaflosigkeit oder sogar depressive Symptome können die Folge sein. Und wer aus Angst vor erneutem Scheitern vielleicht sogar künftig bestimmte Situationen vermeidet, verengt seine Lebensperspektive.

Sich selbst verzeihen macht resilienter

Menschen dagegen, die sich selbst verzeihen und loslassen können, leben stressresilienter. Wie also kommt man heraus aus der Negativspirale? Zuerst einmal ganz wichtig: „Ich darf meinen Frust und Ärger durchaus anerkennen und ihm Raum geben”, sagt Nina Lizon. Denn nur dann könne man als Nächstes bewusst den Blick davon abwenden.

Für diesen Blickwechsel schlägt die Coachin folgende Frage vor: Was würde ich einem guten Freund, einer guten Freundin in der gleichen Situation sagen? „Sprechen Sie das ruhig laut aus oder schreiben es auf.”

Und: Ein Fehler kann auch etwas Gutes haben. Fragen Sie sich also: Welche positiven Seiten hat mein Fehler, was kann ich für die Zukunft daraus lernen? „So richte ich meinen Blick von dem, was passiert ist, zu dem, was ich gestalten kann”, erklärt Lizon.

Eigenlob stärkt!

Psychotherapeut Wolfgang Krüger plädiert dafür, grundsätzlich die eigene Selbstachtung zu stärken. „Wir alle kennen die Aussage: Eigenlob stinkt”, sagt er. „Das ist völlig falsch.” Er schlägt als Ritual vor, sich jeden Abend einen Zettel zu schreiben: „Was habe ich heute gut gemacht?”

Der Buchautor sagt: „Es reicht nicht aus, dass wir gelegentlich etwas Positives sehen, sondern es geht darum, eine andere Einstellung zu bekommen.” Gerade abends stelle sich bei vielen Menschen oft ein Gefühl der Unzufriedenheit ein. Wer dieses Ritual etwa ein Vierteljahr einübe, wird laut Krüger den Effekt spüren. Denn ein solcher Fundus an Dingen, die man bewältigt hat und die gut laufen, stärkt für Situationen des Scheiterns, die unausweichlich sind.

„Sie können auch gute Freunde bitten, Ihnen Ihre positiven Eigenschaften mal aufzuschreiben”, empfiehlt Krüger. „Sie werden sehr bewegt über das Ergebnis sein.” Übrigens: Man darf auch selbst im Freundeskreis immer wieder Anerkennung austeilen. „Alle Menschen, selbst die erfolgreichsten, haben ein Defizit an Anerkennung”, sagt der Psychotherapeut. „Doch Selbstachtung und Selbstliebe sind das Fundament eines glücklichen Lebens.” Und machen souveräner - auch im Sich-selbst-Verzeihen.

Eine junge Frau liegt entspannt auf dem Boden       -  Experten-Tipp: Statt zu grübeln, was man hätte anders machen müssen, sollte man lieber regelmäßig aufschreiben, was man gut macht.
Foto: Joseffson/dpa-tmn | Experten-Tipp: Statt zu grübeln, was man hätte anders machen müssen, sollte man lieber regelmäßig aufschreiben, was man gut macht.
 
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