„Unglaublich, was ich beim Arzt erlebt habe”: Viele haben solche Geschichten zu erzählen. Gleichzeitig haben auch Ärzte und Ärztinnen immer wieder Grund, fassungslos über Patienten zu sein. Rechte und Pflichten gibt es auf beiden Seiten - und es ist gut, sie zu kennen. Was geht und wo die Grenzen liegen, erklären Experten.
Darf ein Arzt neue Patienten ablehnen?
Hier gibt es einen Unterschied zwischen Privatversicherten und gesetzlich Versicherten. Bei Privatversicherten steht es dem Arzt jederzeit frei, jemanden neu aufzunehmen - oder eben nicht. Bei Kassenpatienten gilt: „Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht grundsätzlich eine Behandlungspflicht”, sagt Prof. Martin Stellpflug, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).
Allerdings gibt es eine Ausnahme: „Wenn eine Arztpraxis absolut voll ist, das heißt, wenn der Arzt gemessen an den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend Patienten versorgt”, erklärt der Fachanwalt für Medizinrecht, „dann darf die Praxis auch neue Patienten ablehnen.”
Liegt bei Patient oder Patientin ein medizinischer Notfall vor, setzt das wiederum diese Ausnahme außer Kraft. Dann muss übrigens auch ein privat versicherter Neupatient behandelt werden.
Darf ein Arzt ein bereits bestehendes Behandlungsverhältnis beenden?
Ja, das ist möglich, sagt Sabine Wolter, Gesundheitsexpertin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie verweist auf Berichte von Kassenärzten, die zunehmend Beleidigungen und Übergriffe von Patienten in Arztpraxen beklagen.
„Überall da, wo ein schwerwiegender Vertrauensverlust vorliegt, muss der Arzt nicht weiter behandeln”, sagt die Verbraucherschützerin. „Etwa wenn für ihn die Behandlung eines Patienten unzumutbar ist, weil der sich wiederholt aggressiv gezeigt hat.”
Darf ein Arzt einen längeren Urlaub machen, sodass ich vor verschlossener Tür stehe?
Für Kassenärzte gibt es klare Urlaubsregeln. Sie besagen, dass sie im Zeitraum von zwölf Monaten maximal drei Monate abwesend sein dürfen. „Es gibt vier Gründe, um die Praxis zu schließen: Krankheit, Urlaub, Fortbildung oder Wehrübung”, sagt Martin Stellpflug.
Macht der Arzt die Praxis länger als eine Woche am Stück dicht, muss er das seiner Kassenärztlichen Vereinigung mitteilen. „Aber genehmigungspflichtig ist es nicht”, sagt der Anwalt. „Ich denke, dass zwei bis drei Wochen üblich, aber auch vier Wochen Abwesenheit noch im Rahmen sind.”
Es muss aber eine Vertretung geben. Und die muss mitgeteilt werden: Entweder per Aushang, im Internet oder auf dem Anrufbeantworter. Oder man holt eine Vertretung in die eigene Praxis.
Im Prinzip gilt all das auch für Psychotherapeuten. Da sich die wöchentlichen Sitzungen aber schon wegen des Vertrauensverhältnisses nicht einfach auf eine Vertretung übertragen lassen, wird die Therapie in der Regel pausiert. Sind längere Urlaube geplant, müssen im Einzelfall Lösungen gefunden werden. „Und plant ein Psychotherapeut zum Beispiel eine zweimonatige Auszeit, muss er mögliche Neupatienten vor der Behandlung darüber informieren”, sagt Medizinrechtler Martin Stellpflug.
Darf ein Arzt die Praxis unangekündigt für einige Tage schließen?
Passiert das, gibt es in der Regel nachvollziehbare Gründe. Schließlich kann auch ein Arzt krank werden. Allerdings muss sich dann das Praxisteam darum kümmern, dass Termine abgesagt werden. „Termine müssen von beiden Seiten eingehalten werden”, sagt Martin Stellpflug. „Hier hat der Arzt eine Mitteilungspflicht.” Er kann zudem mit einem Aushang an der Tür oder über den Anrufbeantworter informieren.
Thema Streik: Der ist GKV-Ärzten generell verboten. Ein Streik wird daher oft nicht so genannt, „aber es läuft auf eine Praxisschließung hinaus”, sagt der Anwalt. Wer zum Beispiel schließt, um auf eine Demo zu gehen, muss aber genauso bestehende Termine absagen.
Darf mir ein Arzt eine Krankschreibung verweigern?
Natürlich kann er das, sagt Sabine Wolter. „Es ist immer das fachliche Dafürhalten des Arztes, ob er jemanden krankschreibt oder nicht. Er darf keine Gefälligkeitskrankschreibung ausstellen.” Ärztin oder Arzt dürfen die Krankschreibung nicht nur verweigern, sondern müssen es sogar, wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen, heißt es auch von der Bundesärztekammer.
Darf ein Arzt gesetzlich Versicherten etwas privat in Rechnung stellen, ohne vorher informiert zu haben?
Klare Antwort: Nein. „Alle Leistungen, die außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs liegen, müssen vorher vereinbart sein”, sagt Sabine Wolter. Wird einem Patienten nach einer Behandlung einfach eine Rechnung in die Hand gedrückt, ist etwas schiefgelaufen.
Denn bei gesetzlich Versicherten rechnet der Arzt direkt mit der Krankenkasse ab. Selbst bezahlt werden müssen in der Regel die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), wenn man sich entscheidet, sie in Anspruch zu nehmen.
Damit der Arzt einen Anspruch auf die Zahlung habe, ist aber ein Vorlauf nötig, erklärt die Verbraucherschützerin. „Ich muss informiert und aufgeklärt werden, einen Kostenvoranschlag und am Schluss eine Rechnung erhalten.” Wenn alles korrekt läuft, gibt es auch ein Papier mit dem Hinweis, dass die gesetzliche Kasse diese Leistung nicht übernimmt. Per Unterschrift muss dann bestätigt werden, dass die Leistung auf eigene Kosten gewünscht wird.
„IGeL-Leistungen sind ja auch nicht zwingend medizinisch notwendig, deshalb habe ich als Patientin immer eine Überlegungszeit”, sagt Sabine Wolter. „Ich muss nicht spontan sagen, ob ich das will oder nicht.” Es kann sich auch lohnen, noch einmal bei der Krankenkasse nachzufragen. Manches werde etwa im Rahmen eines Bonusprogramms übernommen.
Darf ich verlangen, meine Behandlungsunterlagen einzusehen?
Laut Gesetz hat der Patient einen Anspruch auf Einsicht, sagt Martin Stellpflug. „Der Arzt muss auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die Patientenakte gewähren.” Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss er das außerdem entgeltlos tun.
„Es heißt zwar Einsichtnahme, aber in der Praxis sieht es so aus, dass die Unterlagen kopiert und mitgegeben oder übersandt werden”, sagt der Fachanwalt. Gebühren darf ein Arzt erst dann verlangen, wenn er bereits eine Kopie herausgegeben hat und Patient oder Patientin das noch mehrfach verlangen.