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München
Wie Verbraucher eine Strom- und Gassperre verhindern können
Wer die Energie-Rechnung zeitweise nicht bezahlen kann, dem droht der Stopp der Lieferung. Das Problem reicht bis in die Mittelschicht hinein.
Erdgas 259430485.jpg       -  Drohen die Lieferanten eine Sperrung der Gaslieferung an, sollten sich Betroffene schnell Hilfe holen.
Foto: Marijan Murat | Drohen die Lieferanten eine Sperrung der Gaslieferung an, sollten sich Betroffene schnell Hilfe holen.
Hans Peter Seitel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:35 Uhr

Kein Licht, kein Kühlschrank und kein warmes Wasser in der Wohnung – und im Winter bleibt die Heizung kalt: Wem Strom und Gas abgestellt werden, kann eine normale Lebensführung vergessen. Doch genau dies droht hunderttausenden Haushalten in Deutschland wegen der explodierenden Energiepreise – wenn sie nicht wissen, wie sie die Energiesperre verhindern können.

„Wir erleben derzeit dramatisch, dass immer mehr Menschen keine Chance haben, finanziell auf einen grünen Zweig zu kommen“, sagt Roman Schlag von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Dieser gehören die Caritas, die Diakonie sowie weitere Sozial- und Verbraucherverbände an. Sein Rat: „Wer Schwierigkeiten hat, seine Rechnungen zu bezahlen, sollte die absolute Priorität auf die Miete, den Strom und das Gas legen. Eine Energiesperre gilt es unbedingt zu vermeiden.“ Gas und Strom werden immer teurer. Die Gasumlage, die der Staat einführen will, wird den Preis weiter in die Höhe treiben. Ein Überblick über das Ausmaß des Problems und mögliche Lösungen.

Wann werden Strom und Gas abgeklemmt?

Seit Dezember 2021 gelten neue Strom- und Gas-Verordnungen. Demnach kann das Energieunternehmen eine Sperre vornehmen, wenn der Kunde mit mindestens 100 Euro im Zahlungsrückstand ist und der geschuldete Betrag doppelt so hoch wie der vereinbarte Monatsabschlag ist – eine Summe, die schnell zusammenkommt.

Immerhin ist der Versorger jetzt verpflichtet, dem Kunden die Sperre vier Wochen zuvor anzukündigen. Gleichzeitig muss er ihm eine sogenannte Abwendungsvereinbarung anbieten, die Ratenzahlungen und eine Weiterbelieferung mit Energie auf Vorauszahlungsbasis (Prepaid-System) vorsieht. Acht Tage vor der endgültigen Sperrung ist der Kunde erneut über die Maßnahme zu informieren.

Kommt es am Tag X schließlich zur Sperre, kostet das Geld, ebenso wie eine mögliche spätere Entsperrung. Für die Rechnung muss der Verbraucher selbst aufkommen. Die Bestimmungen gelten laut Bundesnetzagentur für die Grundversorgung und identisch oder ähnlich auch für Sonderverträge. Zur Sicherheit sollte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nachgesehen werden.

Wie kann ich die Strom- und Gassperre verhindern?

Dazu muss der Kunde der vorgeschlagenen Ratenzahlung zustimmen. In der Vereinbarung wird festgelegt, in welcher Zeitspanne er seine Schulden in zinsfreien Raten abstottern muss. Rechtlich möglich sind 6 bis 18 Monate, wobei die Laufzeit für Versorger und Verbraucher „wirtschaftlich tragbar“ sein muss.

„Der Kunde sollte alles daransetzen, die Raten auf ein bezahlbares Niveau zu bringen“, rät Antje Kahlheber von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Sie nennt als Beispiel: „Sieht der Versorger eine Ratenvereinbarung über nur sechs Monate vor, sollte gefragt werden, weshalb nicht auch längere Laufzeiten für ihn wirtschaftlich tragbar sind.“

Auf jeden Fall hilfreich ist, sich Unterstützung zu holen. „Die Betroffenen sollten sofort nach Erhalt des Androhungsschreibens aktiv werden und sich Hilfe suchen, etwa bei einer Schuldnerberatungsstelle oder Verbraucherzentrale“, empfiehlt Schuldnerberater Schlag. Sein Tipp: Wer darauf hinweist, dass es um eine Energiesperre geht, erhält oft kurzfristiger einen Termin.

Wichtig zu wissen ist: Die Raten müssen zusätzlich zu den laufenden Abschlagszahlungen aufgebracht werden. Fehlt das Geld dafür, springt unter Umständen das Jobcenter oder das Sozialamt mit einem Darlehen ein. „Das sollte man auf jeden Fall probieren“, rät Verbraucherschützerin Kahlheber. Überlegt werden sollte auch, ein Arbeitgeber-Darlehen aufzunehmen. „Das will nicht jeder. Es gibt aber Arbeitsverhältnisse, da ist die Beziehung zum Arbeitgeber so gut, dass ein Darlehen gar kein Problem ist“, so die Expertin.

Strom- und Gassperre: Und wenn das alles nicht reicht?

Nach den neuen Verordnungen können Betroffene die Sperre verhindern, wenn „Gefahr für Leib und Leben“ besteht. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht näher bestimmt, wann das der Fall ist.

Verbraucherschützerin Kahlheber empfiehlt, die familiäre Situation dem Versorger schriftlich darzulegen und genau zu begründen, weshalb Strom und Gas unverzichtbar sind: „Babys müssen warm gewaschen werden können und benötigen warme Babynahrung. In anderen Familien ist es nötig, Medikamente im Kühlschrank zu kühlen, oder es gibt eine pflegebedürftige, behinderte oder hochschwangere Person im Haushalt.“ Wird eine Krankheit als Grund angeführt, sollte ein ärztliches Attest vorgelegt werden.

Wie viele Menschen sind von Sperrungen betroffen?

Sperrungen sind ein Thema bis in die Mittelschicht hinein: Laut Bundesnetzagentur haben die Energieversorger 2020 rund 230.000 Stromsperren und 24.000 Gassperren verhängt. Es gab aber auch schon Jahre mit insgesamt fast 400.000 Sperrungen. Nach einer Stichprobe der Verbraucherzentralen Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz waren bislang hauptsächlich Familien mit Kindern und Alleinerziehende gefährdet, vor allem wenn sie mit Strom die Wohnung heizten oder ihr Warmwasser erzeugten.

Das könnte sich in nächster Zeit grundlegend ändern. „Wir erwarten eine Welle an Sperrungen und Verschuldungen aufgrund der hohen Energiepreise. Das wird bis in mittlere Einkommensschichten hineingehen“, befürchtet Verbraucherschützerin Kahlheber.

 
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