Es ist Samstagmittag, der Supermarkt in der Würzburger Innenstadt ist voll. Von draußen ertönt das Quietschen der Straßenbahn, aus dem Eingangsbereich weht der Geruch von frisch gebackenem Brot. Vier Kassen sind geöffnet. Doch plötzlich ein lauter Knall, gefolgt von einem Aufschrei. In einem der Gänge steht eine zierliche ältere Dame, vor ihren Füßen liegt ein Scherbenhaufen. Ein Gurkenglas ist ihr heruntergefallen. „Das ist doch nicht schlimm“, beruhigt die herbeigeeilte Verkäuferin und beginnt die Mischung aus Glas, Gurken und Essig aufzuwischen.
„Kein Problem“, sagt auch Wolfgang Luksch. Er ist der Marktleiter, 35 Jahre macht er das jetzt schon. „Hier geht immer mal was zu Bruch, jeden Tag Ware für 40 Euro.“ Das summiert sich auf rund 1000 Euro im Monat, da hilft eine Portion Gelassenheit. Die wirklichen Probleme lägen woanders, erklärt Luksch. Dazu später mehr.
Ware zerbrochen: Händler zeigen häufig auch Kulanz
Tatsächlich zeigten sich Marktleiter meist kulant, wenn Kunden oder Kundinnen versehentlich Ware fallen lassen, weiß Andreas Gärtner, Bezirksgeschäftsführer des Handelsverbands Augsburg. Grundsätzlich jedoch müssten Kunden Ware bezahlen, wenn sie aufgrund ihrer Fahrlässigkeit beschädigt wird, betont Syndikus-Rechtsanwältin Lena Renner, die ebenfalls für den Handelsverband arbeitet. „Und dabei ist es auch egal, ob man die Ware fallen lässt oder mit dem Rucksack abräumt.“ Allerdings darf der Händler nur seinen Einkaufspreis berechnen. „Und der muss auch klar beziffert und im Zweifel nachgewiesen sein“, so Gärtner.
Anders kann es sein, wenn Ware so ungeschickt gestapelt ist, dass sie schon bei einer leichten Berührung herunterfällt. „Die Haftungsfragen lassen sich leider nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten, da es immer auf die Situation und den Einzelfall ankommt“, erklärt Simone Bueb, Referentin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale. Das gilt ganz besonders dann, wenn Personen sich verletzen, weil etwa einer Kundin das Glas auf die Füße fällt oder ein Kunde auf einer Wurstscheibe ausrutscht, die ein anderer Kunde hat fallen lassen. „Immer wenn es zu Personenschäden kommt, dann braucht es einen Schiedsrichter“, erklärt Gärtner. Gegebenenfalls springt die Haftpflichtversicherung des Händlers ein.
Naschen ist streng genommen verboten
Kompliziert könne es auch werden, wenn Kinder beteiligt sind, weiß die Verbraucherzentrale: „Zerstört oder beschädigt Ihr Kind Produkte im Supermarkt, haften Sie hierfür nur, wenn Sie Ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Das kann juristisch eine schwierige Frage sein. Einen Einfluss haben unter anderem das Alter des Kindes und die Frage, ob Sie hätten vorhersehen müssen, dass es im Supermarkt etwas anstellen wird.“
Das gilt auch, wenn das Kind im Supermarkt etwas nascht oder aus einer Flasche trinkt, bevor die Ware bezahlt wurde. Tatsächlich ist das bereits Ladendiebstahl. Auch wenn Kunden an der Obsttheke eine Traube oder eine Erdbeere verkosten, begehen sie streng genommen Ladendiebstahl. Denn bevor die Ware nicht bezahlt wurde, gehört sie dem Händler. Doch auch wenn solches Verhalten meist nicht gerne gesehen wird, belangt wird man als Dieb einer einzelnen Erdbeere in der Regel nicht. Denn diese sei, so Juristin Renner, eine „geringwertige Sache“, und das öffentliche Interesse daran nicht groß genug, als dass die Staatsanwaltschaft sich damit befassen würde.
Nur Dinge öffnen, die anschließend problemlos verkauft werden können
Anders sieht es aus, wenn eine Verpackung geöffnet und der Inhalt verspeist wird. Zwar darf man Verpackungen zur Prüfung von Waren prinzipiell öffnen. Doch gilt dies eben nur für Waren, die anschließend problemlos verkauft werden können. Bei einer Hose ist das der Fall, bei einer angebissenen Frikadelle nicht. Das sei dann ein Diebstahl, bei dem auch die Polizei eingeschaltet wird, betont Marktleiter Luksch. „Ladendiebstähle sind ein Riesenproblem, das in letzter Zeit auch noch enorm zugenommen hat.“
Laut dem Handelsforschungsinstitut EHI beliefen sich die Verluste durch Diebstähle durch Kunden, Beschäftigte und Lieferanten im Einzelhandel im Jahr 2022 auf 3,73 Milliarden Euro. „Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt. Dadurch wird auch die Allgemeinheit bestohlen, und das gehört stärker verfolgt“, sagt auch Gärtner.
Diebstahl führt zur Anzeige
Und Diebstahl betreffe alle Gesellschaftsschichten, erklärt Luksch. Ganze Rucksäcke voller Waren werden aus dem Laden getragen, weshalb er darauf hinweist, dass man sich bereits strafbar mache, wenn man die Einkäufe vor der Kasse in den Rucksack packt und diesen verschließt. Taschenkontrollen kann er dennoch nicht durchführen, das darf nur die Polizei. Die braucht er häufiger, denn die Diebstähle sind an der Tagesordnung, und er hat auch schon Schlägereien erlebt. „Aber da waren immer Alkohol oder Drogen im Spiel.“ Im Zweifelsfall geht für ihn die Sicherheit der Mitarbeiter vor. Und entkommt ein Dieb, dann merken sich die Kassiererinnen das Gesicht für das nächste Mal. „Denn wer einmal klaut, der tut das auch wieder.“
Hinweis: Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Masterstudiengang Fachjournalismus der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt entstanden.