
Rund 15 Prozent der Arbeitszeit entfallen auf die Bewältigung von Konflikten mit Kollegen und Vorgesetzten – das hat die Konfliktkostenstudie der Beratungsgesellschaft KPMG bereits im Jahr 2009 festgestellt. Solche Probleme belasten Beschäftigte gesundheitlich, beeinträchtigen die Arbeitsergebnisse und führen nicht selten zur Krankschreibung oder der (inneren) Kündigung. „Die Zahl der Konflikte stieg bei uns massiv, das hat die Arbeitsmotivation negativ beeinflusst und zur Abwanderung von Beschäftigten geführt. Das konnten wir uns auf Dauer nicht leisten“, sagt Karsten Feil vom Universitätsklinikum Tübingen, an dem 12.000 Menschen arbeiten. Das Klinikum hat vor sechs Jahren mit der Einrichtung der Abteilung Konfliktmanagement reagiert, deren Leiter der Biologe Feil nach einer Weiterbildung zum Mediator ist. Über seine Erfahrungen berichtete er am Samstag auf dem Konfliktmanagement-Kongress in Hannover, eine Fachveranstaltung mit mehr als 200 Teilnehmern aus ganz Deutschland.
Ein unparteiischer Mediator kann die Kontrahenten bei der Lösung des Konflikts unterstützen
Feil hat pro Jahr mit rund 70 Fällen zu tun, bei denen Beschäftigte Hilfe suchen. Meist reichen Einzelgespräche aus, um zu einer Lösung zu kommen. In einem Drittel aller Fälle wird den streitenden Parteien eine Mediation angeboten – ein unparteiischer Mediator versucht nach festgelegten Regeln die Ursache eines Konfliktes in gemeinsamen Gesprächen zu ergründen und die beiden Kontrahenten beim Finden einer Lösung zu unterstützen. „Meistens geht es um Probleme zwischen Mitgliedern eines Teams, Konflikte zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sind seltener“, sagt Feil. Er spricht davon, dass bei einer Befragung ein halbes Jahr nach der Mediation 75 Prozent berichten, dass der Konflikt dauerhaft gelöst wurde. Zehn Beschäftigte wurden am Universitätsklinikum zu Mediatoren fortgebildet, die Streitschlichtung führen sie während ihrer Arbeitszeit durch.
Feil weiß, dass umfassende Angebote für Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst zur Streitschlichtung und Prävention bis heute die große Ausnahme sind. In Bayern sind auf diesem Gebiet vor allem die Klinik Bayreuth, das Oberlandesgericht Nürnberg, das Universitätsklinikum München und die Stadt München aktiv. Sein Tipp für Betroffene ohne festen Ansprechpartner im Betrieb: Bei einem unguten Gefühl („Der Kollege reagiert immer negativ auf mich“) den Kontrahenten ansprechen. Wenn das nicht hilft, den Vorgesetzten einbeziehen. Wenn der nicht reagiert, eine Vertrauensperson suchen oder den Personalrat einschalten. Feil: „Man muss damit nicht alleine klarkommen.“
Je länger sich Dinge anstauen, desto größer ist die Gefahr der Eskalation
Die Teilnahme an der Mediation ist freiwillig – zumindest in der Theorie. „Es kann schon vorkommen, dass ein Vorgesetzter deutlich macht, dass die Probleme zwischen zwei Mitarbeitern in seiner Abteilung untragbar sind und dass ohne den Willen zu einer Verständigung eine oder beide Konfliktpartner ihren Arbeitsplatz verlassen müssen“, berichtet Michaela Reichertz. Die Juristin ist Leiterin der Abteilung Zentrale Beratungsstellen der Landeshauptstadt München, die 43.000 Beschäftigte zählt. Sie legt Wert darauf, dass Betroffene auf der Suche nach einer Lösung möglichst früh aktiv werden – je länger sich persönliche Dinge aufstauen, umso größer sei die Gefahr der Eskalation und des Scheiterns einer Vermittlung. „Wenn eine Erzieherin sich hilfesuchend an den Elternbeirat wendet, weil sie mit der Leiterin des Kindergartens nicht klarkommt, dann geht das natürlich nicht. Aber eine Abmahnung löst das Problem nicht. Wir bieten neben Mediationen niedrigschwellige Beratungen an, um Eskalationen vorzubeugen“, sagt Reichertz.
Torsten Scheibenzuber ist Personal-Bereichsleiter bei der Sparkasse Gelsenkirchen, ein wichtiger regionaler Arbeitgeber mit 500 Mitarbeitern. Als einen Grund für wachsende Spannungen innerhalb der Belegschaft nennt er die Digitalisierung. „Es gibt Beschäftigte, die mit der neuen Technik überfordert sind und sich verstärkt krankmelden. Und es gibt diejenigen, die dann die Arbeit der Kranken mitmachen müssen und dies immer weniger tolerieren. Für uns ist das ein Zeichen, dass unsere Fortbildungen besser werden müssen“, sagt Scheibenzuber. Ein weiteres Konfliktfeld seien unterschiedliche Einstellungen zur Arbeit: „Wir verstehen die junge Generation oft nicht, für die klar ist, dass die Erledigung von dringenden Aufgaben am Wochenende tabu ist. Wir können uns aber auch nicht leisten, dass gut geschulte Auszubildende in großer Zahl abwandern.“ Solche Konflikte müssten künftig laut Scheibenzuber systematischer angegangen werden.
In der Privatwirtschaft werden Konflikte häufig noch schärfer ausgetragen
Die Wirtschaftsmediatorin und Diplom-Psychologin Ann Christine Hlawaty aus Hamburg machte auf dem Kongress deutlich, dass Konflikte in der Privatwirtschaft mitunter deutlich schärfer ausgetragen werden. Sie berichtete von einem kleinen Unternehmen, dessen Besitzer einen Anwalt damit beauftragt hatte, den Betriebsrat in seiner Arbeit massiv zu behindern – in der Hoffnung, dass die unkündbaren Betriebsratsmitglieder aufgeben und der Firmenbesitzer so seinen Betrieb zu einem höheren Preis verkaufen kann. Tatsächlich führten systematische falsche Anschuldigen, Abmahnungen und Klagen – die vor Gericht erfolglos waren – dazu, dass einige Betriebsratsmitglieder das Handtuch schmissen oder wegen der psychischen Belastung krank wurden, einer nahm sich das Leben. Nach dem Verkauf blieben der alte Geschäftsführer und der bisherige Betriebsratsvorsitzende im Amt, beide tief zerstritten – und sahen sich mit immer schlechter werdenden Produktionszahlen konfrontiert. Hlawaty: „In so einer Situation muss man sich auf die Gegenwart konzentrieren. Die Voraussetzungen für eine Mediation sind, dass es auf beiden Seiten einen erkennbaren Lösungswillen gibt, die genauen Erwartungen klar sind und die Fakten verifiziert werden können.“