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Interview
Schulpsychologe: "Auch Kinder haben ein Bedürfnis nach Erholung"
Die Sommerferien sehen viele Eltern als Chance für ihr Kind, um Lernlücken zu schließen. Warum es dafür gute Gründe braucht, erklärt ein Experte im Interview.
Letzter Schultag vor den Sommerferien - Sachsen-Anhalt.jpeg       -  Endlich Ferien – Sommerferien! Zeit, Spaß zu haben, Urlaub zu machen, sich mit Freunden zu treffen? Eltern sehen die Auszeit vom Schulbetrieb hingegen eher als Chance für den Nachwuchs, Lücken im Unterrichtsstoff nachzuarbeiten. Nicht immer eine gute Idee, meint Schulpsychologe Cronenberg.
Foto: Matthias Bein. dpa | Endlich Ferien – Sommerferien! Zeit, Spaß zu haben, Urlaub zu machen, sich mit Freunden zu treffen? Eltern sehen die Auszeit vom Schulbetrieb hingegen eher als Chance für den Nachwuchs, Lücken im Unterrichtsstoff ...
Sophia Krotter
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:55 Uhr

Herr Cronenberg, sollten Schülerinnen und Schüler in den Sommerferien lernen?

Ulf Cronenberg: Bei einigen Schülerinnen und Schülern mag das durchaus sinnvoll sein. Bei den meisten ist es wohl nicht nötig. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass man über die sechswöchige Pause einiges verlernt. Motivierte und interessierte Schülerinnen und Schüler mit guten Leistungen stecken so was aber problemlos weg – da ist es nicht notwendig, in den Sommerferien zu lernen.

Wie sieht das bei Schülerinnen und Schülern mit weniger guten Leistungen aus? Ist ein Vierer im Zeugnis schon Grund zur Sorge?

Cronenberg: Eltern haben da natürlich eine ganz unterschiedliche Erwartungshaltung. Grundsätzlich finde ich, dass man sich mit sehr hohen Ansprüchen an das eigene Kind eher zurückhalten sollte. Allerdings gibt es auch Entwicklungen, bei denen Handlungsbedarf besteht. Zum Beispiel, wenn die Leistungen des Kindes über einen längeren Zeitraum hinweg kontinuierlich nachlassen und sich der Note fünf annähern. Oder wenn das Kind das Jahresziel nur knapp oder gar nicht erreicht hat. Hat das Kind gleich mehrere Baustellen oder scheint es generell überfordert, sollte man sich die Frage stellen, ob es die richtige Schulart besucht. Sinnvoll ist es, hier auch die Meinung der Lehrkräfte einzuholen.

Gilt das über alle Altersstufen hinweg für alle Schülerinnen und Schüler?

Cronenberg: Wenn sich ein Kind schwertut, spielt das Alter erst einmal keine Rolle. Je älter die Kinder werden, desto selbstbestimmter sind sie natürlich als Jugendliche. Da ist es umso wichtiger, sie einzubeziehen, wenn sie Unterstützung in der Schule brauchen. In der Grundschule sollte man meiner Meinung nach noch nicht so viel Druck machen, denn da gibt es Wichtigeres. Kinder sollten auch noch Kinder sein können.

Wenn Eltern Handlungsbedarf feststellen, wie gehen sie das Thema dann am besten an?

Cronenberg: Der erste Schritt für die Eltern sollte sein, die Ursache für die Probleme herauszufinden. Dafür können sie mit den Lehrkräften sprechen oder sich Proben oder Schulaufgaben anschauen. Außerdem können sie in Ruhe mit ihrem Kind sprechen und nachfragen, woran es hapert. Manchmal sind es bestimmte Fächer wie Mathematik oder Fremdsprachen, manchmal sind aber auch krankheitsbedingte Ausfälle der Grund für größere Lernlücken. Im zweiten Schritt sollten die Eltern dann gemeinsam mit dem Kind überlegen, ob es sinnvoll ist, in den Ferien zu lernen, um diese Lücken zu schließen.

Manche Kinder haben aber keine Lust, in den Ferien zu lernen. Was dann?

Cronenberg: Lernen in den Ferien ergibt in der Regel nur Sinn, wenn die Schülerin oder der Schüler auch damit einverstanden ist. Wenn die Eltern großen Druck ausüben und das Lernen dem Kind aufzwingen, ist keine Motivation da. Lernen ist am effektivsten, wenn man eine positive Grundhaltung hat. Allerdings haben Eltern natürlich auch Verantwortung und müssen Entscheidungen treffen, die dem Kind zwar nicht gefallen, aber notwendig sind. Wichtig ist, gemeinsam eine Lösung zu finden, die es dem Kind so erträglich wie möglich macht. Dazu gehört auch, dass man ein geeignetes Maß findet.

Nach Ihrer Einschätzung: Wie viel Lernen in den Sommerferien ist angemessen?

Cronenberg: Ein Stück weit ist das individuell. Man kann sich zum Beispiel auf drei Wochen lernen und drei Wochen lernfreie Zeit einigen. Oder man macht einen Deal wie: An vier Tagen in der Woche wird eine Stunde gelernt, die anderen drei bleiben frei. Letztendlich muss das jede Familie mit ihrer eigenen Ferienplanung vereinbaren und Urlaube berücksichtigen. Die Grenze für die Lernzeit pro Tag würde ich persönlich bei maximal anderthalb Stunden ansetzen. Das Kind soll nicht das Gefühl haben, dass das Lernen den ganzen Tag bestimmt.

Haben Sie Tipps, wie man diese Lernzeiten am besten organisiert?

Cronenberg: Das bekannte Grundprinzip ist ja: "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen." In der Regel bietet sich das auch hier an: Das Kind schläft aus, frühstückt gemütlich und lernt dann zum Beispiel von 11.00 Uhr bis 12.30 Uhr. Der Nachmittag bleibt frei. Das ist aber nur eine Möglichkeit – manche Kinder und Jugendliche können vielleicht auch abends besser arbeiten. Unterstützen kann man das Ganze, indem man einen Lernplan im Zimmer aufhängt und dort die Tage und Uhrzeiten einträgt. Wenn eine Lerneinheit abgeschlossen ist, kann das Kind dann einen großen Haken dahinter machen. Auch ein bisschen Lob kann hilfreich sein – aber nicht zu viel, vor allem Jugendliche sind davon irgendwann eher genervt.

Welche Lernmethoden sind zum Lernen in den Sommerferien gut geeignet?

Cronenberg: Das hängt davon ab, um welche Fächer es geht und wo die Schwierigkeiten bestehen. Beispielsweise gibt es Trainingshefte von Verlagen, die das Kind durcharbeiten kann. Bei Fremdsprachen bietet es sich oft an, Vokabeln zu wiederholen. Wenn das Kind dabei zusätzliche Unterstützung braucht, wird es für Eltern schwierig, wenn sie selbst die Sprache nicht gelernt haben. In Mathematik muss man den Stoff erklären, das Kind muss ihn verstehen und dann einüben. Je nach Jahrgangsstufe stellt sich dabei auch die Frage, ob die Eltern das selbst leisten können. Nicht selten passiert es außerdem, dass Eltern und Kind beim Lernen immer wieder aneinandergeraten – das ist dann keine gute Lernvoraussetzung. In solchen Fällen ist es besser, externe Unterstützung in Form von Nachhilfe zu suchen.

Wie finden Eltern die richtige Nachhilfe für ihr Kind?

Cronenberg: Manchmal kann jemand aus dem Bekanntenkreis helfen. Es gibt aber auch ältere Schülerinnen und Schüler, die ebenso wie pensionierte Lehrkräfte Nachhilfe anbieten. Institute dafür gibt es auch. Wichtig ist, dass die Chemie zwischen dem Kind und der Person, die Nachhilfe gibt, stimmt. Ich würde empfehlen, eine oder zwei Probestunden zu vereinbaren. Anschließend fragt man das Kind, ob es gut mit der Person zurechtkommt, und entscheidet dann, ob man die Nachhilfe fortführt.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass Lernen in den Ferien für manche Kinder sinnvoll sein kann?

Cronenberg: Wenn es einen guten Grund dafür gibt, dann ja. Wichtig ist immer, dass man das Kind in die Entscheidung einbezieht. Der Lerneffekt ist relativ gering, wenn die Bereitschaft fehlt und es sich mit Händen und Füßen sträubt. In Bezug auf den Umfang sollten Eltern auch respektieren, dass das Kind ein Bedürfnis nach Ferien und Erholung hat. Meine Empfehlung wäre daher, das Kind keinesfalls die ganzen Ferien lang lernen zu lassen. Es muss auch freie Zeiten geben.

Zur Person: Ulf Cronenberg arbeitet als zentraler Schulpsychologe für die Gymnasien in Unterfranken.

 
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