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WÜRZBURG
Jeder Mensch i(s)st anders
Ernährung Gibt es die gesunde Ernährung? Nein, sagt der Buchautor Uwe Knop und will mit Mythen rund ums Essen aufräumen.
Beim Essen müssen wir wieder mehr auf unser Bauchgefühl vertrauen, sagt der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop.
Foto: Illustration: Karina Färber | Beim Essen müssen wir wieder mehr auf unser Bauchgefühl vertrauen, sagt der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:22 Uhr

Schlagzeilen rund um das Thema Ernährung tauchen immer wieder auf. Ist Milch schädlich oder ein wertvolles Lebensmittel? Vegane Ernährung: gesund oder ungesund? Sind Kohlenhydrate schlecht? Das Ergebnis: Die Verwirrung bei den Verbrauchern wächst, die hohe Anzahl an Botschaften verunsichert. Manche Menschen sagen sogar, sie wissen nicht, was man überhaupt noch essen kann.

Essen ist heute ein wichtiger Bestandteil des individuellen Lebensstils: Vegan, vegetarisch, Low-Crab, Detox, Clean Eating, Paleo, Bio oder regional – Essen werde zu einer Ersatzreligion erhoben, schreibt der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. Nach Meinung des Ernährungswissenschaftlers gibt es weder gesundes noch ungesundes Essen. Mit seinem Buch „Ernährungswahn“ wirft der Experte alle Ernährungsregeln über den Haufen. Wegen seiner provokanten Thesen landete er schon in der Talkshow von Sandra Maischberger.

Sie schreiben: Es gibt keine Beweise, dass gesunde Ernährung die Gesundheit erhält oder gar fördert. Ist das wirklich so?

Uwe Knop: Ja, das ist richtig. Denn Ernährungswissenschaft basiert auf Beobachtungsstudien. Diese Ess-Untersuchungen liefern jedoch keine Beweise (Kausalitäten), sondern nur wachsweiche statistische Zusammenhänge (Korrelationen), die nicht mehr als vage Hypothesen zulassen. Angenommen in einer Studie mit 100 000 Personen wurde der Zusammenhang beobachtet, dass Main-Post-Leser 23 Prozent weniger Herzinfarkte erleiden als Leser der „FAZ“. Übertragen auf die Ernährungsforschung würde die Empfehlung lauten: „Main-Post verringert Herzinfarkte. Lesen Sie Main-Post.“ Die Gründe für die verringerte Herzinfarkt-Rate sind jedoch völlig unbekannt. Tauschen Sie nun die Zeitungen durch Gemüse und Fleisch, dann kennen Sie dieses Forschungssystem. Ernährungswissenschaft gleicht moderner Glaskugelleserei.

Warum ist unsere Beziehung zum Essen so kompliziert geworden?

Knop: Das liegt insbesondere daran, dass besagte Korrelationen in alle „gewünschten“ Richtungen vorliegen und damit jede Spezialesser-Lobbygruppe seine selektive Wahrheit als den „heiligen Gral der gesunden Ernährung“ propagieren kann. So lesen die Menschen dauernd sich komplett widersprechende „Ess-Weisheiten“. Beispielsweise gibt es Studien, die zeigen, dass Fleischesser mehr Darmkrebs haben als Vegetarier. Andere Untersuchungen konnten keinen Unterschied in der Krebsrate beobachten. Und das Flaggschiff der Ernährungsforschung, die EPIC-Studie, ergab: Vegetarier leiden häufiger an Darmkrebs als Fleischesser. Wem sollen die Leute nun was glauben? Dieses Tohuwabohu verunsichert all jene, die Antworten auf gesunde Ernährung außerhalb ihres eigenen Körpers suchen.

Sollten wir also wieder mehr auf unser Bauchgefühl vertrauen?

Knop: Ja, das ist zu empfehlen. Essen Sie nur dann, wenn Sie echten Hunger haben, worauf Sie Lust verspüren, was Ihnen schmeckt und was Sie gut vertragen – bis sie satt sind. Hören Sie auf die Signale „aus der Tiefe des Bauches“. Denn die Gretchenfrage ist einfach: Wer außer Ihrem Körper sollte wissen, welches Essen für Sie persönlich gut und gesund ist? Ich meine: niemand.

So verträgt auch nicht jeder die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung geforderten fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag . . .

Knop: Den Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zufolge sind seit Beginn der „5-am-Tag“-Kampagne im Jahr 2000 die klinischen Fälle diverser Darmerkrankungen deutlich gestiegen. Bei Flatulenz, also Blähungen, wurde ein Anstieg von 150 Prozent beobachtet. Natürlich weiß niemand, ob hier nur eine Korrelation besteht oder gar Kausalität anzunehmen ist. Eine mögliche Erklärung: Bei Menschen mit sensiblen Verdauungsorganen kann die hohe Menge an Rohkost und Ballastoffen zu massiven Problemen im Darm führen. Andererseits gibt es keinen einzigen Nutzennachweis für die Kampagne. Also ob 5-am-Tag die Gesundheit der Bürger fördert oder ihr sogar schadet – niemand weiß es.

Den größten Hype gibt es momentan um veganes Essen. Doch ist vegan auch gesund?

Knop: Vegan ist zu allererst eine künstlich erzeugte Mangelernährung. Jeder Veganer muss lebenslang B12-Vitaminpillen schlucken, sonst drohen Nervenschäden. Darüber hinaus muss man sich gut auskennen und die Nahrungsmittel gezielt nach ihren Inhaltsstoffen auswählen, sonst drohen weitere Mängel, bei Jod, Eisen, Eiweiß und Fettsäuren. Wer sich nicht auskennt, läuft Gefahr, seiner Gesundheit zu schaden. Aus diesen Gründen raten alle namhaften Fachgesellschaften unisono von veganer Ernährung bei Schwangeren, Säuglingen und Kindern ab. Und natürlich existiert keine einzige Studie, die belegt, dass vegane Ernährung gesünder ist, als normal zu essen.

Vielleicht ist Essen ein neues Statussymbol?

Knop: Für viele Menschen wird der Teller zum Spiegel der Persönlichkeit: „Ich zeige, was ich nicht esse, und damit zeige ich, wer ich bin.“ Ernährung in einer „kulinarischen Diaspora“, in der das Weglassen bestimmter Lebensmittel die Glaubensrichtung bestimmt, dient oft der Profilierung und Orientierung. Ernährung ist weniger Statussymbol, dafür häufiger Ersatzreligion.

Aber von einem Massenphänomen sind wir noch weit entfernt. Die veganen, paleo, clean-eater-Besser-Esser machen gerade mal 0,X Prozent der Bevölkerung aus – wir haben es also eher mit einem Hypchen als mit einem Hype zu tun.

Diäten sind böse, schreiben Sie. Doch wie kann man dauerhaft abnehmen?

Knop: Da gibt es kein Patentrezept. Was aber jeder wissen sollte: Die Gene spielen die erste Geige im Konzert des Körpergewichts – man schätzt den Einfluss auf 70 bis 80 Prozent. Sie können aus einem Bernhardiner also keinen Windhund machen. Gerade das Emotional Eating, also hungerfreies Essen, sollte man abstellen, denn das kann unnatürlich dick machen. Stattdessen sollte man nur dann essen, wenn man seinen echten, den körperlich-biologischen Hunger spürt.

Buchtipp

Viele Menschen sind übersättigt von den Ernährungsratschlägen, die sich je nach aktueller „Essmode“ alle paar Monate ändern: Sind heute viele Kohlenhydrate gesund, schwört man morgen auf weniger Fett und übermorgen ist mehr Eiweiß der Heilsbringer.

„Die Bürger spüren einfach, dass hier etwas aus den Fugen geraten ist und schenken den zahlreichen Ernährungstipps kaum noch Glauben“, schreibt der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop in seinem Buch „Ernährungswahn – Warum wir keine Angst vorm Essen haben müssen“. Auf 180 Seiten räumt Knop in kurzweiligen Kapiteln nicht nur mit allen Märchen rund um gesunde Ernährung, ungesunde Lebensmittel, Übergewicht und Diäten auf, er erklärt auch leicht verständlich die wissenschaftlichen Hintergründe.

„Vertrauen Sie daher beim Essen nur auf Ihren Körper“, so das Fazit des Autors.

Uwe Knop, 44, hat an der Universität in Gießen Ernährungswissenschaft studiert und arbeitet seit knapp acht Jahren als Medizin-PR-Experte. Im August 2012 veröffentlichte er „Hunger & Lust. Das erste Buch zur Kulinarischen Körperintelligenz“. Im April 2016 ist sein aktuelles Buch „Ernährungswahn“ erschienen.

Alles bisherigen Artikel der Serie und mehr Informationen unter www.mainpost.de/mahlzeit

Buchautor Uwe Knop: „Ernährungsregeln sind Quatsch.“
Foto: Books on demand | Buchautor Uwe Knop: „Ernährungsregeln sind Quatsch.“
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