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BERLIN
re:publica - Warum Steve Jobs ein Monster war
Blogger Sascha Lobo: Dauergast bei der re:publica in Berlin.
Foto: dpa | Blogger Sascha Lobo: Dauergast bei der re:publica in Berlin.
Von unserem Redaktionsmitglied Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 07.05.2012 13:53 Uhr

Sie wirkten allesamt etwas nervös – den Machern der Bloggerkonferenz re:publica war bei der Eröffnung der Stress der vergangenen Wochen und Monate anzumerken: „Wir mussten 20 000 Quadratmeter beleuchten und bestuhlen“, so Mitorganisatorin Tanja Häusler – „dabei sind wird doch eigentlich die Organisatoren des legendären Klassentreffens.“

Vom leicht chaotischen, dafür umso sympathischeren „Klassentreffen“ von Internetaktivisten hin zur professionell durchorganisierten Großveranstaltung für Interessierte aus verschiedensten Bereichen: Die sechste Auflage der re:publica wird zeigen, ob das einstige Bloggertreffen seinen ursprünglichen Geist bewahren kann oder zur Veranstaltung für die Massen wird.

Fotoserie
Mehr als 4000 Gäste aus aller Welt, 350 Redner aus über 30 Ländern und ein Programm von über 200 Stunden, verteilt auf drei Tage – möglich wurde die Vergrößerung der re:publica vor allem durch den Umzug der Veranstaltung vom Friedrichstadtpalast in den ehemaligen Postbahnhof, die sogenannte Station.

Über elf verschiedene Themenbereiche will die Konferenz abdecken: von Medienwandel und Lernen im Netz bis hin zur politischen Revolution durch soziale Medien – selbst Mitorganisator Markus Beckedahl geriet bei der Aufzählung der Themen in seiner Eröffnungsrede immer wieder ins Stocken.

Umso souveräner dann der Auftritt des ersten Redners: Die re:publica ist bekannt für klare Meinungen und provokante Thesen – und US-Wissenschaftler Eben Moglen, der die Konferenz eröffnete, enttäuschte in dieser Hinsicht nicht: Der Professor für Recht und Geschichte an der Columbia University rief eindringlich dazu auf, sich für freie Software und freie Netze einzusetzen und bezeichnete den Tod von Steve Jobs als „positives Ereignis“: „Er war ein großartiger Künstler – und in moralischer Hinsicht ein Monster.“

Jobs habe wundervolle Geräte entworfen, die aber dazu dienten, ihre Nutzer zu kontrollieren. Internet-Unternehmen wie Apple, Google und Facebook, die möglichst viele Daten ihrer Nutzer sammeln, kritisierte Moglen scharf. „Da ist eine Suchmaske, in die wir all unsere Träume, Hoffnungen und Ängste eingeben.“ Die Konsequenz: Das Unternehmen hinter der Suchmaske werte all diese Informationen von und über uns aus – „und besitzt sie“. Moglen erklärte, dass in weniger als zwei Generationen jeder Mensch mit seinem kompletten Denken und Leben im Internet eingebunden sein werde.

Sein Aufruf fiel deutlich aus: „Unsere Generation entscheidet, wie dieses Netzwerk organisiert wird – wir brauchen ein Netzwerk von Gleichgestellten, nicht eines, das aus einem Meister und dessen Sklaven besteht.“ Nur so könne man echte Meinungsfreiheit bewahren, betonte Moglen. Diese bedürfe außerdem freier Medien – und dafür wiederum seien freie Software, freie Technologien und die Entwicklung freier Telekommunikationsnetze in öffentlicher Trägerschaft nötig. Moglen appellierte an die Verantwortung der heutigen Generation: Im Kampf um Meinungsfreiheit dürften wir nicht scheitern. „Zu viele Menschen sind in den letzten Jahrtausenden für dieses Ziel gestorben“, so sein emotionales Schlusswort.

Dass Emotionen und hitzige Diskussionen auch möglich sind, wenn die Zuhörer nicht auf engstem Raum zusammengedrängt und mit dem Redner konfrontiert sind, spricht für die räumliche Verlegung der Veranstaltung. Während die Gäste im vergangenen Jahr noch frustriert vor überfüllten Sälen standen und froh waren, bei beliebten Vorträgen einen Platz auf dem Boden zu ergattern, verteilt sich nun die Menge im weitläufigen Gelände der Station. Verloren gehen kann man trotzdem kaum: Schnell hat sich eine riesige Ansammlung von bunten Stühlen in der Mitte der ehemaligen Bahnhofshalle zum zentralen Treffpunkt entwickelt. Jeder kann sich einen Stuhl nehmen und damit Platz nehmen, wo immer er möchte.

Weitere Neuerungen der Konferenz sind Gebärdendolmetscher und das für alle auf einer großen Leinwand sichtbare Mitschreiben der Hauptvorträge – für mehr Barrierefreiheit. Für all diejenigen, die nicht an der Konferenz teilnehmen können, dokumentiert spiegel.online die Vorträge von der Hauptbühne außerdem erstmals in einem Video-Live-Stream.

Die re:publica 2012 bringt viele Änderungen mit sich, doch einiges ist gleich geblieben: Das stark koffeinhaltige Club-Mate scheint seinen Status als beliebtestes Getränk der Blogger-Szene halten zu können, die drahtlose Internetverbindung funktioniert wie all die Jahre zuvor über weite Strecken nicht, der Irokesenschnitt von Vorzeige-Blogger Sascha Lobo sitzt akkurat und leuchtet knallrot wie eh und je – und Zwischenrufe und heftige Diskussionen während und nach den Vorträgen sind nach wie vor erwünscht und an der Tagesordnung.

„Ich hoffe, dass Ihr alle nett zueinander seid, aber dass Ihr Euch auch einmischt“, so Mitveranstalter und Blogger Johnny Häusler: Schließlich stehe die Konferenz unter dem Motto „Action“ – als Appell an jeden einzelnen Besucher, aber auch, um die Bedeutung sozialer Medien für politische Bewegungen zu verdeutlichen.

Akteure im Internet

Die Internetaktivisten Markus Beckedahl und Johnny Häusler veranstalten seit 2007 die re:publica in Berlin. Als „Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft“ definiert Beckedahl die re:publica. Im Zentrum der dreitägigen Veranstaltung stehen aktuelle Internettrends sowie die Akteure dahinter. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf sozialen Medien und ihrer Bedeutung in der Politik. Weitere Programmpunkte sind die Protestbewegung Anonymous, Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft und die Debatte über das Urheberrecht im Internet. Zu den Rednern gehören Regierungssprecher Steffen Seibert, Piraten-Politikerin Julia Schramm und Deutschlands wohl bekanntester Blogger Sascha Lobo. Text: Hettiger

 
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