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WÜRZBURG
Netzkampagnen: Mit einem Klick wird alles anders
Noch nie war es einfacher, noch nie populärer – und noch nie ging es schneller: In Zeiten des Internets kann sich jeder mit einem Mausklick engagieren. Er kann Informationen aus einer Vielzahl an Quellen zusammentragen, sie miteinander verknüpfen, veröffentlichen und in politische oder soziale Kampagnen ...
Online-Kampagnen       -  Domino-Effekt? Ein Klick an der richtigen Stelle kann viel bewegen.
Foto: Illustration: Thinkstock/schwarz | Domino-Effekt? Ein Klick an der richtigen Stelle kann viel bewegen.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 26.04.2023 17:47 Uhr

Ein Beispiel ist die Medienkampagne der Kinderhilfsorganisation Invisible Children. Ihr dreißigminütiges Internetvideo über den ugandischen Bandenchef Kony, der seit Jahren Kinder zwangsweise zu Soldaten ausbildet, sorgte für helle Aufregung: Es war das erste Online-Video, das innerhalb von fünf Tagen 70 Millionen Mal aufgerufen wurde. Noch nie zuvor hat sich eine Social-Video-Kampagne so schnell ausgebreitet. Stellen wir uns nun das Gegenteil vor: Niemand hätte den Film gesehen. Kaum jemand würde den zurzeit am meisten gesuchten Kriminellen der Welt kennen.

Gibt es Erfolgsrezepte für Online-Kampagnen?

Kampagnen in sozialen Netzwerken scheinen unberechenbar. Erfolgsrezepte gibt es nicht. Nur Tendenzen: Je emotionaler ein Thema, desto eher scheint es Menschen anzusprechen. Je klarer und verständlicher das Ziel formuliert ist, desto besser kann die Kampagne überzeugen. Je kleiner der Aufwand für eine Aktion und je niedriger die Hürde zum Handeln, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, den Leser, Zuschauer oder Zuhörer zum Spenden, Klicken oder Kommentieren zu animieren. Zu diesem Ergebnis kamen Webspezialisten 2010 bei der Konferenz „re:campaign“, als sie über die besten Kampagnen im Netz diskutierten.
 

Engagement gegen Nazis

Auf die gesamte Streukraft des Web 2.0 setzt die Organisation „Netz gegen Nazis“. „Wenn ein Artikel geschrieben ist, wird er auf sämtliche Kanäle, das sind gut 60 verschiedene soziale Netzwerke, verteilt“, erzählt Simone Rafael, Redakteurin der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin, die „Netz gegen Nazis“ betreibt. Auch wenn Facebook marktführend ist, hält Rafael alle Netze für wichtig – tummeln sich doch in jedem andere Nutzer und Zielgruppen.
 

Engagement für den Palliativbereich

In sozialen Netzwerken aktiv ist auch Nadine Lexa (Palliative Care Fachkraft) aus Würzburg. Im Berufsnetzwerk Xing erfuhr die gelernte Krankenschwester und MAS von einem bundesweiten Fotowettbewerb, organisiert von der Deutschen Palliativstiftung. Der Stiftungsvorsitzende suchte eine Stadt, in der die besten Bilder des Wettbewerbs ausgestellt werden sollten sowie Freiwillige, um das Ganze zu organisieren. „Da habe ich ,hier' geschrien“, erzählt Lexa. Sie bekam den Zuschlag und gewann Würzburgs Oberbürgermeister für die Idee, die teils Gänsehaut verursachenden Fotos über Tod und Sterben im Foyer des Rathauses aufzuhängen.

Um möglichst viele Besucher zu locken, nutzte Lexa alle Kanäle: Sie verschickte Briefe per Post, setzte auf Mundpropaganda im Freundeskreis, wandte sich an die lokale Presse und warb in verschiedenen Facebook-Gruppen für die Ausstellung – etwa auf dem Palliativ-Portal (600 Mitglieder) und in der Gruppe „Connected Nurses“ (1700 Mitglieder). Um Menschen zu finden, die ähnliche Interessen haben und sich für die gleiche gute Sache engagieren, hält Lexa soziale Netzwerke für sehr nützlich.


Engagement für die Umwelt

Auch beim Verein Bergwaldprojekt hat man Facebook und Youtube für sich entdeckt. Seit 20 Jahren hat es sich der Verein zur Aufgabe gemacht, in Zusammenarbeit mit Forstämtern Freiwillige für den Erhalt und die Pflege der Wälder in Europa einzusetzen. Der Projektleiter der Waldschule, Martin Ladach aus Würzburg, meint: „Wenn wir uns auf Facebook mit anderen Gruppen, wie etwa der Grünen Jugend, zusammenschließen, folgen 30 bis 40 Leute mehr als sonst unseren Online-Vereinsnachrichten.“

Etwas bewirken, Meinungen diskutieren und durch Empfehlungsmarketing die Zielgruppe erweitern, das will die Umweltorganisation Greenpeace durch ihr Engagement auf Twitter und Facebook. Volker Gaßner, Pressesprecher für neue Medien in Hamburg, hat festgestellt: „Wir können die Reichweite unserer Projekte über Social Media deutlich erhöhen.“

Ein Beispiel ist das Waldcamp im Spessart: Aktivisten kartografierten im Februar fast 24 000 alte Buchen per GPS. Ein Internetvideo – vor Ort gedreht – zeigt die jungen Leute bei Minus 17 Grad im Schlafsack. „Das war sehr emotional, viele Menschen sind unserer Berichterstattung gefolgt“, sagt Gaßner. Viele hätten daraufhin die Freiwilligen im Spessart besucht, sich das Camp angeschaut und sogar Kuchen vorbeigebracht.

Ein anderes, sehr bekanntes Beispiel ist die „Nestlé-Kampagne“ von Greenpeace. Wie die Organisation im März 2010 bekannt gab, bezog Nestlé einen Teil seines Palmöls, das zur Herstellung von Schokoriegeln verwendet wird, von einer Firma, die illegal große Flächen des indonesischen Regenwaldes rodete. Die Kampagne, die vor allem auf Twitter und Facebook ausgetragen wurde, löste eine riesige Empörungswelle über den Konzern aus. Die Folge: Nestlé lenkte ein und verpflichtete sich, diese Art von Palmöl künftig nicht mehr zu nutzen.
 

Engagement und Ehrenamt

Thilo Muth aus Würzburg hat gleich ein eigenes Netzwerk aufgebaut: Das Internetportal www.sozialehelfer.de bringt Freiwillige und soziale Einrichtungen zusammen. Hier kann jeder kostenlos inserieren, der einen engagierten Helfer sucht oder der sich ehrenamtlich betätigen will – zum Beispiel um Kinder oder ältere Menschen zu betreuen.
 

Fazit: "Wir bekommen einen sehr starken Bürger" (Peter Kruse)


All diese Beispiele zeigen: Erfolgreiche Kampagnen wirken über das Internet hinaus in die reale Welt. Sie werden von qualifizierten Menschen geführt, haben eine solide Organisationsstruktur im Hintergrund und brauchen vor allem eines: Professionalität online wie offline.

Peter Kruse von der Internet-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages fasst die Entwicklung wie folgt zusammen: „Das Internet verändert die Gesellschaft gravierend. Die erste Motivation der Menschen im Netzwerk war die Information. Dann fanden sie heraus, dass es spannend ist, sich im Netz darzustellen und Spuren zu hinterlassen. Im Moment merken sie, dass man über die Netze mächtig werden kann und schließen sich zusammen.“ Er spricht von einer Revolution und einer Machtverschiebung. Durch das Netz „bekommen wir einen sehr starken Kunden, einen sehr starken Mitarbeiter und einen sehr starken Bürger“.

 

Beispiele für erfolgreiches Engagement im Internet

  • Zu den größten internationalen Kampagnennetzwerken zählt Avaaz. Die US-Stiftung, die eine Beteiligungsplattform in 14 Sprachen betreibt, organisiert weltweit politische Kampagnen gegen Armut, Pressezensur, die Verletzung der Menschenrechte oder den Klimawandel. Per E-Mail werden Online-Petitionen an registrierte Mitglieder verschickt, deren „virtuelle Unterschriften“ öffentlichkeitswirksam an Regierungen überreicht werden. Vor kurzem schmuggelten die Aktivisten Hilfsgüter nach Syrien und machten gegen das geplante ACTA-Gesetz der EU mobil. (http://www.avaaz.org/de/)
  • Als Transparenzplattform bezeichnen die Macher von Ushahidi ihre Webseite. Dort wurden mit Hilfe von Bürgerjournalisten und anhand von interaktiven Karten die Gewaltausbrüche nach den Wahlen 2008 in Kenia dokumentiert. Die Seite diente außerdem zur Wahlbeobachtung in Krisengebieten und der Dokumentation von Naturkatastrophen. (http://www.ushahidi.com/)
  • Einkaufen und Gutes tun – diesem Ziel hat sich die Seite www.clicks4charity.net verschrieben, bei der Hilfsorganisationen über eine Provision bei jedem Einkauf unterstützt werden.
  • Grüne Suche: Als Alternative zu Google verwenden Umweltbewusste die Suchmaschine www.ecosia.org, die 80 Prozent ihrer Einnahmen an ein WWF-geleitetes Regenwald-Schutzprogramm in Brasilien spendet. Text: akl
 
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