
Seit es möglich ist, Musik, Filme oder Bücher nahezu ohne Qualitätsverlust zu digitalisieren und zu kopieren, beklagen sich Musik- und Filmindustrie, ihnen würden Einnahmen in Milliardenhöhe verloren gehen. Die Rechnung ist simpel: Wer im Internet eine Musikdatei lädt oder einen Film anschaut, hätte früher eine CD gekauft oder wäre ins Kino gegangen. Die Reaktion ist ebenso so einfach: Musik-, Film- und Buchindustrie fordern ein strengeres Vorgehen gegen Urheberrechtsverstöße. Das ACTA-Abkommen ist ein Resultat dieser Bemühungen, das etwa das systematische „Abhören“ des Datenstroms im Internet nicht mehr ausschließt. Doch alle Bemühungen dahin gehend waren erfolglos. Erfolgreich dagegen war etwa der IT-Riese Apple, der es mit einem attraktiven Angebot geschafft hat, dass Menschen für Musik, Bücher und Filme gerne bezahlen. Wir sprachen mit Jürgen Neuwirth, dem Vorsitzenden der Piratenpartei im Bezirk Unterfranken über den digitalen Zugang zu Musik, Filmen und Büchern.
Jürgen Neuwirth: Die Köpfe hinter kino.to sind wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Und das ist sicher richtig. Dass die Seite selbst offline geschaltet wurde, ist okay, auch wenn hier eigentlich keine Urheberrechtsverletzungen begangen wurden. Die Seite bestand ja nur aus Links auf andere Webseiten wie Megaupload von Kim Schmitz, wo die kopierten Filme gespeichert wurden. Solange die Filmindustrie selbst jedoch keine passenden Angebote ins Netz stellt, solange wird es Seiten geben, die diese Lücke ausnutzen. Kino.to hat selbst ja auch schon Nachfolger.
Neuwirth: Die GVU versucht Rechtssicherheit zu schaffen, um die Nutzer anklagen zu können. Ich halte nichts davon. Zuletzt wurden auf kino.to vier Millionen Menschen gezählt, überwiegend aus Deutschland. Wenn es nach der GVU ginge, würde man diese Leute kriminalisieren. Sinnvoller wäre, die GVU würde ihre Energien darauf verwenden, ein gutes Produkt online zu stellen, das den Bedürfnissen der User entgegenkommt und für das die Menschen auch bezahlen.
Neuwirth: Die kulturelle Vielfalt für die Menschen sollte im Vordergrund stehen, ohne die Künstler zu benachteiligen. Allerdings sollten die Rechte der Verwerter in den Hintergrund rücken. Aus unserer Sicht ist es nicht fair, wenn für eine CD, die 15 Euro kostet, nur wenige Cent an den Künstler gehen. Gleichzeitig sollten Bürger das Recht erhalten, Bilder, Texte, Musik und Filme kostenfrei zu nutzen, sofern sie keinerlei kommerzielle Interessen damit verfolgen. Einem Fan sollte es gestattet sein, ein Bild eines Künstlers auf seiner Internetseite zu veröffentlichen, ohne gleich mit einer Abmahnung zu rechnen. Schließlich sind wir der Meinung, dass es uneingeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen geben sollte, sofern diese mit Steuergeldern finanziert wurden.
Neuwirth: Ich spreche lieber von der Contentindustrie und schließe auch die Verlage mit ein, die verzweifelt versuchen, ihre alten Geschäftsmodelle in das digitale Zeitalter zu retten, ohne dabei auf die Wünsche der Nutzer und deren veränderte Lebenswelt einzugehen. Ein Beispiel ist das Rechtemanagement. Bei manchen Musikstücken etwa ist es auch nach dem Kauf nicht möglich, dieses auf mehreren Geräten, abzuspielen. Ich müsste es für den CD- oder den MP3-Player jedes Mal neu kaufen. Wir bevorzugen ein Flatratemodell, eine Art Abonnement, bei dem ich monatlich zahle und so viel Musik oder Filme auf allen meinen Geräten abspielen lassen kann.
Neuwirth: Wenn das Angebot attraktiv und einfach zu bedienen ist, dann bin ich davon überzeugt.
Neuwirth: Die Kulturflatrate hat die Idee zur Grundlage, dass jeder Bürger oder Haushalt eine Abgabe zahlt und dann alle digital zugänglichen Kulturgüter wie Bücher, Musik oder Filme ohne zusätzliche Kosten nutzen kann. Da wir online messen können, welche Musikstücke oder Filme am meisten abgerufen werden, bestimmen wir die Auszahlung an die Künstler nach ihrer Popularität.
Neuwirth: Deswegen sollen die Zugriffszahlen nicht die einzige Bewertungsgrundlage sein. Man könnte eine Künstlerbewertung als weiteres Kriterium heranziehen.
Neuwirth: Ja, es ist auch umstritten. Wir müssten beispielsweise die User überwachen, und man könnte User-Profile erstellen. Das wollen wir nicht. Deswegen ist es kein optimales Modell, und wir sind offen für Kritik. Gleichwohl würde es die jetzige Situation verbessern.
Neuwirth: Aus diesem Grund diskutieren wir alternative Modelle wie das Pre/Post-Release-Modell. Die Künstler bieten vor der Veröffentlichung eine Vorabversion an und nennen ihr Mindesthonorar, das sie damit erzielen wollen. Kommt das Geld über freiwillige Zahlungen der User zusammen, steht es von da an allen sofort zur Verfügung. Erzielt er mehr Geld, verdient er mehr.
Jürgen Neuwirth aus Frammersbach im Landkreis Main-Spessart wollte ein Zeichen gegen die Abmahnindustrie im Internet setzen und ist deswegen in die Politik gegangen. Seit 2006 gehört der 27-Jährige den Piraten an. Er studiert Elektro- und Informationstechnik. Er beklagt die mangelnde Kompetenz vieler Politiker in Sachen Internet.
ONLINE-TIPP
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Urteile im Fall kino.to
Gegen die Betreiber des illegalen Filmportals kino.to sind vier Urteile gesprochen worden:
2. Dezember 2011: Ein Webdesigner wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
7. Dezember 2011: Ein 27-jähriger Kfz-Mechaniker erhält drei Jahre Haft. Als Administrator hatte er die Raubkopien zugänglich gemacht.
15. Dezember 2011: Ein 24-Jähriger kommt mit 21 Monaten auf Bewährung davon. Er hatte Raubkopien eingespeist.
22. Dezember: Ein 47-Jähriger wird zu drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Er hatte einen Filehoster betrieben – einen Server, auf
dem die illegalen Kopien gespeichert waren.