Ich habe mich eingearbeitet, um genau zu verstehen, was passiert ist“, schreibt Mark Zuckerberg auf Facebook. Wie bitte? Wenn sich der Chef erst einarbeiten muss, um zu verstehen, warum Daten von 50 Millionen seiner Kunden in die falschen Hände geraten, ist das erschreckend. Die reumütige Entschuldigung, die er erst abgibt, nachdem der Aktienkurs seines Unternehmens um 20 Prozent gefallen ist, wurde bis Donnerstag 50 000 Mal geteilt. Immerhin fünf Mal so oft wie das letzte Foto von ihm und seiner Frau beim Plätzchenbacken. Ist damit der Fall erledigt?
Sicher nicht. Das soziale Netzwerk, das schon oft die Kritik von Datenschützern und Politikern eiskalt an sich abprallen ließ, könnte dieses Mal ernsthaft ins Wanken geraten. Der Skandal um die britische Firma Cambridge Analytica stürzt Facebook in die tiefste Krise seiner 14-jährigen Geschichte. Mittlerweile ist bekannt, dass sich die Datenanalyse-Firma Zugang zu Informationen von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern verschafft und damit im Wahlkampf auf Facebook Stimmung für Donald Trump gemacht hat. Und dies in einem Land, das – tief gespalten – einen der schmutzigsten Wahlkämpfe seiner Geschichte erlebt hat, der zu allem Überfluss womöglich auch noch von russischer Seite beeinflusst wurde.
Von Facebooks Mythos während des Arabischen Frühlings ist nichts mehr übrig
2016 wurde das Netzwerk von einer Welle an Falschmeldungen überschwemmt, die sich vor allem gegen Trumps Konkurrentin Hillary Clinton richteten. Später kam ans Licht, dass russische Akteure mit einer digitalen Schmutzkampagne innenpolitische Konflikte in den USA schüren wollten. Mehr als 126 Millionen Nutzer bekamen russische Propaganda zu Gesicht. Ob man mit Facebook tatsächlich Wahlen gewinnen kann, ist zweifelhaft. Welche Macht in den Händen der Internetgiganten liegt, dagegen nicht: Die Macht, Gesellschaften zu spalten.
Während des Arabischen Frühlings ließen sich die sozialen Netzwerke als Werkzeuge der Befreiung der Menschen von staatlicher Kontrolle feiern. Handy-Videos, die zeigten, wie autoritäre Regime brutal gegen Demonstranten vorgingen, wurden geteilt, verbotene Nachrichten verbreitet, Treffpunkte vereinbart. Die Technologie beschleunigte den politischen Wandel, indem sie die Jugendlichen miteinander vernetzte. Jetzt schlägt das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Die gigantische Manipulationsmaschine lässt selbst die sonst für ihren laxen Umgang mit Daten bekannten Amerikaner zusammenzucken. Facebook sei „unheimlich“ und ein „Staat im Staat, den man regulieren müsse“, sagen sogar die Republikaner.
Der Boss muss mehr tun, als sich auf Facebook zu entschuldigen
Als ein Einzelner am 10. März vergangenen Jahres vor dem Würzburger Landgericht vergeblich dafür gekämpft hat, dass er auf Facebook nicht als Terrorist diffamiert wird, zuckte Zuckerberg vermutlich nicht einmal mit der Wimper. Doch wenn sich jetzt immer mehr Werbetreibende von der Plattform zurückziehen, US-Verbraucherschützer vor Gericht empfindliche Strafen einklagen oder Politiker per Gesetz das Netzwerk regulieren wollen, muss der Boss mehr tun als sich auf Facebook zu entschuldigen.
Die Tragweite des Skandals scheint langsam zu Mark Zuckerberg durchzudringen. Er hat angekündigt, 1000 Apps von Drittanbietern, die ebenfalls Facebook-Daten abgreifen könnten, unter die Lupe zu nehmen. Falls weitere Datenlecks bekannt werden, wäre das für Facebook eine PR-Katastrophe mit noch schmerzhafteren Folgen.
Die jahrelang belächelte Forderung von Datenschützern nach strengerer Regulierung und mehr Transparenz bei der Weitergabe von Daten könnte Realität werden. Einheitliche Datenstandards könnten den weltweiten Handel mit Daten grundlegend neu ordnen. Kleinere Firmen, die das Vertrauen ihrer Kunden nicht verspielen, könnten den großen US-Monopolisten ernsthaft Konkurrenz machen. Im besten Fall bietet der Skandal die Chance auf ein digitales Zeitalter, das ehrlicher, transparenter und verbraucherfreundlicher wird.