Es macht ihm sichtlich Spaß, gegen den scheinbar übermächtigen Gegner Facebook anzutreten. Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun hat Strafanzeige gegen Deutschlands Facebook-Manager gestellt. Und plötzlich muss sich der Mega-Konzern bewegen, gegen seinen Willen.
Worum geht es? Das soziale Netzwerk Facebook ist voll mit rechten Hasskommentaren, mehr oder weniger verklausulierten Mordaufrufen, Diffamierungen von Minderheiten oder Fotos von Enthauptungen. In Deutschland ist das verboten. Auch wenn vermeintlich besorgte Bürger sich gerne dabei auf die Meinungsfreiheit beziehen, wenn sie etwa den Holocaust leugnen.
Die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Auch bei Facebook darf man nicht alles veröffentlichen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit unterscheiden sich aber. Zu behaupten, der millionenfache Mord an den Juden habe nie stattgefunden, führt nicht zwangsläufig zu einer Löschung der Äußerung. Eine veröffentlichte nackte weibliche Brust indes verschwindet schnell von der Timeline.
Seit über einem Jahr nun kämpft Jun dafür, dass Facebook sich an deutsches Recht hält und offen und nachvollziehbar deutlich macht, was und warum gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstößt. Während Facebook sich unwillig stückchenweise bewegt, zeigen deutsche Justiz und deutsche Politiker nur wenig Lust, auf die Einhaltung deutschen Rechts zu bestehen. Warum? Darüber haben wir mit dem Würzburger Rechtsanwalt spekuliert.
Frage: Fühlen Sie sich nicht manchmal wie Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft?
Chan-jo Jun: Ich hatte immer gesagt, Facebook wird sich nicht von einem kleinen Würzburger Anwalt beeindrucken lassen. Aber bestimmt von der Justiz. Die will ich eigentlich anschieben. Denn dann hat Facebook nicht Chan-Jo Jun als Kontrahenten, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Das Don-Quijote-Gefühl tritt auf, wenn ich jeden Morgen feststelle, dass alles, was ich als Verstoß gegen deutsches Recht bei Facebook gemeldet habe, mit dem Hinweis beschieden wird: Verstößt nicht gegen unsere Gemeinschaftsrichtlinien. Wobei man einräumen muss, dass Facebook sich etwas gebessert hat und mehr löscht als noch zu Beginn. Ich denke, wir sind auf einem gutem Weg.
Don Quijote ist aber auch jemand, der in einer wenig ritterlichen Welt ritterliche Werte lebt. Ist Ihr Kampf für die Einhaltung deutschen Rechts in einer globalisierten Welt nicht ein bisschen aus der Zeit gefallen?
Jun: Dieser Fall macht mir so viel Spaß, weil ich tatsächlich für das Gesetz, für Grundrechte und unsere Werte kämpfe, die mir wichtig sind. Ja, tatsächlich, die Welt verändert sich und deswegen müssen wir etwas tun. Wenn wir hier nicht aufpassen, dann laufen wir Gefahr, dass unsere Werte von einem global agierenden Unternehmen ignoriert und unter Umständen sogar neue Werte-Standards geschaffen werden. Unser eigener Wertekompass gerät dabei unter die Räder. Und wir gewöhnen uns daran, dass intransparente Facebook-Community-Richtlinien mehr gelten als die Menschenwürde, die in Deutschland einen besonderen Stellenwert hat.
Wie meinen Sie das?
Jun: In den USA wird die Freiheit des Einzelnen sehr weit ausgelegt. Sie dürfen Minderheiten oder Volksgruppen diffamieren, das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. In Deutschland wollen wir das nicht. Wir dürfen unsere Meinung sagen, solange wir dadurch nicht die Würde des Menschen verletzen. Meinungsfreiheit wird von der Unverletzbarkeit der Menschenwürde eingeschränkt. Und das halte ich für gut und richtig so. Für viele Menschen in Deutschland ist das aber nicht mehr unbedingt Konsens. Sie wollen Hetze, wie sie auf Facebook gepflegt wird, auch auf die Straße tragen und von der Meinungsfreiheit gedeckt wissen. Das macht mir Angst.
Zitiert wird gerne der Satz, „das wird man doch wohl sagen dürfen …“
Jun: So fängt es immer an. Aber auch in Deutschland galt die Meinungsfreiheit nie uneingeschränkt. Der Schutz von Minderheiten beispielsweise schränkt Meinungsfreiheit ein. Auch die Leugnung des millionenfachen Mordes an Juden ist in Deutschland verboten. Beleidigungen fallen ebenfalls nicht unter Meinungsfreiheit. Wird Meinungsfreiheit eingeschränkt, weil uns bestimmte Ansichten nicht passen, müssen wird dagegen kämpfen. Darum geht es aber nicht. Es muss ein System geben, dass Facebook in die Lage versetzt, rechtsverletzende Kommentare zu löschen. Das setzt ein transparentes System bei Facebook voraus.
Wer legt das fest?
Jun: Es gibt diese Regeln nicht. Deswegen wäre es auch für die Politik sinnvoll, da gesetzgeberisch draufzuschauen. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein System gibt, bei dem Facebook zunächst selbst prüft und nach transparenten Kriterien löscht. Am Schluss muss ein Gericht entscheiden können, ob bestimmte Äußerungen öffentlich bleiben. Analog zum Presserat könnte ich mir auch eine Zwischen-Instanz vorstellen, die die Einhaltung der Regeln kontrolliert. Die Regeln, mit denen wir in Deutschland die Presse kontrollieren, funktionieren gut. Solange Facebook wie bisher sagt, „uns interessieren die Regeln nicht“, wird man nichts durchsetzen können.
Facebook zieht sich ja gerne auf den Standpunkt zurück, „wir sind global und können nicht jede kulturelle Eigenheit berücksichtigen!“
Jun: Sie können schon. In der Türkei etwa darf auf Facebook keine kurdische Flagge zu sehen sein. Auch Kritik an Erdogan wird zensiert. Dafür gibt es interne Richtlinien der Facebook-Mitarbeiter, die klar regeln, was in der Türkei gesehen werden darf und was nicht.
Bei der Durchsetzung seiner eigenen Regeln ist Facebook ja auch wenig zimperlich. Nacktheit wird sofort gelöscht. Darstellung von brutaler Gewalt ist problemlos möglich.
Jun: Die haben sich einfach den größten gemeinsamen Nenner gesucht: Wie vernetze ich die Welt am besten. Und dabei haben sie festgestellt: „Nacktheit nicht gut. Ich gewinne ein paar, verliere viele. Wenn wir Gewaltdarstellungen und Hetze beschränken, dann verlieren wir zu viele Nutzer. Das kann nicht im Sinne des Unternehmens sein.“ Facebook kämpft dafür, dass es möglich viel der politischen Diskussionen als Sprachrohr verbreiten kann.
Setzt Facebook damit nicht längst neue Wertestandards, die mit unserem Wertkanon nicht mehr kompatibel sind und die früher oder später auch von den Menschen in Deutschland übernommen werden? Gerade Äußerungen wie, „das wird man ja wohl sagen dürfen!“, deuten darauf hin.
Jun: In der Tat ist es so, dass unsere Gesellschaft von Werten geprägt wird, die ein global agierendes Unternehmen setzt. Nehmen wir den Umgang mit Privatsphäre. Die Jugendlichen von heute haben da einen ganz anderen Umgang als wir Älteren das noch hatten. Wir schrecken vor dem Gedanken, dass ein Unternehmen unser Nutzerverhalten analysiert, zurück. Viele Jugendliche sagen, ist doch gut, wenn ich genau personalisierte Werbung erhalte. Die heutigen Teenager wachsen da mit einem anderen Wertesystem auf.
Könnte sich das nicht auch bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit verschieben?
Jun: Dagegen kämpfe ich natürlich. Soziale Netzwerke haben eine Bevölkerungsgruppe mobilisiert, die sich bislang nicht getraut hat, ihre Meinung in die Öffentlichkeit zu tragen. Leute aus der Mitte der Gesellschaft, die plötzlich gegen Ausländer hetzen und ihre Äußerung beginnen mit „ich bin doch kein Nazi, nur weil …“ Diese Leute haben plötzlich im Netz Mitstreiter gefunden und nutzen insbesondere Facebook als Sprachrohr und um weitere Verbündete zu finden. Und das sind auch diejenigen, die gar nicht wollen, dass wir deutsches Recht auf Facebook anwenden wollen.
Warum tut sich die Politik damit so schwer?
Jun: Der Justizminister Heiko Maas hat aus meiner Sicht Angst vor den sogenannten besorgten Bürgern, die ja bekanntermaßen 25 Prozent der Stimmen an den Wahlurnen holen. Und das sind diejenigen, die beim Thema Meinungsäußerung nicht so viel Staat haben wollen. Der Konsens, dass es verboten ist, den Holocaust zu leugnen, droht verloren zu gehen. Die Landesjustizministerkonferenz hat Maas den eindeutigen Auftrag gegeben, hier aktiv zu werden, doch er zögert. Stattdessen werden Gesprächskreise eingerichtet, bei denen darüber debattiert wird, wie man dem Hass auf Facebook begegnen kann. So wird man das Unternehmen nicht dazu bringen, zu handeln.
Woher kommen plötzlich diese vielen radikalen Tendenzen? Ist das ein Facebook-Phänomen?
Jun: Ganz sicher. Facebook macht es einfach, radikale Meinungen zu vertreten und dort wiederum Leute zu finden, die diese Meinungen unterstützen. Es entsteht eine Filterblase. Plötzlich denken diese Menschen, eine Mehrheit vertrete meine rechten Ansichten.
Dann wären wir wieder bei Don Quijote: Um Sie herum zerfallen sicher geglaubte Werte. Aber Sie kämpfen für deren Erhaltung?
Jun: Bei Don Quijote war es ein aussichtsloser Kampf. Er war schon aus der Zeit gefallen. Ich denke nicht, dass mein Kampf aussichtslos ist. Ich glaube noch daran, dass wir eine stabile Mehrheit auf den Grundlagen des Rechtsstaates haben. Ich bin überzeugt, die Justiz bietet das richtige Mittel, um auch bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Die Justiz arbeitet zwar langsam, aber nachhaltig. Sobald sie sich des Themas annimmt, gelingt es uns ähnlich wie bei der Einhaltung der Urheberrechte auch bei Hasskriminalität wieder Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Wenn die Manager von Facebook merken, dass sie für nicht-gelöschte Postings in Form von Geld- oder Freiheitsstrafen persönlich verantwortlich gemacht werden, dann werden sie das Thema anders angehen. Facebook hat ja schon ein bisschen reagiert. Wir müssen Facebook nur noch bis zum Ziel führen.
Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer und neuer Präsident des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger hatte in seiner Antrittsrede gesagt, man sollte lieber die Urheber der Hasskommentare zur Verantwortung ziehen und nicht Facebook. Was halten Sie davon?
Jun: Nichts. Das machen wir ja längst. Dann wird hier mal einer zu 300 Euro Strafe verurteilt und mal dort einer. Das dauert ewig, bringt wenig. Noch dazu dauert es viel zu lange, bis die Äußerungen nach dem Urteil aus dem Netz müssen. Bis dahin haben sie sich längst weiterverbreitet. Aufrufe zum Völkermord, Hasskommentare und Fotos von Enthaupteten müssen sofort gelöscht werden, und zwar von Facebook.