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HOCKENHEIM
Warum die Böhsen Onkelz so gut ankommen
Konzert auf dem Hockenheimring       -  Die Böhsen Onkelz polarisieren noch immer - und locken die Massen an.
Foto: Daniel Naupold (dpa) | Die Böhsen Onkelz polarisieren noch immer - und locken die Massen an.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 13.02.2019 11:08 Uhr

Gehasst, verdammt, vergöttert.“ Besser als mit diesen drei Worten lassen sich die Böhsen Onkelz kaum wahrnehmen. Singen's die vier Deutschrocker seit 1992 im gleichnamigen Gassenhauer ja schließlich über sich selbst. Lieben oder hassen – dazwischen gibt's nicht einen Millimeter Spielraum. Kaum eine Band polarisiert so sehr. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Und die Musiker suhlen sich mit Wonne im schwarz-weiß-gefärbten Meer der Fans.

Es gleicht religiösem Fanatismus, wenn die Onkelz rufen und die Jünger folgen. Wie vor einem Jahr bei den beiden minutenschnell ausverkauften Comeback-Konzerten am Hockenheimring, neun Jahre nach der 2005 mit einem gigantischen Open Air am Lausitzring zelebrierten Auflösung der Gruppe. Oder jetzt Ende Juni: gleich vier Konzerte an zwei Wochenenden in Folge am Hockenheimring – viermal 100 000 Fans. War die Bühne 2014 noch Europas größte, so ist sie 2015 sogar weltweit unerreicht: 37 Meter hoch, 48 Meter tief, 102 Meter breit – ein unglaubliches Teil. Gigantomanie. Normal ist das nicht.

Doch was ist an diesen vier Männern, die 1979 im unterfränkischen Hösbach zueinander gefunden haben, schon normal? Da gab's Rechtslastiges („Türken raus!“) zu Anfang – obwohl man ja nur eine Oi-Punkband der unpolitischen Frankfurter Skinhead-Szene sein wollte. Mitte der Achtziger schon der Gesinnungswandel, die durchaus glaubhafte Distanzierung von den Jugendsünden. Dann rasch der Wechsel zur großen Plattenfirma – obwohl die permanente rebellische Provokation alles zuließ, nur nicht den Pakt mit dem Establishment.

Der ABC-Schützen-Rumpelrock war inzwischen ernsthaftem Hardrock gewichen. Es folgten Nummer-1-Alben am Fließband – trotz des mit märtyrerhafter Hingabe zelebrierten Medienboykotts. Die aufmüpfige Hessen-Band stapfte trotz überschaubarer Handwerkskunst mit Riesenschritten Richtung Erfolg – ohne sich überhaupt erst die Mühe zu machen, Fettnäpfchen zu umkurven.

Wozu auch? Schnell lernte vor allem Bassist, Komponist und Bandkopf Stephan Weidner, wie das Geschäft läuft. Wie sich sehr viel Geld verdienen lässt mit einer treuen Fangemeinde, die vom x-ten Shirt bis zum Klebelogo für die getönte Opel-Heckscheibe wirklich alles zu kaufen scheint, wo B und O drauf steht.

„Die Böhsen Onkelz haben sich ihr Image perfekt konstruiert. Sie haben kapiert, wie es funktioniert“, sagt Dietmar Elflein. Der in Coburg geborene und an der TU Braunschweig dozierende Musiksoziologe beschäftigt sich unter anderem mit harter Rockmusik und deren Fans. Weiß, dass diese Verbindung bei den Onkelz über landläufige Verwehrung weit hinaus geht. „Das ist als eine Gemeinschaft der Ausgestoßenen zu verstehen“, spielt der 51-Jährige darauf an, dass sich die Bandmitglieder bezüglich der schwarzen Flecken in ihrer persönlichen Vita gerne als die ewig Missverstandenen sehen. Als Menschen mit Fehlern, einfach und authentisch.

„Die Böhsen Onkelz haben als erste Band die Working-Class-Attitüde nach Deutschland gebracht, wo es diese Klasse eigentlich gar nicht so gibt wie beispielsweise in England. Einer wie Westernhagen hat nur Arbeiterklasse gespielt. Die Onkelz aber sind Rock 'n' Roll wie Motörhead oder Rose Tattoo.“ Ein bisschen prollig eben.

Nur Kopfschütteln hat Jürgen Lohmeyer, der Weltanschauungsbeauftragte der Diözese Würzburg, dafür übrig. „Das ist ein regelrechtes Glaubensbekenntnis“, sagt der promovierte Theologe. „Auf der oberflächlichen Ebene bestehen eindeutig Analogien zur Religion. Der Glaube war gemeinschaftsbildend, die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ein mehr oder weniger geschlossener Zirkel, eine feste Burg. Das ließ sich natürlich so nicht mehr aufrecht erhalten. Heute sind die Menschen nicht mehr so verwurzelt in der Religion. Doch haben sie damit auch eine sie tragende Gemeinschaft verloren.“

Befreit vom Joch einer aufgezwungenen Glaubensgemeinschaft, so mutmaßt der 52-jährige Würzburger Theologe, würden junge Menschen einerseits ihre Individualität zelebrieren, um letztlich im Folgen von Trends genau das nicht zu sein: „Sie stürzen sich von einer Autorität in die nächste. Der Unterschied ist nur, dass diese frei gewählt ist.“ Die Onkelz selbst hüten sich fürwahr davor, ihren Fans ins Gewissen zu reden. Sie geben sich weltoffen und tolerant, geben in ihren Liedern vor, die Seele auszubreiten, um dann doch keinen Zentimeter Privatleben preiszugeben.

Sie vertonen einfach nur mit Inbrunst ihre Außenseiterrolle: Keiner mag uns, scheißegal. Den Fans gefällt's.

Der gemeinsame Nenner zwischen diesen und den Stars ist trotzdem ein großer. Das Zauberwort heißt Familie. „Bis zu ihrer Auflösung 2005 hat die Band das Bild einer Familie mit Weidner als Patriarch perfektioniert“, so Elflein. Stephan Weidner ist zweifellos Mastermind des Quartetts. Eine charismatische Erscheinung mit wallender Mähne, ein moderner Rattenfänger. Seine Flöte ist das geschickte Spiel mit intelligent klingenden Versatzstücken. Er redet gerne und viel, auch zwischen den einzelnen Songs bei Konzerten. Aber er komponiert und textet auch gewieft. Die Liste der Ohrwürmer scheint unendlich. Kaum eine Fete, auf der nicht irgendwann „Mexiko“, „Auf gute Freunde“, „Onkelz wie wir“, „Wir ham noch lange nicht genug“ oder „Heilige Lieder“ läuft – mitgrölen ist halt so schön zu später Stunde.

Weidner, der solo als „Der W“ trotz profunden Hardrocks internationaler Qualität eher in kleinen Sälen zu Hause ist, hat begriffen, wie Kapital zu schlagen ist aus der eigenen Vergangenheit. Das rechtsextreme Material war öffentlich kaum zugänglich, schlug dennoch in den 80ern hohe Wellen. Also beließ es der Onkelz-Bassist nicht bei deutlicher Reue, er wiederholte wie gebetsmühlenartig.

So permanent, dass er mit seinen Mitstreitern als von der Gesellschaft unverstanden dastand – Ausgeschlossene. Und damit trafen und treffen die vier punktgenau den Nerv einer großen Gemeinde. Verbunden mit der bis heute nicht wirklich dementierten Hooligan-Attitüde ist das ein ideales, testosterongefülltes Auffangbecken für in erster Linie Männer, oft mit wenig Glück in Leben und Liebe.

Andererseits steckt trotz des kalkulierten Images noch jede Menge Authentizität dahinter. Die Musik ist ehrlicher Rock. Schlicht, aber eingängig. Es gibt sogar schöne Melodien mit dem richtigen Gespür für ein klein wenig Aggressivität. Und auch ordentliche Texte wie im klar antifaschistisch positionierten „Deutschland im Herbst“ oder im progressiven „Regen“, das sich bildgewaltig mit der Ausbeutung der Natur durch den Menschen beschäftigt.

Überwiegend freilich beschäftigen sich die Böhsen Onkelz lyrisch mit sich selbst. Wie 1996 in „Danket dem Herrn“: „Mit dieser Band hast Du nicht viele Freunde, doch die, die Du hast, teilen Deine Träume. Die, die Du hast, teilen alles mit Dir.“ Eine Familie eben.

Eine Familie, in der jeder Fan einen zum lieb haben hat. Matthias „Gonzo“ Röhr spricht mit seinem in der Tat recht filigranen Gitarrenspiel den musikalisch ambitionierteren Zuhörer an, Drummer Peter Schorowsky ist der zurückgezogene Kuscheltyp. Weidner als Patriarch bedient das Bildungsklientel wie die wenigen Damen.

Die kleinen Rebellen freilich haben ihr Schwarzes Schaf, und was für eines: Sänger Kevin Russell, die „Stimme aus der Gosse“, der am Silvesterabend 2009 im Drogenrausch einen Autounfall verursacht, zwei Menschen schwer verletzt, Fahrerflucht begangen und dafür über zwei Jahren Haftstrafe bekommen hat. Dieser vor Kraft strotzende Hüne, der so herrlich rotzig grölt. Dessen Drogensucht aber auch 2005 nicht länger für die Band und ihren Habitus tragbar war. „Jeder hat eine genau definierte Rolle. Die Band hat sich genau zum richtigen Zeitpunkt aufgelöst, ohne sich zu beschädigen.

Der Familienbetrieb ging nicht mehr, weil Kevin Russell nicht mehr aufzufangen war“, sagt Elflein. Das Familienbild mit den vier Stereotypen sei aber kaum von Anfang an so geplant gewesen, vielmehr hätten sich bestimmte Faktoren so ergeben und seien dann nur kultiviert worden.

Wie der „vermutlich bestvermarktete Medienboykott“, nachdem das Gros deutscher Journalisten den Musikern ihren politischen Gesinnungswandel partout nicht abnehmen wollte. Gigs auf Anti-Rechts-Festivals überzeugten Kritiker ebenso wenig wie die Absolution durch „Emma“ Alice Schwarzer, durch Tote-Hosen-Sänger Campino, oder dessen Kollege Michael Rhein („Ich komme aus der alten linken DDR-Szene, und würde mich nicht mit Rechtsgesinnten auf eine Bühne stellen“) von In Extremo, die als Vorgruppe am Hockenheimring dabei waren.

Da aber kaum eine der im Untergrund agierenden echten Rechtsrock-Bands greifbar war, ließen sich die schon im ersten Karriere-Drittel deutlich öffentlicheren Böhsen Onkelz trefflich ausschlachten für quotenträchtige Fernsehdebatten. Und Weidner spielte als Talkgast clever auf der gereichten Klaviatur: Wenn ihr uns ausschließt, schließen wir euch aus.

Applaus, Applaus bei den Fans: Dann schließen wir auch alle aus, die unsere Lieblinge ausschließen. Und schon sind sie „Teil der Erzählung“, wie Elflein das nennt.

Was die schnelle und reumütige politische Umorientierung betrifft, hält der Musiksoziologe den Onkelz die Stange: „Ich finde sie ehrlicher als Rammstein, die auch mit gefährlichen Begriffen spielen und einfach sagen, das sei Kunst. Was sollen die Onkelz denn anders machen, als offen mit ihrer Vergangenheit umzugehen und sich davon zu distanzieren?“

Auch wenn sie es gar nicht mehr nötig hätten: Keine zweifelhaften Shirts mehr im Publikum, der rechte Arm wird wie der linke auch nur noch zum Jubeln gehoben. Und Weidner muss nicht mehr von der Bühne springen, um eigenhändig einen Nazi aus dem Saal zu scheuchen. Dort steht längst ein kunterbunter Querschnitt durch alle Facetten unserer Gesellschaft.

Deutlich weniger glaubhaft sei das Ganze im Detail beispielsweise bei der Südtiroler Deutschrock-Combo Frei.Wild – ohne dass Elflein sie in die rechte Ecke stellen will. Musikalisch trotz harter Gitarren deutlich zum volkstümlichen Schlager-Pop tendierend, erkennt er dort aber „eine komische Allianz von Alt- und Neu-Patriotismus. Diese Band treibt sich ganz gerne in der Grauzone herum.“ Frei.Wild würden versuchen, die Onkelz-Geschichte nachzuerzählen. Während das Original mit der Hockenheim-Gigantomanie ein Jahr nach dem Comeback vor der Weggablung stehe: Weiterhin die Retro-Gelüste der alten Anhängerschaft bedienen, oder gemeinsam mit den Jungen einen gänzlich neuen Weg beschreiten?

Trotz des für 2016 angekündigten, allein der Neugier wegen reißenden Absatz findenden 18. Studio-Albums samt Tournee deutet nicht wenig auf die bequeme Variante hin. 2014 hatten Weidner und Co. noch Experimente mit orchestraler Begleitung und Ben Becker als Vorredner gewagt – 2015 gab's ein Hit-Feuerwerk, ein pyrotechnisches obendrein sowie eine gleißend helle Lichtshow auf diesem irre großen Stahlmonster. Beißt sich das nicht mit der Working-Class-Attitüde? Musiksoziologe Dietmar Elflein sagt nein: „Das ist eine einfache Denke: Wenn die Leute Geld bezahlen, sollen sie auch was dafür bekommen.

Wenn wir feiern, dann feiern wir richtig.“ Der Kosmos der Böhsen Onkelz ist ein einfacher – aber er funktioniert.

 
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