Die Nerven legen mit „Wir waren hier” ihr sechstes Album vor. Der Titel klingt nach Abschied, doch daran denken die in Berlin und Stuttgart lebenden Musiker Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn noch lange nicht. „Jetzt geht es erst los”, sagt Schlagzeuger Kuhn. „Seit dem letzten Album wissen wir erst so richtig, was wir tun – zumindest in einem Studio-Setting.”
Vor 14 Jahren in Esslingen gegründet, gilt die Gruppe schon länger als Liebling der Kritik, sie geht mit knapp 30.000 monatlichen Hörern auf Spotify aber fast noch als Geheimtipp durch. Das Trio feierte mit seinen letzten zwei Veröffentlichungen Chart-Erfolge (Platz 13 und 17) und verhalf der deutschen Rockmusik mit genialem Krach und sanften Melodien zu neuer Relevanz. Wie man es von der Band gewohnt ist, gibt es auch auf „Wir waren hier” stürmende Gitarren, mauligen Gesang und scheppernde Drums.
Eistee Pfirsich am Stuttgarter Schlossgarten
Die Lyrics laden zum Nachdenken, Stirnrunzeln und Bewundern ein. Im Titelstück des Albums heißt es „wir haben uns verewigt in den Rissen der Welt” und „nach uns kommt die Sintflut, wir fressen vorher alles auf”. Es geht um das, was bleibt, wenn die Menschheit verschwunden ist. Ein Symbol dafür ist ein großer Würfel aus Plastikmüll, der auf dem Cover in Szene gesetzt wird, erklärt Rieger (Gesang und Gitarre). „Denn ich glaube, diesen Würfel wird es noch länger geben als uns.”
Angesichts dieser Dystopie würde man wohl kaum erwarten, dass die neue Platte in einem früheren Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten geschrieben wurde. Nachdem die vorherigen Alben in Berlin oder unterwegs entstanden sind, wollte man nun, nach zehn Jahren, mal wieder in der Heimat arbeiten. „Das war tatsächlich traumhaft schön”, sagt Rieger. In einer vierwöchigen Session schrieben sie zehn Songs – mit Blick auf die Oper und „unter enormem Einfluss von Eistee Pfirsich”.
„Das lockerste Album, das wir jemals gemacht haben”
Die Texte sind den Musikern leicht von der Hand gegangen, erzählt Knoth (Gesang und Bass). „Vom Entstehungsprozess her ist es das lockerste Album, das wir jemals gemacht haben.” Einige Lieder spielten Die Nerven bereits auf ihrer Tour im vergangenen Herbst, noch vor der Aufnahme. Die Idee war es, ins Studio zu gehen und die Songs runterspielen zu können. „Das hat gut funktioniert.”
Der Lieblingssong des Trios: „Das Glas zerbricht und ich gleich mit”. Auf den freue sich Kuhn bei Konzerten jedes Mal. „Einer der besten Songs, die wir je geschrieben haben, auch vom Spaßfaktor”, sagt Knoth. Auch beim Hören eine große Freude: „Wir nehmen die letzten Stunden fette Jahre gerne mit”, singt Rieger. Ein Video zeigt, wie das Stück entstanden ist.
Auf die nächsten 40 Jahre
Die Jungs aus Stuttgart haben sich auf „Wir waren hier” frei gespielt. „Bei den letzten Alben waren wir manchmal verkrampft, weil wir alles richtig machen wollten”, erinnert sich Knoth. „Jetzt wollten wir Momente zulassen, die sich wirklich nach Zusammenspiel anfühlen”, fügt Rieger hinzu. Herausgekommen ist eine dynamische Platte (mal rauer, mal softer), die die Wut von Punk und die Wucht guter Rockmusik in sich vereint.
Vor kurzem sei Rudolf Schenker (76), Sänger und Gitarrist der Scorpions, an Kuhn vorbeigelaufen. „Der sah noch sehr agil und rüstig aus”, scherzt Kuhn. „Ich hätte nichts dagegen, wenn wir auch in 40 Jahren noch Musik machen.” Die Nerven würden bei ihren energiegeladenen Shows dann wohl eher im Sitzen auftreten. Doch wünschenswert wäre es, dass es das Trio auch dann noch gibt.
Wer keine 40 Jahre warten möchte: Im November gehen Die Nerven auf Tour durch zwölf Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz.