In der Wohnungstür klafft ein riesiges Loch. Sie ist eingeschlagen seit einem Gewaltausbruch des Vaters. Das Loch bleibt über viele Wochen und Monate in der Tür. Ein Symbol dafür, dass Familie kein geschützter Raum für den zehnjährigen Christian (Camille Loup Moltzen) ist, der hier mit seinen zwei Geschwistern und den Eltern in tiefer Armut lebt.
Das Geld reicht nie
Christian wächst in den 1990er Jahren im rheinland-pfälzischen Kaiserslautern auf. Gewalt, Hunger und Ausgrenzung kapseln die fünfköpfige Gruppe nach außen ab. Später wird er als erster Mensch in seiner Familie Abitur machen, Schriftsteller werden und alles aufschreiben.
Aber davon ist er 1994 weit entfernt. Als die Familie aus Stolz jede Lebensmittel-Spende ablehnt, isst er den Schimmel von der Wand. Die Bestsellerroman-Verfilmung „Ein Mann seiner Klasse” (2. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste) zeigt, wie es ist, im Schatten zu leben.
Die Behörden? Keine Hilfe
Familienvater Ottes (Leonard Kunz) bringt als Möbelpacker kaum genug Geld zum Überleben nach Hause und hat ein Alkoholproblem. Regelmäßig verprügelt er Mutter Mira (Mercedes Müller) - einmal so heftig, dass sie ein ungeborenes Kind verliert. Die Hausfrau droht ihm immer wieder, sie werde ihn verlassen - und schafft es dann doch nicht. Schließlich verliert sie den Kampf gegen den Krebs, bei dem ihr Mann ihr offensichtlich nie eine Unterstützung war.
Eines Tages bekommt Christian von seiner Grundschule die Empfehlung ans Gymnasium. Der Vater, selbst aus einer Arbeiterfamilie, ist strikt dagegen. Auch Christian fürchtet das fremde Milieu. Er hängt am Vater, der sich an besseren Tagen gern als Vorzeige-Papa aufspielt. Er begleitet ihn in die Kneipe, trotz aller üblen Vorkommnisse, die waren und weiter passieren.
Glück in einer verwüsteten Familienlandschaft
Die städtischen Behörden legen Christian ebenfalls Steine in den Weg. Erst als die Schwester der Mutter, Juli (Svenja Jung), Vormund für die Kinder wird, kommen die Dinge in Bewegung. Die Tante lässt sich nicht von arroganten Schulrektoren abspeisen, sie kämpft für ihren aufgeweckten Neffen, der sich eigentlich längst mit der Hauptschule abgefunden hat.
Christian Baron, der heute als Autor in Berlin lebt, spricht in einem ARD-Interview von einer „menschlich-allzumenschlichen Ambivalenz”, die er in dem autobiografischen Roman habe zeigen wollen.
„Meine Kindheit war geprägt von Armut und Gewalt, aber es war keine unglückliche Kindheit. Es gab Oasen des Glücks in dieser verwüsteten Familienlandschaft.” Auch der Vater sei weder Bösewicht noch Held, sondern irgendetwas dazwischen. Vielleicht sei es das, was seine literarisierte Geschichte fürs Verfilmen interessant mache. Er betont: „Hier handelt es sich ja nicht um einen Stoff, den ich mir mal eben ausgedacht habe.”