In Deutschland ist sie noch populärer als in ihrer Heimat Großbritannien. Erst kurz vor dem Rentenalter wurde Rosamunde Pilcher zur internationalen Bestseller-Autorin. Heute steht ihr Name für ein eigenes Genre im deutschen Fernsehen - für etwas kitschige Liebesgeschichten, Wohlfühlunterhaltung und ein märchenhaftes Bild von Großbritannien fernab der Realität. Am 22. September wäre Rosamunde Pilcher 100 Jahre alt geworden.
Der kommerzielle Durchbruch gelang ihr 1987 mit der Familiensaga „Die Muschelsucher” („The Shell Seekers”). Der 800 Seiten starke Wälzer wurde zum Besteller - nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den USA und in Deutschland, wo er erst 1990 erschien. Bis heute wurde der Roman in mehr als 40 Sprachen übersetzt.
Nach 45 Jahren über Nacht berühmt
Als sie berühmt wurde, war Pilcher bereits über 60 Jahre alt. „Ich wurde über Nacht erfolgreich, ich habe allerdings 45 Jahre dafür gebraucht”, scherzte sie später in der BBC-Talkshow „Wogan”. Geschrieben hatte sie schon seit ihrer Kindheit. Wenn sie nicht schreibe, fehle ihr etwas. „Das ist einfach ein Teil von mir.” Sie war 18, als erstmals eine ihrer Kurzgeschichten in einer Zeitschrift publiziert wurde.
Mit dem Erfolg der „Muschelsucher” stieg das öffentliche Interesse an ihren älteren Werken. Rund 30 Bücher, darunter ein Dutzend Kurzgeschichtensammlungen, veröffentlichte Rosamunde Pilcher zeitlebens. Ihr letztes Werk, „Wintersonne” („Winter Solstice”), brachte sie im Jahr 2000 heraus. Danach zog sie sich vom Schreiben zurück und genoss ihren Ruhestand. 2019 starb sie nach einem Schlaganfall.
Im Kern ging es in ihren Geschichten stets um dieselben Themen: Familie, Liebe und Beziehungen - Happy End garantiert. Oft spielte die Handlung in Pilchers Heimat Cornwall. Ihre Bücher und die späteren Verfilmungen machten die strukturschwache Region vor allem für Deutsche zum begehrten Reiseziel. Dafür bedankte sich 2016 der heutige König Charles, der damals noch Prinz war und den Titel Herzog von Cornwall trug, bei Pilcher. Seine Frau, die heutige Königin Camilla, gab sich dabei als Fan zu erkennen.
Vom Bestseller zum Quotenhit
Dass viele Menschen Rosamunde Pilcher heute eher mit Fernsehen als mit Literatur in Verbindung bringen, liegt maßgeblich an Michael Smeaton. Der deutsch-britische TV-Produzent wurde Anfang der 1990er Jahre durch eine Praktikantin, die „Die Muschelsucher” gelesen hatte, auf Pilcher aufmerksam. Mit Kollegen besuchte er die Autorin in ihrer Wahlheimat im schottischen Dundee. Beim Tee schlugen sie ihr eine TV-Verfilmung vor.
Bereits 1989 war „Die Muschelsucher” mit Angela Lansbury („Mord ist ihr Hobby”) in der Hauptrolle fürs Fernsehen verfilmt worden. „Und diesen Film mochte die Frau Pilcher gar nicht”, erinnerte sich Smeaton im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London. „Wir wussten aber gar nicht, dass es den Film überhaupt gab und sie den nicht mochte.” Trotzdem sei Pilcher für eine erneute Verfilmung ihrer Geschichten - nun fürs deutsche Fernsehen - offen gewesen. „Sie war ganz erfreut.”
„Stürmische Begegnung” wurde am 30. Oktober 1993 im ZDF ausgestrahlt, wurde ein Quotenhit und war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Zehn weitere Filme beauftragte das ZDF zunächst. Dass Rosamunde Pilcher 30 Jahre später immer noch läuft, hatte Smeaton jedoch nicht erwartet. „Wir hatten vielleicht auf dem Schirm, dass wir diese zehn weiteren Filme machen”, sagte er. „Aber nicht, dass es dann 150 werden.” Umgangssprachlich ist heute scherzhaft vom „Pilchern” die Rede, wenn man am Sonntagabend zuschaut.
Schöne Menschen und schöne Landschaften
Die Filme sind berühmt für ihre herrlichen Landschaftsaufnahmen, die bevorzugt in Cornwall gefilmt werden - nach Möglichkeit bei strahlendem Sonnenschein. Mit den Stränden, Klippen und weitläufigen Grünflächen bietet die Gegend die ideale Kulisse für die Romanzen. „Schöne Menschen und schöne Landschaften in einer rundum funktionierenden Liebesgeschichte”, so beschrieb Herstellungsleiterin Beate Balser das Konzept vor Jahren im dpa-Interview.
Während die ersten Filme noch nah an den Romanvorlagen blieben, boten später Pilchers Kurzgeschichten Inspiration. Die Autorin las laut Smeaton anfangs noch die Drehbücher. Schließlich habe sie den deutschen Machern vertraut. Sie vermachte ihnen sogar ihr „schwarzes Büchlein”, in dem sie über Jahrzehnte akribisch Ideen und Titel festgehalten hatte.
„Wir mussten ihr versprechen damals, dass das ein Schatz ist und den dürfen wir niemals irgendwie weiterreichen”, erzählte der Produzent. Die Geschichten des „Büchleins” sind längst erschöpft. „Die finden wir nun eher bei ihren Kindern”, so Smeaton, der mit Pilcher bis zu ihrem Tod befreundet war und engen Kontakt zu ihrer Familie pflegt. „Die haben das Haus aufgeräumt und haben noch neue alte Geschichten gefunden.”
Auf das „Pilcher-Gen” kommt es an
Mittlerweile werden alte Mini-Kurzgeschichten zu größeren TV-Geschichten aufgemotzt, die dem Stil der britischen Autorin gerecht werden müssen. „Das Pilcher-Publikum hat ein ganz feines Gespür dafür, ob das Pilcher ist oder nicht”, so Smeaton, der schmunzelnd vom „Pilcher-Gen” spricht, das die Autorinnen und Autoren neuer Erzählungen haben müssten. „Die wissen, was sie schreiben dürfen und was sie nicht schreiben dürfen.” Sex, Nacktheit und Gewalt sind tabu - ein Happy End hingegen Pflicht.
Allerdings müssten die Filme durchaus mit der Zeit gehen. Deshalb gab es zum Beispiel schon Liebesgeschichten mit homosexuellen Paaren. „Das ist etwas, was Frau Pilcher jederzeit auch geschrieben hätte”, da ist sich Smeaton sicher. „Sie war eine sehr progressive, moderne Frau. Obwohl sie so alt war, war sie sehr modern.” Das habe auch an ihrer Familie gelegen. Pilcher hatte vier Kinder, mehrere Enkel und Urenkel.