Was haben Karl May, Lex Barker und Tito gemeinsam? Der Schriftsteller, der Schauspieler und der frühere jugoslawische Staatspräsident - und noch sehr viel mehr Persönlichkeiten - bevölkern Clemens Meyers neuen Roman „Die Projektoren” (Erscheinungstermin: 28.8.).
Auf rund 1000 Seiten nimmt der Leipziger Autor die Leserinnen und Leser mit in die deutsche und europäische - speziell jugoslawische - Vergangenheit und Gegenwart. Das ambitionierte Werk steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Von Balkanfeldzug bis Neonazis
In seinem ersten Roman seit mehr als zehn Jahren fährt Meyer (47) ordentlich auf. Die wilde Reise beginnt in der Irren-, Heil- und Pflege-Anstalt des Dr. Güntz in Leipzig-Thonberg, die es einst wirklich gegeben hat und die Meyer weiter existierten lässt.
Sie führt zum Balkanfeldzug der Deutschen Wehrmacht, an die Drehorte deutscher Western im kroatischen Velebit-Gebirge und zu den jugoslawischen Zerfallskriegen in den 1990er Jahren. Schließlich mischt auch noch eine Gruppe Neonazis aus Dortmund mit.
Was klingt, als könne es niemals zwischen zwei Buchdeckel passen, bewältigt Meyer in Form einer Montage. Er sammelt Geschichten ein, schiebt Zeitebenen vor und zurück und stapelt scheinbar unabhängige Episoden übereinander, solange, bis sich ein Bild des Großen und Ganzen zusammenfügt. Bei den Leserinnen und Lesern ist dafür Geduld gefragt - auf dieses Buch muss man sich einlassen.
Autor: Roman ist eine Herausforderung
Meyer selbst nennt seinen Roman eine Herausforderung. Es sei ein gewaltiger Stoff, den er keinesfalls auf 500 Seiten und von A bis Z chronologisch hätte erzählen können. „Das geht auch nur mit einem Montageroman”, sagt er. Der Autor nennt Faulkner, Joyce oder Döblin als Vorbilder.
Bekannt geworden ist Clemens Meyer 2006 mit seinem autobiografisch geprägten Debütroman „Als wir träumten”. Darin geht es um eine Gruppe junger Männer, die zwischen 1985 und 1995 in Leipzig eine Jugend zwischen Gewalt, Drogen und Vandalismus erleben. Auch der neue Roman spielt in Teilen in der Stadt, in der Meyer schon immer zu Hause ist. „Es hat sich nie ergeben, es gab nie einen Grund, Leipzig zu verlassen”, sagt der 47-Jährige.
Ausgangspunkt im kroatischen Gebirge
Doch wer jetzt denkt, dass vielleicht der Güntz-Park in Leipzig, wo sich einst die im Buch thematisierte Irrenanstalt befunden hat, der Ausgangspunkt für „Die Projektoren” war, der irrt. Auch die Abenteuerromane von Karl May, die Meyer als Junge nach eigener Aussage alle gelesen hat, waren es nicht.
Es sei eine Fahrt nach Kroatien im Jahr 2008 gewesen, erzählt der Schriftsteller. Ein Kriegsberichterstatter habe ihm damals erzählt, dass die Drehorte der deutschen Winnetou-Filme mit Lex Barker als Old Shatterhand im Velebit-Gebirge später Austragungsort von Kämpfen in den Balkankriegen wurden. „Da war ich sofort angefixt”, sagt Meyer.
„Die Projektoren” werfen Schlaglichter auf die Krisen und Tragödien Europas. Es ist herauszulesen, wie viel akribische Recherche in das Buch geflossen ist. Zugleich lässt der Autor seiner Fantasie und seiner Lust am Erzählen viel Raum. Herausgekommen ist ein Werk, das sich nicht mal eben so weg liest.
Clemens Meyer steht selbstbewusst dazu. Früher, sagt er, habe man sich Romanen noch viel mehr einfach ausgesetzt. „Da war es normal, sich an Literatur abzuarbeiten.” Das können die Leserinnen und Leser in seinem Textgebirge auch.