Rund um Berlin ist in den vergangenen Jahrzehnten eine Welt entstanden, die man der „Arm, aber sexy”-Hauptstadt gar nicht zutraut. Schmucke Einfamilienhäuser, zu „Townhauses” upgegradete Reihenhaussiedlungen, sogenannte bessere Schulen. Genährt vom Zuzug aus den überlaufenen Szenevierteln der Stadtmitte.
Es ist zwar nicht Bullerbü, aber eine mit dem Elektro-SUV erreichbare Neuinterpretation. Berlin ist hier vor allem eine Erinnerung, betrachtet durch bodentiefe Fenster. Das Motto über dem längst modernisierten Stadttor müsste lauten: Wir haben uns arrangiert.
Doch eines Tages fließt das Gift des Misstrauens in die Vorstadtidylle. „Der Honigmann”, der dem neuen Roman von Peter Huth seinen Titel gibt, eröffnet ein Geschäft für Honig und Nippes für gehobene Ansprüche in der Dorfmitte. Zur Schule sind es nur ein paar hundert Meter. Bald schon sind viele Schülerinnen und vor allem Schüler genauso Stammgäste des Geschäfts wie ihre Mütter, wenn sie mit den Elterntaxis zum Abholen des Nachwuchses anrollen.
Bissiger Roman, hervorragend beobachtet
„Der Honigmann” hat immer ein gutes Wort und ein offenes Ohr, eine Leckerei. Doch was passiert im Hinterzimmer des Geschäfts? Schließlich recherchiert eine der Protagonistinnen des Romans im Internet und findet heraus, dass der Honigmann nicht so harmlos-freundlich ist, wie er tut, sondern ein wegen vielfachen Kindesmissbrauchs verurteilter früherer Sporttrainer.
Der Rest ist ein bissiger, hervorragend beobachteter und kurzweilig geschriebener Roman über das Gesellschaftsphänomen Speckgürtel. WhatsApp-Chats eskalieren. Demonstrationen werden geplant, die Wut auf den Triebtäter in der Nachbarschaft ist Ventil für allerlei, was sonst nicht so läuft in den Hochglanzleben der geschilderten Familien. Eines Tages ist der Honigmann verschwunden, sein Geschäft in Flammen aufgegangen.
Peter Huth, früherer Chefredakteur der „Welt am Sonntag”, seziert gleichsam journalistisch die großen und kleinen Lügen. Sein Buch wirkt auch so authentisch, um ein Lieblingswort dieser Vorstädter aufzunehmen, weil die Geschichte sich so oder so ähnlich 2023 in Berlin-Wannsee zugetragen hat. Der in 150 Fällen vorbestrafte Sexualstraftäter servierte in seinem Laden Kakao und Tee und kam nach seiner Entlarvung in Haft. Verdacht: erneuter Missbrauch eines Elfjährigen.