zurück
Verhütung
Ist die Pille wirklich so schlecht wie ihr Ruf?
Seit Jahren nehmen immer weniger Frauen die Pille, in sozialen Medien bestärken sie sich gegenseitig zum Absetzen. Die Pille ist out. Doch wie berechtigt ist ihr schlechter Ruf?
Sina Nachtrub
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:43 Uhr

Julia schaut in die Kamera und erzählt: „Was natürlich erstmal ziemlich zügig nach dem Absetzen der Pille passiert ist, war, dass jegliche Nebenwirkungen, die ich hatte, einfach verschwunden sind.“ Die Reizbarkeit, die extra Kilos, die sich im Laufe der Einnahme angesammelt hatten und sogar das Augenzucken seien plötzlich weg gewesen. In den sozialen Medien ist Julia besser bekannt als xLaeta, über eine Million Menschen folgen ihr. Auf Instagram und YouTube gibt es viele Influencerinnen wie Julia, die über das Absetzen der Pille sprechen. In Videos mit Titeln wie „Nie wieder die Pille“ erzählen sie von ihren Erfahrungen und sind dabei Inspiration für Tausende Mädchen.

Immer weniger junge Frauen wollen die Pille nehmen, nach vielen Jahren ist das Kondom nun wieder Spitzenreiter unter den Verhütungsmitteln. Junge Menschen sehen das Medikament deutlich kritischer als noch vor einigen Jahren. Im Internet können sie sich viel intensiver informieren als zuvor, doch das kann zum Problem werden – denn auch Mythen kursieren auf sozialen Medien und das Vertrauen in Frauenärztinnen und -ärzte und die Verhütungsmittel leidet. Wie berechtigt ist der schlechte Ruf der Pille eigentlich?

Das Kondom hat die Pille als beliebtestes Verhütungsmittel abgelöst

Zunächst die Zahlen: 53 Prozent der Befragten zwischen 18 und 49 Jahren einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) gaben an, Kondome zur Verhütung zur nutzen, 38 Prozent die Pille. Vor zehn Jahren war die Verteilung noch nahezu umgekehrt. Dieser Rückgang ist laut BzgA besonders auf die kritischere Haltung junger Frauen gegenüber der Pille zurückzuführen. Besonders die Verträglichkeit und gesundheitliche Risiken würden inzwischen häufiger hinterfragt.

Cornelia Baur ist Ärztin bei Pro Familia München und berät täglich viele Frauen zu Verhütungsfragen oder zur Familienplanung. Sie steht der Pille nicht grundsätzlich negativ gegenüber, doch sie findet es begrüßenswert, dass sich junge Frauen mehr mit ihren Körpern und auch den verschiedenen Möglichkeiten zur Verhütung beschäftigen, um für sich persönlich die richtige Wahl zu treffen. Das könne auch nach wie vor die Pille sein.

Frauenärztin kritisiert die modernsten Pillen der 3. und 4. Generation

Eine bestimmte Art der Pille bezeichnet die Ärztin jedoch als "eher zweite Wahl": die modernsten Pillen der sogenannten dritten oder vierten Generation. Diese Pillen enthalten entwässernde Wirkstoffe wie das Gestagen Drospirenon, das unter anderem den Eisprung verhindert. Sie werden teils gegen Akne oder Gewichtszunahme empfohlen, die Gefahr für eine Thrombose steigt aber stärker als bei anderen Pillen. Auch Frauenärztin Patricia G. Oppelt stimmt der Kritik zu, sieht aber auch Gründe für die Verwendung solcher Pillen: Gerade Patientinnen mit Endometriose oder starker Akne können sie nach Abwägung des Risikos helfen.

Patricia G. Oppelt ist stellvertretende Oberärztin der Frauenklinik des Uniklinikums Erlangen, forscht seit 20 Jahren zum Thema Verhütung und kennt die Beratungssituation seit 14 Jahren aus ihrer eigenen Praxis. Sie bestätigt, dass sich Frauen mehr zum Thema Verhütung informieren und auch bei der Beratung öfter nach Alternativen zur Pille fragen. Viele Frauen seien aber nicht nur mit den Auswirkungen der Pille unzufrieden, sondern würden auch das Verhalten von Frauenärztinnen und -ärzten kritisieren, die die Pille zu leichtfertig verschreiben und keine Alternativen aufzeigen würden. Die Expertin empfiehlt anderen Frauenärztinnen und -ärzten, mehr über sichere Alternativen zur Pille aufzuklären und genau darauf zu achten, was Frauen in ihrer individuellen Situation brauchen. Die Pille werde meist immer noch als erstes Verhütungsmittel verschrieben, da sie am bekanntesten ist.

Zudem beklagen viele Gynäkologinnen und Gynäkologen, dass die Beratungszeit nicht bezahlt wird, was zulasten der Patientinnen gehe. „In den letzten Jahren hat sich aber schon viel geändert. Die Frauen fordern das von uns ein“, sagt die Expertin. Gerade da sich Frauen inzwischen selbst mehr informieren, seien sie beim Aufklärungsgespräch kritischer und fragen nach Alternativen.

Frauen sind bei der Beratung beim Gynäkologen unter zeitlichem Druck

Cornelia Baur bekommt bei Pro Familia viele Berichte aus den Arztpraxen hautnah mit. Sie berichtet, dass auch ihr schon von negativen Erfahrungen bei der Verhütungsberatung erzählt wurde: „Frauen berichten, dass sie unter zeitlichem Druck sind.“ Die Ärztinnen und Ärzte würden sich wenig Zeit für Beratung nehmen und empfehlen schnell die Pille. „Die Pille ist einfach eine sichere Verhütung, deswegen verschreiben Ärzte sie gern.“

Wie viel Zeit sie sich dann tatsächlich für die Beratung und die Aufklärung der Nebenwirkungen nehmen würden, sei sehr unterschiedlich. Baur betont, dass es bei allen Verhütungsmitteln wichtig sei, dass man sich vorher gut mit dem Medikament und der individuellen Situation auseinandersetzt. Und zwar sowohl von Seiten der Patientin als auch des Arztes oder der Ärztin. Besonders persönliche Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder hohes Alter und individuelle Bedürfnisse durch häufige Reisen oder wechselnde Sexualpartner müssen berücksichtigt werden.

45 Prozent der jungen Frauen informieren sich auf sozialen Medien zur Verhütung

Trotz der schon eingetretenen Veränderungen in den Arztpraxen, die Expertin Patricia G. Oppelt beobachtet, fühlen sich viele Frauen immer noch nicht ausreichend beraten und teilen diese Enttäuschung in den sozialen Medien. Genau dort tauschen sie sich dann auch aus und beraten sich gegenseitig. 45 Prozent der jungen Frauen informieren sich laut Oppelt heute im Internet und besonders in sozialen Medien über Verhütungsmittel, 34 Prozent holen sich die Informationen beim Frauenarzt. Vor zehn Jahren lagen Frauenärztinnen oder -ärzte noch deutlich vorne, betont die Expertin.

Das habe sowohl Vor- als auch Nachteile. Einerseits sind junge Frauen dadurch informierter und kritischer geworden, andererseits kursieren im Internet auch zahlreiche Mythen über Verhütungsmittel wie die Pille. Zudem stützen sich Frauen dabei auf persönliche Einzelerfahrungen anderer Anwenderinnen. So seien laut Oppelt Nebenwirkungen wie Depressionen, Gewichtszunahme oder Libidoverlust viel seltener als in den sozialen Medien dargestellt. Es seien sogar deutlich mehr Anwenderinnen der Pille zufrieden mit ihrer Verhütung, da sie beispielsweise Schmerzen bei der Blutung mitbehandeln kann, als Frauen, die Kondome zur Verhütung nutzen.

Mit individueller Aufklärung und umfassender Beratung über verschiedene Verhütungsoptionen kann die Pille laut den Ärztinnen Cornelia Baur und Patricia G. Oppelt auch weiterhin ein sicheres Verhütungsmittel für viele Frauen sein. Denn, so betont Expertin Patricia G. Oppelt: „Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Pille lang nicht so schlecht wie ihr Ruf.“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Frauen
Influencerinnen und Influencer
Kondome
Pillen
YouTube
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen