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Madrid
Piloten lotsen seltene Waldrapp-Vögel sicher nach Spanien
Waldrappe sind in Europa fast ausgestorben. Tiere, die in Zucht aufwachsen, fehlt der Kompass für den Flug in den Süden. Deswegen sind jetzt Menschen ihre "Leitvögel".
Ralph Schulze
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:15 Uhr

Wer das Spektakel in der Luft zufällig vom Boden aus beobachtet hat, musste sich erst einmal die Augen reiben: Hinter zwei Ultraleichtflugzeugen sah man in mehreren hundert Metern Höhe einen Schwarm von großen Vögeln. Meist flogen sie, wie es bei Zugvögeln üblich ist, in Keilformation. Eine Formation, die allerdings in diesem Fall nicht von einem Leitvogel, sondern von den beiden Flugzeugen angeführt wurde. 

Bei den Vögeln handelte es sich um den seltenen Waldrapp, der vom Aussterben bedroht ist und zur biologischen Familie der Ibisse gehört. Heute leben nur noch ein paar hundert Exemplare in Europa – vor allem in Süddeutschland, Österreich, Italien und in Südspanien, wo versucht wird, den Waldrapp wieder anzusiedeln. 

43 Tage war dieser ungewöhnliche Schwarm unterwegs, der in Baden-Württemberg gestartet war und in diesen Tagen im südspanischen Andalusien angekommen ist. Angeführt wurde er von dem österreichischen Verhaltensbiologen Johannes Fritz, der eines der beiden Leichtflugzeuge steuerte und so den Schwarm von Jungvögeln über die 2300 Kilometer lange Strecke von Deutschland in den Süden lotste.

Früher war der Waldrapp mit seinem markanten gebogenen Schnabel und seinem kahlen, rötlichen Kopf in Deutschland weit verbreitet. "Aber als Delikatesse verspeist und daher stark bejagt, starb er bereits im 17. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa aus", berichtet die Naturschutzorganisation WWF, die das von der EU mitfinanzierte Wiederansiedlungsprogramm unterstützt. Er sei heute einer der seltensten Vögel der Welt. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind in der Vergangenheit um diese Jahreszeit tausende Waldrappe nach Andalusien und potenziell weitere nach Marokko migriert, bis diese Art im Mittelalter in Europa ausgerottet wurde", erklärt Johannes Fritz. Nun, nach Jahrhunderten, sei es mit menschlicher Hilfe erstmals wieder gelungen, die Waldrappe von Mitteleuropa über die Zugroute durch Frankreich und Spanien in ihr traditionelles Winterquartier zu bringen. 

Eine Vogel-Mission brachte es sogar zum Kinofilm

Ein Experiment, das die Wissenschaftler "geführte Migration" nennen. Dabei inspirierte das Forschungsteam eine Pioniertat, die vor 30 Jahren hatte aufhorchen lassen. Damals war es dem Kanadier William Lishman gelungen, von Menschen aufgezogene Wildgänse mithilfe eines Leichtflugzeugs von der Provinz Ontario in ihr angestammtes Winterquartier im südlichen US-Staat Virginia zu überführen. Ein Erfolg, der von Hollywood in dem berühmten Film "Amy und die Wildgänse" aufgegriffen wurde. Wie jene Schar der jungen Kanadagänse sind auch die nach Spanien gelotsten Waldrappe von Menschen aufgezogen worden. Deswegen müssen sie das natürliche Zugverhalten erst erlernen. Dazu werden die Jungtiere wochenlang und spielerisch auf den großen Flug vorbereitet. Vor allem werden die Vögel darauf trainiert, ihren in Flugzeugen sitzenden Zieheltern zu folgen. 

Schon seit 20 Jahren führt das europäische Waldrappteam Jungvögel mit Ultraleicht-Maschinen aus dem nördlichen Alpenland in ein Überwinterungsgebiet in Italien. Die Waldrappe stammen aus Zuchtprogrammen. Haben sie einmal mit menschlicher Hilfe ihren Migrationstrieb und ihr Winterquartier entdeckt, kommen viele von ihnen im Frühjahr in ihre natürlichen Brutgebiete in den nördlichen Alpen zurück – ohne weitere menschliche Einwirkung. 

Doch neuerdings machen Klimawandel und Erderwärmung den Waldrappen zu schaffen. Durch den Temperaturanstieg und den verlängerten Sommer erwacht der Migrationstrieb später. Die Folge: Die Vögel finden nicht mehr die notwendigen Aufwinde, die ihnen über die Alpen nach Italien helfen. Deswegen versuchen die Forschenden nun, eine neue Migrationsroute nach Spanien zu etablieren. Auf dieser Strecke müssen die Vögel nicht mehr die Alpen überqueren, sondern können sie umfliegen.

Die Strecke nach Andalusien, wo es eine frei lebende Waldrappkolonie gibt, ist dreimal länger als jene in die italienische Toskana. Entsprechend ist das Risiko größer, dass nicht alle Vögel den Weg überleben. Die größte Gefahr sind Strommasten, auf denen sich Waldrappe gerne ausruhen. Oder Jäger, die auf Wildvögel anlegen. Auch Raubvögel lauern unterwegs. Zudem können sich sogar Zugvögel mal verirren und ihr Migrationsziel verfehlen. 

Auch während der geführten Waldrappmission nach Spanien kamen Tiere abhanden. 35 waren am Bodensee in Süddeutschland zusammen mit ihrem "Leitvogel" Johannes Fritz gestartet. 32 schafften es im Windschatten des Ultraleichtfliegers bis nach Andalusien. "Dort sind sie auch gleich mit Vögeln der sesshaften andalusischen Population zusammengetroffen", berichtet erleichtert das wissenschaftliche Begleitteam. "Das war ein großer und bewegender Moment."

 
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