Was sie von den Olympischen Sommerspielen im kommenden Jahr in Paris hält? Sabrina, Managerin der Bar "La Terrasse" am Ufer der Seine zwischen den Brücken Pont de Sully und Pont Marie, blickt bei dieser Frage erst überrascht, dann ratlos drein. "Ganz ehrlich, damit haben wir uns überhaupt noch nicht befasst." An diesem Juli-Vormittag läuft laute Musik, während ihr Team die Innenräume putzt. "Wir sind gerade noch mitten in der aktuellen Sommersaison", sagt die junge Frau noch etwas außer Atem. Es gab auch noch kein Vorbereitungstreffen mit Vertretern des Rathauses für die Spiele vom 26. Juli bis zum 11. August, gefolgt von den Paralympics vom 28. August bis zum 8. September. Wäre allerdings nicht verkehrt, schließlich werden einige Wettkämpfe, etwa im Freiwasserschwimmen oder Triathlon, auf der Seine und damit im Herzen der Stadt ausgetragen, ebenso wie die große Eröffnungszeremonie. Also dort, wo Sabrina ihr Geld verdient.
Olympische Spiele ausgerechnet in Paris, ausgerechnet im Zentrum der französischen Hauptstadt, das in den vergangenen Monaten von so vielen Protesten, so viel Unruhe geprägt war? Wie soll das gehen? Und das mit Blick darauf, dass es in einigen Punkten schon ordentlich Kritik gab.
Olympia in Paris: Erstes Eröffnungsspektakel außerhalb eines Stadions
Stolz betonen die Organisatoren, dass das Eröffnungsspektakel zum ersten Mal in der langen Olympia-Geschichte außerhalb eines Stadions ausgerichtet wird. Mehr als 100 Schiffe sollen die Delegationen aus der ganzen Welt den Fluss entlang fahren. Rund 500.000 Zuschauerinnen und Zuschauer werden erwartet. Für ein Fünftel von ihnen sind kostenpflichtige Sitzplätze unten am Wasser vorgesehen, die anderen erhalten Gratis-Tickets, um sich auf den oberen Uferstraßen über sechs Kilometer hinweg zu verteilen. Eine große, einzigartige Show soll es werden, getragen von Jubel und Euphorie.
Doch wer sich in Paris umhört, erntet eher Gleichgültigkeit oder Skepsis. In Umfragen bewerten nur 58 Prozent der Menschen in Frankreich die Spiele positiv. Im September 2021 waren es noch 76 Prozent. "Das Chaos ist jetzt schon absehbar", sagt Sabrina und runzelt die Stirn. Sie erinnere sich noch an die Winterspiele in Albertville 1992, ihr Vater habe eine Wohnung in der Region. "Das war eine ganz andere Begeisterung." Sie erwarte vor allem eines von dem teuren Groß-Event: nämlich viel Stress für die ganze Stadt. "Wir selbst brauchen nicht noch mehr Besucher, weil wir im Sommer sowieso immer ausgebucht sind."
Managerin des "La Terrasse": "Wir selbst brauchen nicht noch mehr Besucher"
Tatsächlich bilden sich jeden Abend um den Ausschank von "La Terrasse" riesige Menschentrauben, ein Durchkommen gibt es kaum. Schwer vorstellbar, wie sich ihre Zahl in einem Jahr vervielfachen soll. Ein paar Schritte weiter hat die Stadt die Ufer für ihre jährliche Sommer-Veranstaltung "Paris Plages" (Paris-Strände) hergerichtet. Liegestühle mit Sonnenschirmen laden zum Ausruhen ein, es gibt Spielbereiche und zu festen Zeiten Sportangebote, von Tai-Chi bis Gymnastik. Junge Leute in orangefarbenen Polo-Shirts mit der Aufschrift "Strandmitarbeiter" überwachen die verkehrsberuhigte Uferstraße.
Auch bei anderen in der Stadt hält sich die Euphorie noch stark in Grenzen. Eigentlich sollen sie in dieser Funktion nicht mit der Presse reden, geben zwei Frauen zu. Sie tun es dann doch, aber ohne Nennung ihrer Namen. Die Olympischen Spiele in ihrer Heimatstadt seien für sie kein Thema, sagen sie. "Man sieht natürlich die vielen Baustellen und Renovierungsarbeiten", sagt die eine. "Ab 2025 soll man dann ja in der Seine baden können, das ist ein netter Nebeneffekt", ergänzt die andere. Vielleicht ergebe sich für sie die Möglichkeit, als Freiwillige zu arbeiten und ganz no dabei zu sein, mutmaßen sie, bevor sie weiter ihre Runden ziehen. Sonst sei ihnen das zu teuer.
Karten-Vorverkauf für Olympia 2024 steht in der Kritik
Tatsächlich stand der Vorverkauf in der Kritik, da die Karten nach einem Losverfahren zunächst nur in der Kombination mehrerer Disziplinen zur Verfügung standen, oft zu schwindelerregend hohen Preisen. Denn auch wenn die Hälfte der Tickets laut Organisatoren weniger als 50 Euro kosten, so waren sie nicht mehr verfügbar, da ein großer Teil davon direkt an die umliegenden Gemeinden ging, um sie an Jugendliche oder engagierte Sportvereins-Mitglieder weiterzugeben. Es sollen ja Spiele nicht nur für wohlhabende ausländische Touristen sein, die Pariser nicht nur die Nachteile haben. Dieses Ziel wurde ausgegeben. Doch ist es angekommen?
Die lässige Gleichgültigkeit in der Stadt, die in einem Jahr das größte Sportereignis der Welt ausrichtet, steht im Kontrast zum aufgeregten Enthusiasmus des Vorsitzenden des Organisationskomitees, Tony Estanguet. "Wir spüren die positive Energie, die von den ersten Tests, die wir unter anderem auf der Seine durchgeführt haben, ausgeht", schwärmte er in der vergangenen Woche bei einer Sitzung des olympischen und paralympischen Komitees. 6,8 der insgesamt acht Millionen Tickets seien schon verkauft. "Die Leute fragen, wie sie beim olympischen Marathon mitlaufen oder wo sie sich als Freiwillige beteiligen können – das Projekt fasziniert", versicherte der ehemalige Kanute, der selbst mehrere olympische Medaillen gewann.
Die Sorge vor aberwitzigen Hotelangeboten in Paris ist groß
An dem jüngsten Treffen des Komitees nahm Präsident Emmanuel Macron teil, um mehrere Ankündigungen zu machen. Dazu gehörten der Aufbau von Sportprogrammen vor allem in sozialen Brennpunkten, die Erhöhung der Prämien für französische Medaillengewinner, aber auch die Gründung einer Beobachtungsstelle für Mietwohnungspreise. Groß ist die Sorge vor aberwitzigen Angeboten, nachdem die Hoteltarife seit der Covid-Pandemie eh schon im Schnitt um 30 Prozent gestiegen sind. Außerdem regte Macron die Schaffung von „gastronomischen Dörfern“ im Umfeld der Austragungsstätten an, um „die Vielfalt und Qualität der französischen Landwirtschaft und Gastronomie hervorzuheben“.
Die Spiele gelten nicht nur als Gelegenheit, der ganzen Welt ein strahlendes Bild von Frankreich zu präsentieren. An der Staatsspitze erhofft man sich auch, dass sie die Laune der Bevölkerung heben werden, nachdem zuletzt eine Krise auf die nächste folgte: die Inflation, die anhaltenden Proteste gegen die Rentenreform im Frühjahr und vor drei Wochen gewaltsame Unruhen in etlichen französischen Städten und Vororten. Bei einer kurzen Rede zur Eröffnung des Ministerrates am Freitag sprach Macron von der Wichtigkeit einer einwandfreien Organisation, „um dem Land Stolz und Hoffnung zu geben“. Seit den Unruhen, so warnte die Generaldirektorin des Pariser Tourismusbüros, Corinne Menegaux, verfüge Frankreich unter allen europäischen Ländern über den „niedrigsten Index beim Sicherheitsgefühl“.
35.000 Einsatzkräfte für den Olympia-Eröffnungsabend
Tatsächlich ist das Thema Sicherheit heikel. Allein für den Eröffnungsabend am 26. Juli 2024 werden vor Ort 35.000 Einsatzkräfte bereitgestellt, wie Innenminister Gérald Darmanin ankündigte. Ein solches Aufgebot sei „in der Geschichte unserer Ordnungskräfte noch nie da gewesen“. Er gehe von Kosten allein für die Sicherheit in Höhe von 200 Millionen Euro aus. Das Gesamtbudget für die Spiele stieg inzwischen auf 8,8 Milliarden Euro – noch ein Thema, das viele der Einheimischen beunruhigt.
Ausländische Feriengäste haben dagegen längst begonnen, sich für das Spektakel zu interessieren, versichert Dudda Babi. Der Besitzer eines Souvenir-Ladens auf der Seine-InselÎle Saint-Louis verkauft jeden Tag mehr T-Shirts mit der olympischen Flamme und den charakteristischen bunten Ringen. "Für mich und meine Kollegen werden die Spiele sehr positiv", sagt er. An der Pont d'Arcole, der Brücke schräg gegenüber seiner Ladentüre, teeren gerade Arbeiter die Straße neu. Überall in der Stadt gibt es Baustellen, die teils vorgezogen wurden, damit sie rechtzeitig beendet sind.
Olympia in Paris: 7 Millionen Besucher, 250.000 Medienschaffende, 10.000 Athleten
Sieben Millionen Besucherinnen und Besucher werden in den zwei Wochen im nächsten Sommer erwartet, hinzu kommen 250.000 Medienleute, mehr als 10.000 Athleten sowie deren Begleiterinnen und Begleiter; mit drei Millionen Gästen wird dann ab Ende August für die Paralympischen Spiele gerechnet. Paris gilt zwar jetzt schon als meistbesuchte Stadt der Welt, doch ein solcher Ansturm ist eine Herausforderung besonderen Ausmaßes, zumal sich die Wettkämpfe auf 25 verschiedene Orte verteilen: Zwölf befinden sich innerhalb der Stadtmauern und 13 außerhalb. Hinzu kommen weitere Standorte im ganzen Land, darunter mehrere Stadien sowie der Yachthafen von Marseille für die Disziplin Segeln. Das olympische Dorf entsteht derzeit in Saint-Denis im Norden von Paris.
Alle Austragungsorte im Pariser Großraum sollen sowohl mit dem Fahrrad als auch mit den öffentlichen Transportmitteln erreichbar sein. Demnach gelte es, bis zu 60.000 Menschen pro Stunde zu befördern, erklärte Laurent Probst, Generaldirektor des Transportunternehmens Île-de-France Mobility: "Das ist, als müssten wir den Zugang zu 50 großen Fußballspielen pro Tag regeln." Eine "wahrhaftig militärische Organisation" sei erforderlich mit einer Erhöhung der Frequenz der Metro- und RER-Züge. Darüber hinaus werden Shuttle-Busse eingesetzt, da die Metro nicht behindertengerecht ist und um manche Standorte wie Versailles zu erreichen. Dort werden die Reit-Wettbewerbe ausgetragen. Auf der Ringautobahn Périphérique ist eine "olympische Spur" für den Transport der Athleten, Sondergäste und Akkreditierten vorgesehen, die nach den Spielen als Extra-Spur für Busse, Taxis und ausgewiesene Fahrgemeinschaften bleiben soll.
Organisatoren hoffen, dass die Euphorie über das Event in Paris anhält
Es gibt eben auch die Hoffnung der Organisatoren, dass etwas bleibt, das die Menschen in Parisüber die Euphorie des Moments, die sich vielleicht noch einstellt, hinaus bereichert. Zusätzliche Radwege entstehen, das olympische Dorf wird in Wohnungen, unter anderem für Studenten und für Senioren, umgewandelt und das öffentliche Nahverkehrsnetz ausgebaut. Die Spiele sollen einen positiven Schwung für ein Land bringen, das allzu oft zweifelt.
Mancherorts herrscht immerhin Optimismus vor. Am Seine-Ufer, gegenüber der Baustelle der Kathedrale Notre-Dame, betreibt Daniel Louveau sein Außencafé "Chez Daniel", es gibt Salate, Sandwiches und Getränke. Natürlich seien die Spiele eine gute Sache, sagt er. "Wir rechnen mit vielen Einschränkungen seitens der Stadt, aber wir sind hier in der ersten Reihe. Das wird einmalig." Hier und da gibt es sie schon, die Vorfreude auf Olympia 2024. Man muss nur ein wenig danach suchen.