Glücklich ist Zeynep Boz erst, wenn das Flugzeug landet. Die Archäologin wartet immer selbst am Flughafen auf die kostbare Ladung. Jüngst waren zwei steinerne Göttinnen aus dem sechsten Jahrtausend vor Christus dabei, dazu eine Statuette von einem Streitwagen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus und haufenweise Bronzemünzen, mit denen König Mithridates IV. Eupator seinen Soldaten in Pontus vor 2200 Jahren den Sold bezahlte. Die Flugzeuge kommen aus Amerika, aus Italien, der Schweiz und anderen europäischen Ländern. Zu selten aus Deutschland, wie sie findet. Wobei das ein besonders heikles Thema ist.
"Der Augenblick, in dem die Räder auf der Landebahn aufsetzen, ist mein Glücksmoment", erzählt die amtliche Schatzjägerin der Türkei. "Danach fahre ich ins Büro zurück und arbeite am nächsten Fall." Zeynep Boz ist Chefin des Amtes zur Bekämpfung von Kulturschmuggel – einer Abteilung des türkischen Kulturministeriums, die sie selbst geschaffen und geprägt hat. Ihre Mission ist es, die über Jahrhunderte in Anatolien geraubten, verschleppten und verscherbelten Kulturschätze aus aller Welt in ihre Heimat zurückzuholen.
Das Team der Schätzjäger ist überwiegend weiblich
Auf dieser Mission führt die zierliche Frau mit Perlenkette ein 30-köpfiges Team aus Expertinnen und Experten, das in Museen, Sammlungen und Auktionshäusern nach verschobenen Kulturgütern fahndet. Es ist überwiegend weiblich – zu etwa 70 Prozent, überschlägt Boz. Das liege teilweise daran, dass es in der Türkei einfach mehr Archäologinnen gebe als Archäologen, sagt die 41-Jährige. Als sie selbst studierte, waren 19 von 20 Teilnehmern ihres Jahrgangs weiblich. "Aber um ehrlich zu sein: Ich arbeite einfach gerne mit Frauen", fügt Boz hinzu. Frauen würden ihre Mission persönlicher nehmen als Männer und mehr Leidenschaft investieren – so wie sie selbst.
Zeynep Boz nimmt die Jagd nach den verlorenen Kulturschätzen sehr persönlich. Zwar bemüht sich die Türkei nicht erst neuerdings um die Rückgabe von Kulturgütern. Jahrzehnte beispielsweise dauerte ihr Kampf um eine steinerne Sphinx aus dem Hethiter-Reich, die 1917 von deutschen Archäologen nach Berlin gebracht und im Pergamonmuseum ausgestellt wurde. Schon von der DDR forderte die Türkische Republik 1974 formell die Rückgabe, doch auch das vereinte Deutschland sträubte sich noch zwanzig Jahre lang, bis die Sphinx im Jahr 2011 schließlich heimgeschickt wurde. Die UN-Kulturorganisation Unesco lobte den Ausgang der Verhandlungen als "Erfolgsgeschichte".
Zeynep Boz arbeitete als Berichterstatterin im UN-Sicherheitsrat
So lange dürfe das aber nicht dauern, fand Zeynep Boz, als sie 2017 nach drei Jahren bei der Unesco ins türkische Kulturministerium zurückkehrte. Bei der Unesco hatte sie als Berichterstatterin für den UN-Sicherheitsratüber den Schwarzhandel mit Kulturgütern gearbeitet und internationale Erfahrung gesammelt. Die zuständige Unterabteilung des Ministeriums in Ankara sei zu schlecht besetzt und überfordert, urteilte die junge Frau, und schlug eine Neuaufstellung vor. Wenn sie als Archäologin schon das Glück habe, im Kulturministerium arbeiten zu können, dann müsse sie auch etwas daraus machen, begründete sie ihren Vorstoß. Ihre Vorgesetzten hätten überzeugt werden müssen, erzählt Boz. Aber als 2018 ein neuer Kulturminister ins Amt kam, ging alles ganz schnell. "Er hat uns eine halbe Stunde angehört, und dann hat er gesagt: Gute Idee, machen wir." Seit 2020 hat Boz ihre Abteilung und freie Hand bei der Jagd.
Der Schutz von Kulturgütern beginne zu Hause, findet Boz. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt deshalb darin, die verbreiteten Raubgrabungen in der Türkei zu stoppen und die illegale Ausfuhr weiterer Kulturgüter zu verhindern. Eine Sisyphos-Aufgabe ist das angesichts des kulturhistorischen Reichtums unter der Erde von Anatolien, wo die Zeugnisse von Zivilisationen aus zwölf Jahrtausenden vergraben liegen. Allein das Kulturministerium unternahm im vergangenen Jahr 158 archäologische Grabungen, ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler buddelten mit türkischer Lizenz an 32 Stätten, und türkische Museen zeichneten für weitere 56 Grabungen verantwortlich. Außerdem gab es landesweit 184 Rettungsgrabungen.
Die private Schatzsuche ist in der Türkei Volkssport
Dennoch finden Raubgräber und Schatzsucher immer mehr Stätten für ihr Unwesen. Von Hirten, die mit Spitzhacken historische Kirchen zertrümmern, um vermeintliche Goldschätze zu suchen, bis hin zu professionellen Banden, die aus Schwarzgrabungen unermessliche Schätze der Menschheitsgeschichte zutage fördern und für den Sammlermarkt ins Ausland schmuggeln, ist die private Schatzsuche in der Türkei ein Volkssport. "Wir müssen diese Schatzsucher-Folklore in den Griff kriegen", sagt Boz. Die Raubgräber würden kleine Kinder in ihre Schächte schicken, weil sie glaubten, dass Kinder vor unterirdischen Geistern gefeit seien; allein im vergangenen Jahr seien 25 Menschen bei illegalen Grabungen ums Leben gekommen, viele davon Kinder.
Wann immer sie kann, zieht Zeynep Boz selbst über die Dörfer, um die Menschen aufzuklären und zur Vernunft zu bringen. "Ich erkläre ihnen, dass sie langfristig mehr davon haben, wenn sie Funde an die Behörden melden“, erzählt sie. "Statt einen Fund zu verkaufen, könnten sie ein Lokal oder einen Souvenirstand neben der Grabung eröffnen und dauerhaft daran verdienen." Allerdings müsse sie sich dafür erst einmal Gehör verschaffen, denn als Frau mit einer Körpergröße von 162 Zentimetern werde sie mit ihrem freundlichen Lächeln von anatolischen Dorfvorstehern meist nicht ernst genommen. „Ich nehme dann gerne einen zwei Meter großen Kollegen mit, der hinter mir herläuft", erzählt sie lachend. "Damit die denken: 'Wenn der sie respektiert, sollten wir das vielleicht auch.'"
Seit neun Jahren wartet ihr Ministerium auf eine Einladung aus Berlin
Ähnliche Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen, erlebt Zeynep Boz bei den Regierungen einiger europäischer Länder, die Schätze aus anatolischer Erde in ihren Museen angehäuft haben – wie Deutschland und Österreich. Seit neun Jahren etwa warte ihr Ministerium auf eine Einladung aus Berlin, klagt Boz. Deutschland sei für Expertengespräche über die Rückgabe einer Reihe von Kulturgütern– darunter eine Statue aus dem antiken Aphrodisias in der Westtürkei und ein Sarkophag aus Konya– an der Reihe, das nächste Treffen zu organisieren; doch ihre Nachfragen verhallten alle. "Sie reagieren einfach nicht", sagt Boz. "Ich habe das Gefühl, es kümmert sie nicht."
Wenig besser sei es mit Österreich, fügt die Archäologin hinzu. "Da ist es auch nicht einfach, klare Antworten zu bekommen oder fruchtbare Gespräche zu führen." Von beiden Ländern wünsche sie sich eine bessere Zusammenarbeit, so wie es sie etwa mit der Schweiz gebe. Die hat zwar keine anatolischen Schätze in ihren Museen, diente aber lange als Umschlagplatz für Schmuggelware auf dem Sammlermarkt. "Die Schweiz hat ein kleines, aber feines Expertenteam, mit dem wir ausgezeichnet zusammenarbeiten und uns immer gegenseitig informieren", sagt Boz. "Wir haben ein echtes Vertrauensverhältnis aufgebaut."
Berlin weigert sich vor der Rückgabe des Pergamon-Altars
Dass Deutschland und Österreich sich vor der Zusammenarbeit drückten, liegt nach ihrer Ansicht auch an den Kunstschätzen, die sie in ihren Museen hüten, etwa der Pergamon-Altar in Berlin oder das Heroon von Trysa in Wien. Ebenso wie das Britische Museum in London fürchteten diese Häuser, dass jede Rückgabe eine Kettenreaktion auslösen könnte, die zum Verlust der besten Stücke ihrer Sammlungen führen werde, vermutet Boz– "wie eine Laufmasche an einem Strumpf". Aktuell geht es aber gar nicht um diese großen Kunstwerke, die im 19. Jahrhundert nach Berlin und Wien geschafft wurden; denn die Ausfuhr von Kulturgütern der Antike ist in der Türkei erst seit 1906 klar verboten, als das Osmanische Reich ein entsprechendes Gesetz erließ.
Perspektivisch wünscht sich die Türkei alle Kunstschätze aus ihrer Erde zurück, sagt Boz. Im Fall von Pergamon seien neue Dokumente aufgetaucht, die der deutschen Argumentation widersprechen, wonach die Ausfuhren vom Osmanischen Reich genehmigt waren, erzählt sie. Demnach wurden zumindest Teile des Altars nach Berlin gebracht, bevor es eine Genehmigung gab. Auf die erbetene Stellungnahme aus Deutschland zu diesen neuen Erkenntnissen warte sie bisher aber vergeblich.
Zur Not soll die Unesco die Herausgabe der Kulturgüter fordern
Lieber als über Dokumente und osmanische Gesetze würde Boz mit ihren europäischen Kollegen darüber sprechen, ob Kulturschätze der Zivilisationsgeschichte nicht einfach an ihren Ursprungsort gehören. Der Pergamon-Altar sollte "im Sonnenlicht von Pergamon" zu sehen sein, meint sie, in der westtürkischen Heimat des Bauwerks. "Es ist ja nicht so, dass wir ihn wieder vergraben wollen", entgegnet sie dem Argument europäischer Museen, dass die anatolischen Kunstschätze in London, Berlin oder Wien besser aufgehoben seien, weil sie dort von allen Menschen besichtigt werden könnten. Besonders schmerzt die Archäologin, dass zu der aktuellen Sanierung des Pergamon-Museums keine türkischen Experten eingeladen worden seien.
Wenn bilaterale Bemühungen auch weiterhin erfolglos bleiben, will die Türkei die Unesco anrufen, um die Herausgabe ihrer Kulturgüter zu fordern. Zeynep Boz hofft, dass es nicht so weit kommt. Es würde Streit bedeuten, meint sie, und eine Polarisierung, die auch andere Bereiche der kulturellen Zusammenarbeit vergiften würde. Viel lieber würde sie mit Experten dieser Länder an gemeinsamen Lösungen arbeiten, sagt sie, etwa an einem gemeinsamen Pergamonmuseum – doch dafür müssten die sich erst mit ihr an einen Tisch setzen. "Ich habe noch immer Hoffnung", sagt Boz. "Ich setze Vertrauen in Deutschland und in Österreich." Am Ende wäre es doch auch im deutschen Interesse, findet sie, wenn Deutschland hier Größe zeigen und vergangenes Unrecht tilgen würde. "Die Welt würde das als ehrenhaft sehen."