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Medizinische Versorgung
So helfen Krankenhäuser vergewaltigten Menschen
Nur jede zehnte Vergewaltigung wird angezeigt. Mit einer vertraulichen Spurensicherung wollen Kliniken Betroffenen sexuellen Missbrauchs mehr Zeit für eine Entscheidung geben.
# Corona, Uniklinikum       -  Im Uniklinikum Augsburg können Spuren einer Vergewaltigung bis zu sechs Monate lang aufbewahrt werden. Das gibt Betroffenen mehr Zeit, über eine mögliche Anzeige nachzudenken.
Foto: Silvio Wyszengrad | Im Uniklinikum Augsburg können Spuren einer Vergewaltigung bis zu sechs Monate lang aufbewahrt werden. Das gibt Betroffenen mehr Zeit, über eine mögliche Anzeige nachzudenken.
Bianca Dimarsico
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:13 Uhr

Wer vergewaltigt wurde, befindet sich in einem Ausnahmezustand. Abgesehen davon, dass Betroffene traumatisiert sind, gibt es oft körperliche Verletzungen, die behandelt werden müssen. In Deutschland gibt es deshalb immer mehr niederschwellige Angebote, um Betroffenen zu helfen, sie zu behandeln und die Spuren der Vergewaltigung aufzubewahren.Denn daran, den Täter anzuzeigen, denken direkt nach einem Übergriff die wenigsten. Auch in Kliniken in und um Augsburg bekommen Betroffene Hilfe.

Die polizeiliche Kriminalstatistik Bayerns aus dem Jahr 2022 zeigt, dass die Zahl der Sexualdelikte– oder wie die Polizei sie erfasst: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – seit Jahren steigt. Mit diesem Sammelbegriff werden Straftaten wie sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zusammengefasst.2022 erfasste die Statistik mehr als 16.000 Fälle, vor zehn Jahren gut 6000. Das heißt nicht zwingend, dass mehr Straftaten begangen wurden. Der Anstieg lässt sich laut Polizei auch damit erklären, dass es ein erhöhtes Bewusstsein für solche Delikte gibt.

Nur ein Prozent der Sexualdelikte wird in Deutschland angezeigt

Betroffene von Sexualdelikten zeigen ihre Täter oder Täterinnen selten an. Das ist das Ergebnis der bislang größten Dunkelfeldstudie des Bundeskriminalamts von 2022. Dabei kam heraus: Nur in einem Prozent der Fälle werden Sexualdelikte angezeigt; bei sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung kommt jeder zehnte Fall zur Anzeige. Der Grund dafür ist laut Studie: "Bei den Gewalt- und Sexualdelikten treten teilweise auch Gründe wie Scham, Schuldgefühle oder Nichtwissen, an wen man sich wenden könne, auf."

Diesem Nichtwissen möchte ein Modellprojekt aus Frankfurt am Main entgegenwirken. Unter dem Titel "Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung" erleichtert das Projekt seit 2013 vergewaltigten Menschen den Zugang zu guter medizinischer Versorgung. Deutschlandweit nehmen 36 Krankenhäuser an der Initiative teil – keines davon liegt in Bayern. Das Besondere: Die Kliniken, die sich beteiligen, bewahren die Beweise und Spuren etwa ein Jahr lang auf. So können sich Betroffene in Ruhe überlegen, ob sie Anzeige erstatten möchten. In einem Gerichtsprozess kann die Spurensicherung ausschlaggebend sein. Wie die Ärztinnen und Ärzte vorgehen, erläutert Carina Baumann. Sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe an den Rems-Murr-Kliniken in der Region Stuttgart.

36 Krankenhäuser in Deutschland bieten "Medizinische Soforthilfe" an

Im Jahr gibt es dort rund ein Dutzend Fälle, in denen die medizinische Soforthilfe in Anspruch genommen wird. Die Betroffenen werden nach einem standardisierten Ablauf untersucht. "Wir haben spezielle Untersuchungs-Kits für solche Patientinnen und Patienten", sagt Baumann. Diese enthalten Tupfer, Behälter und Lineale für die Vermessung von Verletzungen oder Farbkarten, die bei Fotoaufnahmen angelegt werden – die notwendige Ausrüstung für die Spurensicherung. Wichtig sei, sich nach einer Vergewaltigung innerhalb von 72 Stunden untersuchen zu lassen. Danach sei es schwierig, Genmaterial nachzuweisen. Auch sollten Betroffene sich vor der Behandlung nicht duschen oder waschen, um mögliche Spuren nicht zu beseitigen.Das was die Ärzte und Ärztinnen sicherstellen, schicken sie an ein pathologisches Institut. "Die Beweise werden erst untersucht, wenn angezeigt wird", erklärt Baumann. Hier liegt der Vorteil des Projekts: Die meisten deutschen Kliniken – vor allem in ländlicher Umgebung – haben keine Möglichkeit, die Spuren einer Vergewaltigung zu dokumentieren und rechtlich sicher aufzubewahren. Größere Häuser, wie die Universitätsklinik in Augsburg, haben meist eigene Pathologien.

Krankenhäuser haben keine Anzeigepflicht – auch nicht bei sexualisierter Gewalt

Im Uniklinikum Augsburg werden pro Monat ein bis zwei Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt behandelt. Die medizinische Versorgung hängt von der Schwere der Verletzungen ab und kann von der ambulanten Versorgung bis hin zu Operationen reichen. "Den Patientinnen und Patienten wird geraten, die Polizei hinzuzuziehen, da die Gefahr besteht, dass der Täter weiterhin sexuelle Gewalt ausübt. Kann sich die Patientin zu diesem Zeitpunkt nicht dazu entschließen, werden zum Zwecke des DNA-Nachweises gewonnene Proben sechs Monate lang bei uns im Labor gelagert", erklärt Klinikum-Pressesprecherin Ines Lehmann.

Ländlicher gelegene Kliniken verfügen seltener über solche Labore. Eine Spurensicherung ist dort nur möglich, wenn die Polizei hinzugezogen wird. Da die Polizei eine Anzeigepflicht hat, wird in diesem Fall automatisch eine Anzeige gegen den Täter aufgegeben. Ein Umstand, der Betroffene zusätzlich unter Druck setzen kann. Wie die Krankenhäuser in unserer Region Betroffenen nach einer Vergewaltigung helfen, konnten sie unserer Redaktion auf Anfrage nicht beantworten.

Gesetz der vertraulichen Spurensicherung soll flächendeckende Versorgung bringen

Eigentlich gibt es in Deutschland seit März 2020 ein Gesetz zur sogenannten vertraulichen Spurensicherung. Demnach sollen gesetzliche Krankenversicherungen die Finanzierung dieser Spurensicherungübernehmen. Aber: Aktuell gibt es keine flächendeckende Versorgung. Damit die Krankenkassen die Kosten von Dokumentation, Laboruntersuchungen und Aufbewahrung der Befunde übernehmen, müssen Verträge zwischen Krankenkassen, Bundesländern und medizinischen Einrichtungen geschlossen werden. Kliniken in Ansbach, Erlangen, Nürnberg und München bieten die Spurensicherung inzwischen an.

Unterstützung für Betroffene gibt es hier: das Opfertelefon des WEISSEN RINGS. Anonym. Bundesweit. Kostenfrei. Täglich 7 bis 22 Uhr, Telefon 116006.

Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt. Wild­was­ser Augs­burg e. V, Te­le­fon 0821 /154444, E‑Mail beratung@wildwasser-augsburg.de.

 
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