Jan Böhmermann hat es mal wieder geschafft. Er „triggerte“, wie man das so sagt, mit der jüngsten Ausgabe seines „ZDF Magazin Royale“ diverse leicht reizbare Gruppen: die Böhmermann-Hasser und die Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, rechtskonservative und libertäre Medienvertreter, Populisten. Nicht zu vergessen: Dieter-Nuhr-Fans. Nuhr und andere Kabarettisten, allen voran Lisa Eckhart, stehen – grob einsortiert und zugespitzt – für „rechte" Comedy, Böhmermann für „linke"; für eine „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Fraktion und eine „Wir haben die richtige Haltung"-Fraktion. Böhmermann hatte die ARD-Sendung „Nuhr im Ersten“ parodiert, mit „Nuhr im Zweiten“. Die Reaktionen waren erwartbar und einkalkuliert. Böhmermann muss nur ein Knöpfchen drücken und sie rumpelt los, die Empörungsmaschine. Vom Mechanismus her ist das Fernsehen wie Twitter, wo jemand schreibt und dann alle brüllen.
Überraschend war etwas anderes. Passend zum Jubiläum „60 Jahre ZDF“ am 1. April demonstrierte Böhmermann, warum es das ZDF braucht. Ein zweites bundesweites TV-Programm also neben dem der ARD, das nicht bloß Böhmermann-Hasser am liebsten abschaffen würden. Oder privatisieren. Oder mit der ARD zusammenlegen. Die Pointe dabei ist, dass diese Forderungen aus Reihen von Mitte-Rechts-Parteien kamen – dasZDF jedoch einst und noch heute als konservativer als die ARD gilt (was immer das im Einzelnen heißen mag). CDU-Kanzler Adenauer hatte versucht, der als regierungskritischen und „links" geltenden ARDein dem Bund unterstelltes, staatsnäheres Angebot entgegenzusetzen. Statt des „Adenauer-Fernsehens" wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dasZDF gegründet, als „gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts" und alsARD-Konkurrent. Imageprägend wurde von 1969 an das „ZDF-Magazin" mit Gerhard Löwenthal, ein „strammer Vorkämpfer des Antikommunismus", wie ihn die Deutsche Presse-Agentur nannte.
Man braucht nur nach London blicken, um zu sehen, welche Wirkung ein Ruf nach „Staatsfernsehen" haben kann
Die Zeiten sind andere, eines hat nichts an Bedeutung eingebüßt: die Notwendigkeit von Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit für das Funktionieren einer Demokratie. Diese grundgesetzlich garantierten Freiheiten sind zunehmend bedeutender geworden und mit ihnen die Notwendigkeit einer Kontrollfunktion unabhängiger Medien, auch und selbstverständlich Medien gegenüber. Sowie: die Notwendigkeit einer vielfältigen Medienlandschaft.
Man braucht nur nach London blicken, um zu sehen, welche Wirkung ein Ruf nach „Staatsfernsehen" haben kann. Dort setze, sagte ARD-Korrespondentin Annette Dittert, eine „rechtspopulistisch agierende Tory-Partei" die BBCimmer stärker politisch unter Druck und habe immer mehr Parteifreunde in zentralen Management-Posten platziert. Dieses Klima führte zuletzt zur Suspendierung von Fußball-Moderator Gary Lineker wegen eines regierungskritischen Tweets. Wer hierzulande „Staatsfernsehen" schreit als Kritik an missliebigen Moderatoren, Sendungen oder dem Rundfunkbeitrag, bekommt möglicherweise irgendwann genau das: Staatsfernsehen. Umso wichtiger ist allein bereits in dieser Hinsicht die Existenz des ZDF. Umso wichtiger ist der Anspruch der „Staatsferne". Umso wichtiger wären Kontrollgremien, die weniger von Politikerinnen und Politikern oder den Parteien Nahestehenden dominiert würden. Das weiß man beim ZDF sehr gut, wo das Unionslager 2009 Chefredakteur Nikolaus Brender absägte.
Böhmermann hat mit seiner „ZDF Magazin Royale"-Ausgabe „Nuhr im Zweiten" ein Beispiel für Medienvielfalt gegeben
Was Böhmermann mit all dem zu schaffen hat? Er hat ein kleines Beispiel für Medien- und Meinungsvielfalt gegeben. Völlig unabhängig von der Frage, ob seine satirische Kritik an Satiriker-Kollegen (diese verbreiteten unter dem Deckmantel der Comedy etwa Vorurteile) gelungen war oder nicht. „Mit dem Zweiten sieht man besser"? Nicht immer, immer aber mit einem Zweiten.